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Kasseler Dechant Martin Gies über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche: „Habe mich tief geschämt“

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Von: Ulrike Pflüger-Scherb

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„Viele Amtsträger und Verantwortliche der Kirche haben Jesu Auftrag und seine Botschaft verraten“: Dechant Martin Gies ging gestern in seiner Predigt in der Kirche St. Andreas (Forstfeld) auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ein.
„Viele Amtsträger und Verantwortliche der Kirche haben Jesu Auftrag und seine Botschaft verraten“: Dechant Martin Gies ging gestern in seiner Predigt in der Kirche St. Andreas (Forstfeld) auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ein. © Andreas Fischer

Das Gutachten zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche wurde am Sonntag auch in der Predigt von Dechant Martin Gies in der Gemeinde St. Andreas in Kassel thematisiert.

Kassel – „Es muss angesprochen und aufgearbeitet werden“, sagte der 31-jährige Gregor Sänger, nachdem er am Sonntagmorgen die katholische Kirche St. Andreas an der Ochshäuser Straße verlassen hatte.

Etwa 100 Katholiken haben den ersten Gottesdienst nach der Veröffentlichung des Gutachtens zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche im Stadtteil Forstfeld besucht, den Dechant Martin Gies gehalten hat. Gies hat deutliche und kritische Worte zu den Vorwürfen gegenüber den Verantwortlichen seiner Kirche gefunden. Aus dem Gutachten geht unter anderem hervor, dass der emeritierte Papst Benedikt XVI. in seinerzeit als Münchner Erzbischof (1977 bis 1982) in vier Fällen nicht ausreichend gegen Missbrauchstäter vorgegangen sein soll.

Man müsse leider zugeben, dass im Lauf der Jahrhunderte viele Amtsträger und Verantwortliche der Kirche, die sich auf die Sendung durch Jesus Christus berufen hätten, Jesu Auftrag und seine Botschaft verraten hätten, sagte Gies in seiner Predigt. Ihnen sei die strahlende Fassade der Institution Kirche wichtiger als das Heil der Menschen gewesen. Die Ergebnisse der Studien über Missbrauch in der Kirche hätten das auf beschämende Weise bestätigt. „Ich habe mich tief geschämt für unsere Kirche“, so der Dechant. „Unsere Glaubwürdigkeit ist auf einem Tiefpunkt angelangt, und wir werden lange brauchen, bis wir dieses verloren gegangene Vertrauen wiedererlangen.“

Jetzt seien dringend Reformen in der Kirche gefragt, die auch die Struktur erfassten. Gies appellierte auch an die Verantwortung der Gläubigen. Sie dürften den Weihestand nicht überhöhen, als wären Menschen schon „aufgrund der Weihegnade immun gegenüber sündhaftem Denken und Verhalten“. Man solle aus Priestern nichts Besonderes machen, es seien ganz normale Menschen.

Nach dem Gottesdienst bekam Gies von einigen Katholiken Zuspruch, nicht alle Gläubigen, die die Kirche verließen, wollten sich zu dem Thema äußern.

Gies habe die richtigen Worte in der Predigt gefunden, sagte eine Frau. Sie sagte aber auch, dass Missbrauch nicht nur ein Problem in der katholischen Kirche, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem sei.

Der Dechant erzählte, dass es nach der Veröffentlichung der Vorwürfe auch einige Anrufe im Kolpinghaus gegeben habe. Dort seien die Sekretärinnen am Telefon beschimpft worden, weil die Leute ihren Frust loswerden wollten.

Pfarrer Harald Fischer (St. Familia), der Vorgänger von Dechant Gies, kann nachvollziehen, dass sich einige Katholiken jetzt die Frage stellen, ob sie noch zu dieser Kirche gehören wollen. „Der Schaden für die katholische Kirche, den das Totalversagen der Führungskräfte und der Personalverantwortlichen – Generalvikare, Bischöfe und Kardinäle – angerichtet haben, ist unermesslich. Da hilft nur noch ein schonungsloses Schuldeingeständnis aller, die Verantwortung tragen und die sich durch ihre Untätigkeit und ihr Wegschauen zu Komplizen der pädophilen Missbrauchstäter im Priestergewand gemacht haben. Das gilt auch für den emeritierten Papst Benedikt“, so Fischer. Seine in der vatikanischen Stellungnahme veröffentlichten Aussagen machten erschreckend deutlich, dass er die wahre Tiefe des Problems immer noch nicht erkannt habe. „Für mich ist beschämend, dass ich Mitglied einer Täterorganisation bin, in der es immer schwerer wird, die befreiende Botschaft Jesu Christi sichtbar zu machen“, so Fischer.

Harald Fischer, Pfarrer der Gemeinde St. Familia, lädt für Mittwoch, 26. Januar, 19.30 Uhr, zu einem Online-Gespräch über die notwendigen Konsequenzen aus der Missbrauchskrise ein. Anmeldung über E-Mail ist notwendig: pfarrei@sankt-familia-kassel.de

(use)

Harald Fischer
Harald Fischer © Privat

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