Der laufende Neubau ist ein erster Test für Bauherren und Architekt. Deshalb wird hier das Stroh nur im Staffelgeschoss eingesetzt. Für die Statik sorgt eine Fachwerkkonstruktion, die Ballen werden in die Gefache gepresst. Anschließend werden die Ballen von innen mit Lehm verputzt und von außen mit Holzplatten verschalt. Bei den zwei weiteren geplanten Häusern soll von außen lediglich ein Kalkputz auf das Stroh aufgebracht werden, um Feuchtigkeit und damit Schimmel fernzuhalten.
Während die Kosten ähnlich wie beim konventionellen Bauen sind, sei neben ökologischen Aspekten vor allem das angenehme Raumklima ein Pluspunkt, so Harney. Das Material speichere im Sommer viel Wärme und halte im Winter die Kälte ab. Allein mit den Ballen lasse sich ein KfW-40-Standard erreichen. Auch beim Brandschutz schneide Stroh besser ab, als so mancher vermute. Die eingesetzten Ballen mit einer Putzschicht erreichten die Feuerwiderstandsklasse F30 und seien damit schwer entflammbar.
Ein Haus aus Stroh? Was für manchen nach Märchenstunde oder ökologischer Spinnerei klingt, ist längst Realität. In anderen Regionen Deutschlands gibt es bereits größere Bauprojekte aus gepressten Strohballen. In Kassel werden nun mit Unterstützung des Architekten Christoph Harney die ersten Mehrfamilienhäuser in dieser Bauweise erstellt. Die Genossenschaft „Kassel im Wandel“ setzt bei ihrem Neubauprojekt im Baugebiet „Zum Feldlager“ auf den ökologischen Baustoff.
Hat man Stroh nicht schon vor Jahrhunderten im Bau eingesetzt?
Das ist richtig. Beim klassischen Fachwerkbau kam schon früher ein Stroh-Lehm-Gemisch zum Einsatz. Relativ unüblich war bislang der Einsatz von kompletten Strohballen, die stark gepresst zum Einsatz kommen. Wobei man unterscheiden müsse zwischen lasttragendem Strohballenbau und nicht lasttragendem Strohballenbau, sagt Architekt Christoph Harney. Bei der ersten Variante übernehmen die verputzten Ballen statische Aufgaben. Bei der zweiten Variante – die bei den Kasseler Neubauten zum Einsatz kommt – werden die Strohballen in eine Holzständerkonstruktion gepresst.
Was sind die Vorteile der Strohballen?
„Bauen mit Stroh schützt das Klima dreifach“, sagt Harney. Zunächst werde beim Wachstum des Getreides Kohlendioxid (CO2) gespeichert. Bei der Herstellung der Strohballen würden zudem minimale Emissionen entstehen – ganz anders als bei Beton oder Ziegelsteinen. Zuletzt sorge das Stroh für eine effektive Wärmedämmung, die dem KfW-40-Standard entspreche. Ohnehin würden 20 Prozent des in der Landwirtschaft anfallenden Strohs nicht benötigt. Es sei ein regional verfügbares und nachwachsendes Nebenprodukt des Getreideanbaus. Anders als bei Agrarprodukten wie Raps oder Hanf gebe es beim Stroh keine Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion, erläutert Harney.
Wie ist es mit dem Brandschutz?
Da gelten hohe Auflagen. Entsprechende Abstimmungen mit Bauaufsicht und Feuerwehr für die zwei weiteren Bauabschnitte im Feldlager, die komplett mit Strohballen erstellt werden sollen, laufen deshalb. Loses Stroh ist leicht entflammbar. In stark gepresster Form wird den Halmen durch den Druck die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten. Wird es dann mit Kalk- oder Lehmputz versehen, entspricht es – je nach Dicke der Putzschicht – der Feuerwiderstandsklasse F30 oder F90. Das heißt, ein so gebautes Haus hält einem Feuer mindestens 30 beziehungsweise mindestens 90 Minuten stand, bevor es zusammenfällt.
Wie weit sind die Kasseler Bauprojekte?
Der Rohbau des 50 Meter langen Mehrfamilienhauses der Genossenschaft „Kassel im Wandel“ ist fast fertig – im Sommer 2023 ist Einzug. Das Vier-Millionen-Euro-Projekt bietet Platz für 17 Mietwohnungen – die Hälfte ist sozial gefördert. Hinter dem Konzept der Genossenschaft steht gemeinschaftliches und generationsübergreifendes Leben und Arbeiten. Für den zweiten Bauabschnitt – der auch zwischen Sophie-Junghans-Straße und Niederfeldstraße gebaut wird – ist der Bauantrag in Vorbereitung.
Die Genossenschaft hofft, nächstes Jahr mit den Arbeiten beginnen zu können. Für diesen und den dritten Bauabschnitt werden weitere Genossenschaftsmitglieder gesucht. Interessierte sind zum Richtfest am Freitag, 24. Juni, 13 Uhr, eingeladen, sich vor Ort ein Bild zu verschaffen. Das Wohnprojekt wurde vom Land als Modellprojekt anerkannt und gefördert.
(Bastian Ludwig)
Wer sich selbst ein Eigenheim errichten will, muss aus verschiedenen Gründern immer mehr bezahlen. Beim eigenen Wohnhaus auf ökologische Baustoffe zu setzen, lohnt sich deshalb auch in Kassel.