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Forscher über Hass im Netz: Schulen müssen Instagram und Co. ernst nehmen

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Von: Matthias Lohr

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Eines von unzähligen Hassbildern im Netz: Die Instagram-Seite „wachaufdeutschland“ macht immer wieder Stimmung gegen Politiker wie Jens Spahn und Angela Merkel.
Eines von unzähligen Hassbildern im Netz: Die Instagram-Seite „wachaufdeutschland“ macht immer wieder Stimmung gegen Politiker wie Jens Spahn und Angela Merkel. © nh

Mit Hassbildern wird im Netz Stimmung gegen Menschen gemacht. Um etwas dagegen zu tun, müssen wir uns mit sozialen Medien beschäftigen - auch in der Schule, sagt ein Kasseler Forscher.

Kassel – Mit einem Vortrag über Hassbilder eröffnet der Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff am Dienstag den Kasseler Präventionstag im Rathaus. An zwei Tagen will die vom Kasseler Präventionsrat organisierte Veranstaltung aufklären, wie man gegen Hass und Hetze im Netz vorgehen kann. Wir sprachen darüber mit dem Kunsthochschul-Professor Hornuff.

Bei Hate Speech denken die meisten vor allem an Texte. In dem Begriff ist ja auch keine Rede von Bildern. Welche Rolle spielen jedoch Hassbilder, mit denen Sie sich eingehend beschäftigt haben?

Hassbilder geben dem Hass ein Aussehen und sind Multiplikatoren des Hasses. Man darf nicht vergessen, dass Hass auch ansteckend wirken soll. Man möchte andere Menschen an einer abwertenden Kommunikation in den sozialen Medien beteiligen. Bilder sind ein Mittel, um Hass möglichst attraktiv erscheinen zu lassen und um andere in Hetzkampagnen gegen Minderheiten oder auch gegen Einzelpersonen zu mobilisieren.


Sie sagen, dass Hass in den seltensten Fällen einfach so aus Menschen herausbricht, sondern dass er meist gemacht wird. Was bedeutet das für den Kampf gegen Hass?

Wenn ich mir Hass-Postings im Internet anschaue, kann ich nicht wirklich nachweisen, was die Postenden dazu bewegt hat. Ich kann mir nur die Machart dieser Hass-Postings anschauen. Gerade bei Bildern des Hasses, etwa bei antisemitischen Darstellungen, ist offenkundig, dass sich Menschen sehr genau Gedanken darüber machen, wie sie solche Bilder inszenieren und verbreiten können. Diesen Hassbildern liegt also ein sehr kühles, sehr strategisches Kalkül zugrunde. Gerade bei Bildern, die eine große Reichweite erreichen, wird klar, dass es keine dummen Menschen sind, die sich das ausgedacht haben. Sie wissen ihre Intelligenz für den Hass einzusetzen.

Zuletzt hat der Musiker Gil Ofarim Schlagzeilen gemacht, der in einem Leipziger Hotel wegen einer Kette mit Davidstern antisemitisch angefeindet worden sein soll. Der Hotel-Mitarbeiter wirft Ofarim Verleumdung vor. Es gibt Zweifel an Ofarims Darstellung. Was lässt sich mit Sicherheit über den Fall und dessen Folgen sagen?

Über den Fall als solchen lässt sich bislang wenig sagen. Klar ist aber, dass rechte Bewegungen den Fall sofort genutzt haben, um Stimmung gegen den Sänger zu machen und ihn offen antisemitisch zu diskriminieren. Man hat etwa die Kette, um die es dort ging, in die Videoaufnahmen montiert. So sollte der Sänger lächerlich gemacht und einer Lüge überführt werden. Solche Bilder sind gefährlich, weil ihnen die Manipulation nicht mehr anzusehen ist. Oft überschreiten sie die Grenze zur strategisch gesetzten Desinformation.


Inwieweit kommen diese Angriffe nicht nur von rechtsaußen, sondern auch aus der Mitte der Gesellschaft?

Gerade in antisemitischen Kontexten können wir gar nicht mehr eindeutig trennen zwischen Gruppen, die sich am Rand der Gesellschaft befinden, und solchen in der vermeintlichen Mitte. So ist bei den „Querdenker“-Demonstrationen nahezu das gesamte gesellschaftliche Milieu involviert. Man kann natürlich nicht allen Personen, sie sich an den Demos beteiligt haben, Antisemitismus unterstellen. Aber allein die Beteiligung an solchen Formaten legitimiert Antisemitismus, denn er ist inhärenter Bestandteil dieser Bewegung. Gerade rechtsradikale Gruppierungen haben eine Raffinesse darin gefunden, sich selbst zu einer Mainstream-Bewegung zu popularisieren. 


Sie haben Hassbilder aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen untersucht. Was unterscheidet etwa die Bildsprache von Rechts- und Linksextremisten?

