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„Du verdienst den Tod!“: Ex-GNTM-Kandidatin Lijana aus Kassel veröffentlicht Buch über Cybermobbing

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Von: Ulrike Pflüger-Scherb

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Lijana Kaggwa aus Kassel hat ein Buch über Cybermobbing geschrieben.
Lijana Kaggwa aus Kassel hat ein Buch über Cybermobbing geschrieben. © Dieter Schachtschneider

Lijana Kaggwa hat 2020 bei „Germany‘s Next Topmodel“ teilgenommen. Was als großer Traum begann, endete in einem Albtraum, schreibt die 27-Jährige aus Kassel in ihrem neuen Buch über Cybermobbing.

Kassel – Lijana Kaggwa aus Kassel wurde im Jahr 2020 durch die TV-Sendung „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM) bekannt. Zunächst galt die Studentin als Favoritin der Staffel, sie kam bis ins Finale. Doch dann schmiss sie plötzlich alles hin. Im Internet wurde sie nämlich nach Ausstrahlung der vierten Folge plötzlich mit Hasskommentaren überschüttet. Die junge Frau bekam Morddrohungen und musste zeitweise von der Polizei beschützt werden.

Nach ihren eigenen Erfahrungen mit Cybermobbing hat Lijana Kaggwa den Verein „Love always wins“ gegründet und leistet Präventionsarbeit in Schulen in ganz Deutschland. Darüber hinaus hat die mittlerweile 27-Jährige ein Buch mit dem Titel „Du verdienst den Tod! Wie Cybermobbing Menschen und die Gesellschaft zerstört und wie wir wieder mehr Respekt ins Netz bringen“ über ihre schlimmen Erlebnisse geschrieben.

Schauen Sie noch GNTM oder ähnliche Formate im Fernsehen?

Nein, das kann ich gar nicht mehr schauen, nachdem ich die Einblicke hinter die Kulissen bekommen habe und weiß, mit welchen Stilmitteln man dort arbeitet.

Was hat Sie veranlasst, drei Jahre nach der Teilnahme bei GNTM die Erlebnisse in einem Buch darzulegen?

Meine Arbeit an den Schulen hat mir gezeigt, wie viele junge Menschen wirklich unter dem Massenphänomen Cybermobbing leiden und wie viele Menschen sich komplett hilflos fühlen. So wie ich damals.

Wie haben Sie sich gefühlt?

Meine Mama hat das ganz gut beschrieben. Sie hatte das Gefühl, ich ertrinke und ich bin im offenen Meer und sie kann mir keinen Rettungsring zuwerfen. Und so fühlt sich das für mich auch manchmal an, wenn ich in den Schulen bin und die Erlebnisse der jungen Menschen höre. Deswegen war es mir wichtig, über das Thema ganzheitlich aufzuklären und dem einen oder anderen einen kleinen Ratgeber mit an die Hand zu geben. Zudem möchte ich unsere Gesellschaft für das Thema sensibilisieren.

Sie haben mit vielen Schülern in ganz Deutschland über Ihre Erfahrungen bei GNTM gesprochen. Unterschätzen junge Menschen solche Formate und die Folgen von Cybermobbing?

Ich denke, das Hauptproblem an Cybermobbing und Cyberhass sind, dass du die Reaktion von den betroffenen Leuten nicht sehen kannst. Das war vor Social Media noch anders. Da gab es auch Schulhof-Mobbing, aber da hast du die betroffene Person zumindest gesehen und du hast gemerkt, ob der Spaß vielleicht zu weit gegangen ist.

Wenn die Person geweint hat, dann konntest du aufhören. Das fehlt gänzlich bei Social Media. Dort wird viel leichtfertiger mit Hass umgegangen, weil man die Reaktion nicht sehen kann. Und da muss man sensibilisieren, dass hinter jedem Account auch ein Mensch steckt, ein Mensch mit Gefühlen.

Es geht Ihnen bei der Aufklärung also nicht nur darum, den Opfern von Cybermobbing zu helfen, sondern auch junge Menschen davor zu bewahren, Täter zu werden.

Ja natürlich. Es geht um beide Seiten. Allerdings nicht nur das. Ich will auch die riesengroße Masse der Zuschauer erreichen. Die meisten sind weder Täter noch Opfer, sondern die schauen einfach nur zu. Das sind 80 bis 90 Prozent. Ich möchte erreichen, dass die Zuschauer Zivilcourage zeigen und dagegen vorgehen, wenn jemand im Netz gemobbt wird.

Können Sie sich mittlerweile erklären, warum Sie vor drei Jahren als GNTM-Kandidatin plötzlich dermaßen angegriffen und mit Hass überschüttet worden sind?

