Kasseler Vintage-Laden: Hier wird Altes wieder schick gemacht

In einer alten Industriehalle in der Kasseler Innenstadt hat ein Paar einen ungewöhnlichen Vintage Store für Retro-Möbel und alte Lampen eröffnet. Die „Aesthetischen Werke“ sind aber mehr als ein Laden.
Kassel – Juliane Hebeler sieht Dinge, die andere nicht sehen. Die 41-Jährige hat seit jeher ein Faible für alte Möbel und Design. In ehemaligen DDR-Fabriken, die seit der Wende leer stehen, entdeckt sie zum Beispiel heruntergekommene Industriemöbel, aus denen sie dann Schätze macht. „Ich sehe überall ungeschliffene Diamanten“, sagt die Kasselerin.
Die bearbeitet sie mit ihrem Partner Fernando Vargas in ihrem Vintage Store „Aesthetische Werke“ am Königstor. In der 400 Quadratmeter großen Industriehalle in einem Hinterhof gegenüber den Städtischen Werken war früher eine Schlossereischule und später ein Jeansladen. Heute ist sie, wie Hebeler sagt, „unser zweites Zuhause“ und noch viel mehr.
Auf den ersten Blick gibt es hier viele alte Möbel und Lampen aus dem letzten Jahrhundert. Freunde des Bauhauses, von Industrial-Design, leuchtenden Buchstaben und Urban Gardening werden hier in jedem Fall fündig. „Wir haben nur Sachen, die wir am liebsten selbst behalten würden“, sagt Vargas. Doch das Paar hat seine „Aesthetischen Werke“ auch als Concept-Store mit offener Werkstatt und als Veranstaltungsort entworfen.
Der Laden von Hebeler und Vargas ist so ungewöhnlich wie die Biografien der beiden. Die Kasselerin studierte Deutsch und Spanisch auf Lehramt und wollte eigentlich ihre Doktorarbeit über spanische Literatur schreiben. Nebenbei machte sie immer andere Dinge. 2012 eröffnete sie zur documenta mit ihrer Schwester auf dem Parkhaus in der Wilhelmsstraße das Pop-up-Hotel „Baya Central“.
Fünf Jahre später lernte Hebeler auf der documenta Vargas kennen. Der peruanische Filmemacher und Fotograf kam 1992 für ein Festival nach Berlin, wo er eine seiner Arbeiten vorstellen wollte, blieb dann aber der Liebe wegen in Kassel. An der Kunsthochschule beendete der Familienvater sein Studium der Visuellen Kommunikation. Mittlerweile arbeitet er als Lehrer für Gestaltung und Medientechnik an der Arnold-Bode-Schule.

Viel zu oft heißt es, jemand habe seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Aber auf wen trifft der Satz besser zu als auf Hebeler und Vargas? Bis zu 100 Stunden in der Woche arbeitet die Firmengründerin gerade. Unterstützt wird die zweifache Mutter dabei von ihrer 22-jährigen Tochter Toni und anderen Familienmitgliedern.
Die „Aesthetischen Werke“ sollen auch ein Netzwerk sein, in dem etwa Experten für Holz oder Metall am Upcycling arbeiten, wie es heißt, wenn aus alten Sachen wieder etwas Neues gemacht wird. Doch Corona hat einiges durcheinandergebracht.
Zuletzt veranstaltete das Kasseler Mode-Label Soki einen Nähworkshop in der Halle, die auch als Veranstaltungsort für Hochzeiten mit bis zu 120 Gästen gemietet werden könnte, wenn nicht gerade eine Pandemie herrschen würde.
Ab Ende des Monats sollen Kunden, die etwa auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken sind, mit einer Lounge im Hof und DJs angelockt werden – aber nur so viel, dass es nicht zu voll wird. Während des Lockdowns hatte Hebeler, die auch Interior-Beratung anbietet, ihren Instagram-Account als Schaufenster eingerichtet. Seither können Kunden Produkte per Video-Call auswählen. Anschließend wird nach Hause gebracht – natürlich nicht mit einem x-beliebigen Wagen, sondern mit einem alten Feuerwehrauto, das Hebeler und Vargas den Brandschützern in Adelebsen bei Göttingen abgekauft haben.
Service: Königstor 10. Geöffnet donnerstags bis samstags von 11 bis 19 Uhr. instagram.com/aesthetischewerke
Von Matthias Lohr