Im Rechtsextremismus geht es oft darum, Anschluss an tradierte Bildkulturen zu finden. So referenzieren viele antisemitische Hass-Postings von heute auf frühere Bilder. Der Antisemitismus besitzt eine äußerst stabile Bildtradition, die sich auf wenige angebliche körperliche Merkmale von Menschen jüdischen Glaubens bezieht. Sie werden ins Monströse, Tierähnliche, Groteske überformt und so zur Diskriminierung genutzt. Diese Bildkultur wird heute wiederum aufgegriffen und bestätigt. Beim Linksextremismus geht es viel stärker darum, vermeintliche Obrigkeiten in diskriminierende Darstellungen zu verwickeln. Repräsentanten des Staates werden in erniedrigenden Posen gezeigt, die häufig mit Gewaltimplikationen einhergehen. So führt man etwa immer wieder am Boden liegende Polizisten vor, die mit Fußtritten attackiert werden. Das sind typische, sich wiederholende  linksextremistische Bildmerkmale.

Islamisten werben um Anhänger auch mit aufwändigen Filmen, die wirken, als seien sie in Hollywood entstanden. 

Islamistische Gruppen versuchen, Anschluss an westliche Pop-Kulturen und eine Hollywood-Ästhetik herzustellen. So können sie ihre Gewaltvideos auch in westlichen Gesellschaften verbreiten. Man nutzt die Stilmerkmale einer westlichen Kultur, um sie gegen die westlichen Kulturen zu wenden. 


Aber nicht nur Islamisten nutzen Elemente der Pop-Kultur, oder?

Das stimmt. Auch die sogenannte Neue Rechte versucht, in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft Platz zu finden, indem sie die Muster der Pop-Kultur adaptiert hat und ganz gezielt bedient. Rechtsradikalismus sieht heute nicht mehr aus wie der Rechtsradikalismus in den 1990er-Jahren. Es sind nicht mehr Baseballschläger, Springerstiefel und Bomberjacken, mit denen Rechtsradikale auftreten. Sie bedienen sich viel subtilerer Strategien, die insbesondere in den sozialen Medien ausgespielt werden. Der neue Rechtsradikalismus hat sehr viel bei linken, emanzipatorischen Protestbewegungen gelernt - vor allem in performativer Hinsicht. Er kopiert deren Formen zur gesellschaftlichen Einflussnahme.

Wir leben in einer Gesellschaft, die zu einem großen Teil visuelle Medien nutzt. Wie kann jeder einzelne dort vorbeugend aktiv werden?

Wir müssen in Schulen Bild- und Medienkompetenz vermitteln. Medienbildung und Bildwissen, das müssten viel stärker inhärente Bildungsaufgaben sein. Nur so wäre möglich, jungen Menschen gezielt mit Bild- und Medienwelten aus den sozialen Medien auseinandersetzen zu lassen. Es muss gelernt werden, was Bilder anrichten können und wie sie genutzt werden, um Menschengruppen abzuwerten. Jedem muss klar sein, wie folgenreich Bildern sein können, welche persönliche Schäden sie anrichten können. Das setzt aber voraus, dass man die Scheu vor den sozialen Medien ablegt. Viel zu oft werden sie als zu oberflächlich, zu trivial, zu wenig hochkulturell angesehen. Das gilt auch für Universitäten.


Sie setzen sich mit ihren Studenten also auch mit Instagram und Co. auseinander?

Ich spreche sehr ausführlich über Inhalte von Instagram, Youtube, TikTok, Facebook und Twitter. Das alles findet in meinen Lehrveranstaltungen statt. Oft rümpfen manche die Nase und fragen, warum man sich mit so einem angeblich lächerlichen Zeug an einer Kunsthochschule beschäftigen soll. Aber gerade weil in unserer Gesellschaft über reichweitenstarke Medien so vieles und Grundsätzliches ausgehandelt wird, halte ich es für unabdingbar, dass wir uns in Bildungsinstitutionen damit auseinandersetzen. Das darf nicht nur nebenbei geschehen. 


Gerade hat ein Video der konservativen Medienmarke „The Republic“ Schlagzeilen gemacht, das mit schnell geschnittenen Bildern und dramatischer Musik vor SPD, Grünen und Linken warnt. Verantwortlich dafür ist ein ehemaliger Mitarbeiter der CSU-Bundestagsfraktion. Muss man befürchten, dass die Union verstärkt wie die AfD kommuniziert? 

Wenn man sich das Angebot anschaut, könnte man diese Befürchtung haben. Es wird versucht, auf eine Querfront-Ästhetik zu setzen. Es gibt einen Hang zur Skandalisierung, zum Grellen und zur polemischen Vereinseitigung von Themen. Trotzdem glaube ich, dass solch ein Angebot auf Dauer nicht verfängt, weil zu wenige aus dem konservativen Spektrum mit an Bord sind. Viele prominente Unionspolitiker haben sich von dem Angebot distanziert. Umso mehr macht „The Republic“ auf ein Dilemma des heutigen Konservatismus aufmerksam: Er ist programmatisch entkernt. Zumindest kann er sein Programm nicht mehr so kommunizieren, dass es als ein mehrheitsfähiges gesellschaftliches Angebot wahrgenommen wird.

Die Eröffnung mit dem Vortrag von Daniel Hornuff beginnt Dienstag (18 Uhr) im Rathaus. Das Programm: kassel.de/praeventionsrat

(Matthias Lohr)

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