Es ist superschwer, da auch nur im Ansatz eine Erklärung zu finden, weil die Menschen mir gegenüber ja so unfassbar persönlich geworden sind. Die haben mir den Tod gewünscht und Gewalt angedroht, ohne mich überhaupt persönlich zu kennen. Es ist schwierig, zu verstehen, wie eine Show wie GNTM so etwas überhaupt erreichen kann. Natürlich geht es bei jeder Realityshow darum, starke Emotionen hervorzurufen. Der ganze Schnitt und die dramatische Musik im Hintergrund zielen darauf ab, dass die Zuschauer darauf emotional reagieren. Diese Emotionalität habe ich unterschätzt.

In dem Buch schreiben Sie, dass die Pandemiezeit bei Ihnen ein Brandbeschleuniger gewesen ist.

Ja, das vermute ich. Die Ausstrahlung ging los im Februar 2020 und Anfang April hatten wir den Lockdown. Da spielten unfassbar viel Ängste von den Zuschauern sicher eine Rolle, aber die Menschen hatten plötzlich auch unheimlich viel Zeit und Langeweile. Aber jeden Donnerstagabend kam wieder GNTM und damit etwas zum Aufregen. Ich glaube, das hat alles noch mal angeheizt.

Sie haben jetzt das Buch veröffentlicht. Gab es eigentlich mal eine Reaktion von Heidi Klum in all der Zeit?

Nein. Das ist für mich auch eine der größten Enttäuschung an diesem Format. Ich habe Hedi Klum natürlich über Instagram geschrieben. Ich habe auch ein Video auf Social Media gemacht, in dem ich sie persönlich angesprochen habe. Dort habe ich mir gewünscht, dass in dem Format etwas geändert wird, damit Kandidatinnen nicht mehr so traumatisiert werden.

Ich bin leider kein Einzelfall gewesen. Und da kam gar keine Reaktion. Es gab nur ein Statement zu Beginn der neuen Staffel in diesem Jahr, in dem sie ihre Show gar nicht kritisch betrachtet hat. Und das zeigt mir, dass sie nichts ändern möchte. Das macht mir Angst. Nicht nur wegen der ganzen zukünftigen Kandidatinnen, sondern auch wegen der vielen jungen Zuschauerinnen, die bei GNTM ein völlig falsches Wertebild vermittelt bekommen.

Was können Sie jungen Mädchen über GNTM sagen?

Diese Show bildet in keiner Art und Weise die Realität ab. Auch nicht die Realität vom Modelbusiness. Ich habe früher auch immer gedacht: Den Kandidatinnen geht es gut. Die müssen ja ein Traumleben führen, glücklich sein ohne Ende. Nachdem ich in diese Welt reinschnuppern durfte, habe ich das anders gesehen. Ich bin ganz ehrlich: Vor GNTM, als ich Lehramtsstudentin war, war ich deutlich glücklicher und zufriedener mit mir und mit meinem Leben als zu der Zeit als ich bei GNTM teilgenommen habe. Und da rede ich von der Zeit noch vor der Ausstrahlung.

Der Stress wird unglaublich unterschätzt. Du wirst immer wieder auf deine Fehler hingewiesen. Da gibt es immer jemanden, der ist dünner, besser, schlanker schöner als du. Und das lässt dich immer persönlich zweifeln. Das sind Schattenseiten, über die ich mir vorher keine Gedanken gemacht habe. Es gibt viele Berufe, die erfüllender sind, als Model zu sein.

Was haben Sie jetzt für Pläne?

Für mich steht an erster Stelle mein Verein „Love always wins“. Ich will weiterhin an Schulen gehen und Präventionsarbeit leisten. Zudem ist es mir wichtig, mein Studium abzuschließen, entweder als Grundschullehrerin oder vielleicht auch in die Medienpädagogik zu gehen, weil das mittlerweile eher mein Fachgebiet ist. Hinzu kommt, dass mein Papa vor 15 Jahren eine Schule in Uganda gegründet hat. Ich möchte in diese Schule in Uganda noch in diesem Jahr einsteigen.

Vor drei Jahren konnten Sie sich wegen der Drohungen in Kassel nicht mehr sicher bewegen. Damals hatten Sie auch Polizeischutz. Fühlen Sie sich mittlerweile wieder sicher in der Stadt?

Vor der Veröffentlichung meines Enthüllungsvideos über GNTM im Mai vor einem Jahr habe ich mich nur ungern an öffentlichen Plätzen bewegt, weil der Hass noch so präsent in den Köpfen der Menschen war. Ich habe sehr wohl mitbekommen, dass viele mich erkannt haben, aber nicht gut auf mich zu sprechen waren. Das hat sich nach dem Video deutlich geändert. Mittlerweile liebe ich es wieder, in Kassel unterwegs zu sein. Ich werde an vielen Stellen angesprochen, aber total positiv. Die Menschen sagen mir, wie super sie es finden, was ich tue. Aus Kassel ziehe ich nicht mehr weg. (use)

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