Zerstörungswut gefährdet Erhalt von Kasseler Blindenpfad

Kassel. Der 1974 eröffnete Kasseler Blindenpfad galt bundesweit als Vorbild. Zunehmende Zerstörungen stellen den Erhalt jetzt allerdings in Frage.
Der Naturpark Habichtswald kommt mit der Reparatur nicht nach.
Über weite Strecken sind die Pfosten herausgerissen und die Balken des Geländers umgeschmissen. Geborstenes Holz belegt, dass hier jemand Zerstörung mit großem Aufwand betrieben hat. Mit blinder Wut machen sich derzeit Unbekannte am Kasseler Blindenpfad in Harleshausen zu schaffen.
„Der aktuelle Vandalismus ist eine völlig neue Dimension“, sagt Per Busch. Zweimal täglich geht er mit Hündin Peggy den bundesweit ersten Blindenweg – offiziell Waldwander-, Waldlehr- und Gymnastikpfad für Blinde und Sehende. Dass immer wieder mal einzelne Stellen des mehr als zwei Kilometer langen Pfades kaputt seien, sei klar. Was sich aber seit etwa vier Wochen hier im Wald abspiele, sei systematische Zerstörung, klagt der 48-Jährige, der bei einer Explosion sein Augenlicht verlor.
Blinde können über das etwa ein Meter hohe Geländer am Rand des Pfades ihren Blindenstock gleiten lassen und finden so den Weg durch den Wald. Aber auch Sehbehinderte und Menschen mit mangelnder Orientierung – etwa mit beginnender Demenz – nutzten die Anlage, betont Busch. Seit 2001 gehe er auf dem Blindenpfad. Dieser sei für ihn ein Grund gewesen, nach Harleshausen zu ziehen.

Der 1974 eröffnete Weg war von Forstamtsleiter Klaus Eichel, Bruder des ehemaligen Ministerpräsidenten und Oberbürgermeisters Hans Eichel, initiiert worden. Damals existierte an der Eschebergstraße noch das Blindenheim, das seit Jahren als Seniorenwohnanlage genutzt wird.
Auch für Felix Herwig stellt der Weg im Grunde die einzige Möglichkeit dar, den Wald fast selbstständig zu erleben. Der elfjährige Harleshäuser ist seit seiner Geburt blind. Beim Spaziergang auf der Anlage wird er zwar von seinen Eltern begleitet, kommt aber ohne deren Hilfe und Führung aus.
Für den Blindenpfad ist der Naturpark Habichtswald zuständig. Ungeachtet der aktuellen Vandalismusprobleme stelle der personelle und finanzielle Aufwand eine Herausforderung dar, erklärt Naturpark-Geschäftsführer Jürgen Depenbrock. Eigentlich müsse man jede Woche eine Sichtkontrolle machen, doch zähle der Betriebshof des Naturparks nur vier Mitarbeiter.
In dieser „Exklusivität“ könne der Blindenpfad deshalb nicht bestehen bleiben, sagt Depenbrock. Dennoch wolle der Naturpark daran festhalten. Um die Konstruktion stabiler zu machen und die Reparaturkosten zu verringern, soll das Geländer künftig nur noch 50 Zentimeter (bisher etwa ein Meter) hoch sein. Balken würden in den nächsten Jahren nach und nach ausgetauscht, kündigt Depenbrock an.
Sponsoren für Blindenpfad gesucht
Der Naturpark behält sich vor, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Die Reparatur der Schäden durch mutwillige Zerstörung könne schnell mehrere zehntausend Euro kosten. Über finanzielle Unterstützung für den Blindenpfad würde sich Jürgen Depenbrock daher freuen. Gern können sich Sponsoren bei ihm oder beim Naturpark unter 0561 / 1003 1111 melden.

Hintergrund: Bundesweit der erste Blindenpfad
Der Blindenpfad in Harleshausen wurde 1974 als erster Waldwander-, Waldlehr- und Gymnastikpfad für Blinde und Sehende in Deutschland angelegt. Er entstand aus der Zusammenarbeit des Forstamtes Kassel mit dem Blindenbund Hessen und der Blindenanstalt Marburg. Der Blindenpfad ist mit Geländer sowie mit Tafeln in Normal- und Blindenschrift ausgestattet. Nach dem Kasseler Vorbild und mit hier hergestellten Bauteilen wurden auch Pfade zum Beispiel in Marburg, Wiesbaden, Arnstadt und Erfurt geschaffen. Für die Unterhaltung des mehr als zwei Kilometer langen Blindenpfads in Kassel ist der Naturpark Habichtswald zuständig. Unser Foto zeigt die Betriebshof-Mitarbeiter (von links) Salomon Tekle, Markus Lotze und Lukas Dittmann beim Austausch des kaputten Geländers.