In Schlafsäcken Kälte überleben: Große Hilfsbereitschaft in Kassel für Obdachlose

Damit hat er nicht gerechnet: Viele Leser haben sich bei Kevin Hüvelmann gemeldet, nachdem die HNA über sein Engagement für Obdachlose in Kassel berichtet hat.
Kassel – Im Winter verteilt der bekennende Christ Schlafsäcke und warme Kleidung an obdachlose Menschen in Kassel, kümmert sich um sie, hilft ihnen, warme Schlafplätze zu finden. „Viele Christen haben sich bei mir gemeldet“, sagt er, das habe ihn besonders gefreut.
Eine Nachricht kam von Michael Geymeier. Der 58-jährige Pastor der Heilsarmee in Kassel weiß, wie sich Obdachlose fühlen in den eiskalten Nächten im Winter. Als junger Mann hat er selbst mehrere Jahre auf der Straße gelebt, es waren Jahre des Kampfes, er hat viel erlebt, und er weiß: „Die kalten Nächte sind schlimm.“
Geymeier ist in Wehlheiden aufgewachsen, in einer alteingesessenen Gastronomenfamilie: Wo heute der Hochbunker an der Gräfestraße steht, hatte seine Familie jahrzehntelang die Gaststätte Quick betrieben. Er war 16 Jahre alt, als er sich für ein freies Leben auf der Straße entschied. Fünf, sechs Jahre lang kam er viel rum, mit Anfang 20 landete er in Freiburg, wo er in einem Obdachlosenheim unterkam. „Dort kam ich zur Heilsarmee und zum Glauben“, sagt Michael Geymeier, denn das Männerwohnheim wurde von der Heilsarmee betrieben.
Geymeier schaffte dort den Sprung zurück ins Leben: Er holte Schulabschlüsse nach und machte am Institut der Heilsarmee in der Schweiz eine theologische Ausbildung zum Pastor. An seiner Seite war seine Frau Sabine Geymeier: Die Sozialarbeiterin hatte er in Freiburg kennengelernt, wo sie in einem Jugendcafé arbeitete. Auch sie wurde Pastorin, das Ehepaar arbeitete 18 Jahre lang für die Heilsarmee in Bielefeld. Seit einigen Monaten sind sie nun in Kassel für die Menschen da, die am Rande der Gesellschaft stehen.
„Aber ohne Ehrenamtliche ist das kaum möglich“, sagt Geymeier und freut sich, dass er über die HNA Kevin Hüvelmann kennengelernt hat. Die beiden wollen für die Obdachlosen zusammenarbeiten. Die Geldspenden, die Hüvelmann für die Anschaffung von Schlafsäcken angeboten werden, leitet er an die Heilsarmee weiter. Gemeinsam wollen sie die Schlafsäcke verteilen, etwa spezielle wetterbeständige Schutzanzüge für Obdachlose, die eine Kombination aus wetterfester Jacke, Schlafsack und Rucksack sind. „Darin können Menschen überleben“, sagt Geymeier. Aus Spenden für die Heilsarmee hat er aktuell 30 dieser sogenannten Shelter-Suits gekauft.
Laut Kevin Hüvelmann gibt in Kassel es zu wenig sichere, beheizte Schlafplätze für Obdachlose. Die Aussage der Stadt, dass jeder Mensch in Kassel Wärmehilfe bekomme, „stimmt so nicht, und das weiß hier jeder im sozialen Bereich.“ Wenn er Obdachlose treffe und ihnen bei der Suche nach einer Unterkunft helfe, „dann höre ich oft: Wir sind voll.“ Man könne Obdachlose in den Einrichtungen doch zur Not auch auf dem Flur schlafen lassen, sagt Hüvelmann, „alles ist besser, als nachts draußen zu sein.“ Dem widerspricht Michael Geymeier von der Heilsarmee, denn professionelle Einrichtungen müssten sich an gesetzliche Regelungen halten, auch was den Brandschutz angehe.
Spezial-Schlafsack
Ein niederländisches Unternehmen hat den wetterfesten Schutzanzug für Obdachlose entwickelt. Der multifunktionale Wärmespender kostet 400 Euro. Er besteht aus einer wind- und wasserdichten Jacke mit großer Kapuze, eingenähtem Schal und großen Taschen. Er kann schnell in einen Schlafsack umgewandelt werden. Der Boden lässt sich öffnen, sodass beispielsweise ein Hund mit hinein kriechen kann. Außerdem gehört ein Seesack zum Schlafsack, in den dieser zum Transport verstaut werden kann.
Geymeier ist sicher, dass die Obdachlosenzahlen in Kassel steigen werden, insbesondere wegen der hohen Kosten für Energie, Lebensmittel, Wohnraum. „Die Not wird größer werden, speziell für die, die dadurch neu obdachlos werden“, sagt er, „für sie wird es schwierig.“ Denn die erfahrenen Obdachlosen wüssten, wo sie unterkommen und Hilfe bekommen können.
Vergangenes Wochenende traf Kevin Hüvelmann am Bahnhof Wilhelmshöhe auf einen Obdachlosen, der nur eine dünne Decke hatte. Ihm schenkte er einen Schlafsack: „Er hat sich sehr gefreut, denn er war für ihn sehr wertvoll.“ Neben Schlafsäcken seien auch Isomatten für das Überleben auf der Straße wichtig, sagt Hüvelmann. Wer also Isomatten spenden möchte, kann sich bei ihm melden.
Jeder könne helfen, appelliert Hüvelmann an die Mitmenschlichkeit der Menschen. Michael Geymeier weiß aus eigener Erfahrung: „Es ist wichtig, sich mit den Menschen auseinanderzusetzen und ihnen zuhören, denn hinter jedem Leben steht eine Geschichte.“
Kontakt: per E-Mail an kevin.huevelmann@web.de oder kasselkorps@heilsarmee.de
Das sagt die Stadt Kassel
„Es ist oberstes Gebot, dass niemand erfrieren soll“, sagt Anja Deiß-Fürst, Amtsleiterin im Sozialamt der Stadt. Es habe in Kassel in den vergangenen 40 Jahren noch keinen Kältetoten gegeben. Es gebe ausreichend Unterkünfte in der Stadt. „Uns ist nicht bekannt, dass Menschen abgewiesen werden.“ Gleichwohl seien in manchen Einrichtungen Hunde und Alkohol nicht erlaubt. Und wenn in den kalten Nächten doch noch Platz benötigt werde, dann kümmere sich die Stadt „bedarfsgerecht und unbürokratisch“ um Hotelzimmer in den kooperierenden Häusern.