Als Naherholungsgebiet – nicht nur während der Pandemie – ist die Aue ähnlich beliebt und hat deutlich mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick sieht. Wer weiß schon, dass die riesigen Eichen in der Nähe des großen Bassins mindestens 300 Jahre alt sind? „Die Karlsaue beherbergt eine große Artenvielfalt und ist Heimat für seltene Pflanzen und Tiere“, sagt Florian Kahl, der Parkleiter von Hessen Kassel Heritage. Wilde Orchideen wachsen hier ebenso wie die Teufelskralle, es gibt streng geschützte Schmetterlingsarten, Libellen und Käfer. Eine Vielfalt, die sich im Farbenrausch des Frühlings auf der Blumeninsel Siebenbergen fortsetzt.
Auch wenn das alles nach Landgraf Karl, der von 1670 bis 1730 Herrscher in Kassel war, benannt ist, gibt es Vorläufer. Bereits Wilhelm IV. ließ ab 1568 das sumpfige Gelände zwischen der Fulda und ihrem Seitenarm, der Kleinen Fulda, trockenlegen. Landgraf Karl machte daraus dann einen barocken Park mit einer Fläche von 150 Hektar (mehr als 200 Fußballplätze). Später wurde daraus nach und nach ein Landschaftspark nach englischem Vorbild.
Prägend sind damals wie heute die Sichtachsen entlang der Kanäle Hirschgraben und Küchengraben sowie von der Schwaneninsel im Großen Bassin zur Orangerie. Früher gab es übrigens noch eine an einem Drahtseil befestigte Fähre zur Blumeninsel. Im Krieg wurde das Boot durch eine Bombe zerstört. Die heutige Fußgängerbrücke entstand zur Bundesgartenschau 1955.
Der Bergpark Wilhelmshöhe mit dem Herkules war vor gut 300 Jahren eine Ansage, die Gestaltung der Karlsaue genauso. Landgraf Karl wollte allen anderen bedeutenden Herrschern zeigen, was er zu bieten hat. Es waren enorme Kraftanstrengungen, die er von seinen Untertanen verlangte. Der Bergpark gehört heute zum Weltkulturerbe, die Karlsaue ist Teil des europäischen Gartenerbes. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Als grünes Herz der Stadt ist die Karlsaue ein wunderschönes Naherholungsgebiet. Die Auseinandersetzung um das Radfahren lassen wir an dieser Stelle mal beiseite und blicken auf die Entwicklung hin zum heutigen Staatspark.
Die Anfänge: Früher lag das Gebiet der Karlsaue wie eine Insel zwischen der Fulda und der Drusel, die in ihrem unteren Verlauf damals wie heute Kleine Fulda heißt. Die wurde teilweise zugeschüttet, der Küchengraben liegt im ehemaligen Flussbett, die Drusel ist kanalisiert. Schon vor 450 Jahren ließ der damalige Landgraf Wilhelm IV. auf der Insel einen Garten anlegen. Landgraf Moritz erweiterte ihn, ehe ab 1680 die barocke Erweiterung unter Landgraf Karl begann.
Die Orangerie: Nach neun Jahren Bauzeit wurde 1710 die Orangerie fertig. Sie stand bereits in einer Parkanlage, die sich zunehmend am englischen Landschaftsgarten orientierte. Die knapp 140 Meter breite Orangerie diente unter anderem zum Überwintern von Kübelpflanzen, wurde aber auch von der landgräflichen Familie als Sommerresidenz und für größere Feiern genutzt.
Der Krieg: Im Zweiten Weltkrieg und insbesondere in der Bombennacht vom 22. Oktober 1943 bekam die Aue zahlreiche Treffer ab. Von der Orangerie blieb nur eine Ruine übrig, auf den Grünflächen gab es viele Bombentrichter. Mittlerweile ist das gesamte Gelände vom Kampfmittelräumdienst sondiert, Sprengstoffreste wurden beseitigt. Bei den beiden Kasseler Bundesgartenschauen 1955 und 1981 war die Karlsaue ein zentraler Standort. Der Rosenhang, wie wir ihn heute kennen, wurde zehn Jahre nach dem Krieg auf Trümmerschutt angelegt. Unter der Bepflanzung im Übergang zwischen der Innenstadt und der Karlsaue befindet sich die Erinnerung an das zerstörte Kassel.
Die zweite Buga: Als 1981 zum zweiten Mal eine Bundesgartenschau in Kassel stattfand, war die Orangerie endlich keine Ruine mehr. Sie wurde in vereinfachter Form rekonstruiert. Mittlerweile ist sie wieder sanierungsreif, die Zukunft des astronomisch-physikalischen Kabinetts und des Planetariums im Mittelteil müssen geklärt werden.
Die documenta: Keine Regel ohne Ausnahme. Denn eigentlich sollen documenta-Außenkunstwerke nicht dauerhaft in der Karlsaue bleiben. Das gilt schon seit 1982 nicht mehr so ganz. Damals blieb die blaue Spitzhacke des Künstlers Claes Oldenburg am Ufer der Fulda stehen. Sie ist längst zu einem Stück Kassel geworden. Das gilt auch für den Penone-Baum aus Bronze, der eigentlich Idee di Pietra heißt. Der ist seit 2012 Teil der Karlsaue.
Am nächsten Mittwoch geht es in Folge 2 um Tiere in der Aue.