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Der Kasseler Stephan Cobré stimmte sein 20 000. Klavier: „Ich bin Diener der Musik“

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Von: Katja Rudolph

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Der Konzertstimmer Stephan Cobré am Konzertflügel der Firma Steingraeber & Söhne, der aktuell beim Musikschulkongress in der Stadthalle ausgestellt ist.
Stimmte sein 20 000. Instrument: Stephan Cobré am Konzertflügel der Firma Steingraeber & Söhne, der aktuell beim Musikschulkongress in der Stadthalle ausgestellt ist. © Dieter Schachtschneider

Das muss ihm erstmal einer nachmachen: Der Kasseler Klavierbaumeister Stephan Cobré hat jetzt sein 20 000. Instrument gestimmt. Wir haben ihm dabei über die Schulter geschaut.

Kassel/Baunatal – Ob Popstar Elton John, Blueslegende Fats Domino oder Starpianist Grigory Sokolov: Ohne Stephan Cobré hätten diese weltbekannten Künstler in Nordhessen nicht auftreten können. Der Kasseler Klavierbaumeister hat schon für viele große Musiker die Konzertflügel gestimmt. Aber auch bei Schülerklavieren und Privat-Pianos von Musikern in Kassel und Umgebung greift er regelmäßig in die Tasten und Saiten – für einen optimalen Klang.

Beim Musikschulkongress in der Kasseler Stadthalle, zu dem bis Sonntag 1500 Fachbesucher erwartet werden, hat Stephan Cobré jetzt gleich sieben Aufträge auf einen Schlag gehabt – und damit einen beruflichen Meilenstein erreicht: Er stimmte sein 20 000. Instrument. Und zwar nachts um 2 Uhr allein im Kongress Palais. In aller Stille hört man eben besser.

Seit vielen Jahren führt der Klavier- und Cembalobaumeister, der seit 1986 seine eigene Werkstatt in Oberzwehren betreibt, genau Buch über seine Stimmtermine. Die Einsätze in den Anfangsjahren seit der Ausbildung bei der Pianofortefabrik Schimmel in Braunschweig hat er nachträglich geschätzt. Wie es der Zufall will, fiel sein 20 000. Auftrag nun auf keinen alten Klimperkasten. Stattdessen beging Cobré das Ereignis an einem großen Konzertflügel von Steingraeber & Söhne, den das Bayreuther Traditionsunternehmen beim Kongress in Kassel ausstellt.

Der Konzertstimmer, der sich gern in Schwarz kleidet, ist in der Stadthalle bekannt wie ein bunter Hund: Seit Jahrzehnten betreut er auch den dort stehenden Flügel. Das Steinway-Instrument („mein Baby“) hat Cobré in seiner jüngsten Nachtschicht durchgestimmt. Wenn der 62-Jährige seine Werkzeuge aus dem Alukoffer holt, sich an die Klaviatur setzt und mit dem Kammerton A beginnt, richtet sich sein Blick nach innen. Taste für Taste, Ton für Ton arbeitet er sich vor und dreht mit dem Stimmhammer, der wie eine Art Inbusschlüssel funktioniert, an den Stimmwirbeln. Darüber kann er die Spannung der Saiten verändern: Zieht er, wird der Ton höher. Drückt er, klingt es tiefer. Damit die bis zu drei eng beieinanderliegenden Saiten pro Taste nicht gleichzeitig klingen, kann er mit einem Keil einzelne Saiten abdämpfen, um alle Tonkomponenten herauszuhören und aufeinander abzustimmen.

Wo Laien nur „pling, pling“ hören, vernimmt der Experte feinste klangliche Unterschiede und kann sie nach Wunsch verändern. Auch beim 20 000 Mal mache ihm das immer noch „einen Heidenspaß“, sagt Cobré, der mit seiner Frau in Baunatal lebt. Jedes Instrument sei anders und gerade die Zusammenarbeit mit Künstlern und ihren klanglichen Ansprüchen immer wieder eine Herausforderung.

Dass den Applaus für das gelungene Konzert am Schluss andere bekommen, stört den Vater von drei erwachsenen Kindern nicht. Im Gegenteil: Wenn die Musiker zufrieden und die Zuhörer begeistert sind, ist das sein Lohn: „Ich bin Diener der Musik.“ Auch so manche Marotte von Stars und Sternchen der Klavierwelt hat Cobré im Lauf der Jahre miterlebt. Dass er darüber schweigt, nennt er „eine Grundvoraussetzung meiner Arbeit“. Nur so viel: Einmal wäre ein Auftritt fast am nicht genehmen Klavierhocker gescheitert.

Der inzwischen verstorbene Jazzpianist Dave Brubeck hingegen, der im Jahr 2000 im Staatstheater auftrat, sei bei aller musikalischen Größe bescheiden geblieben. „Er hat sich richtig nett bei mir bedankt.“ Auch den Auftritt von Elton John beim Open-Air im Bergpark vor 23 Jahren hat Stephan Cobré in guter Erinnerung. „Der hatte zwar auch Sonderwünsche, aber nicht an mich“, erzählt der Klavierstimmer. Der Weltstar wollte Schokolade.

Zahlen und Fakten rund um das Piano

1 bis 2 Mal im Jahr sollte man nach Empfehlung des Experten ein Klavier möglichst stimmen lassen. Vor professionellen Konzerten wird das Instrument jedes Mal gestimmt.

2 Stunden dauert das Stimmen eines Klaviers oder Flügels in der Regel. Je nach Grad der Verstimmung und den klanglichen Anforderungen kann es auch deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen.

16 bis 20 Monate Arbeit stecken in einem großen Konzertflügel, der in Handarbeit gefertigt wird.

88 Tasten hat die Klaviatur der heutigen Pianos: 52 weiße und 36 schwarze für die Halbtöne. Insgesamt deckt die Tastatur damit 7 Oktaven ab.

230 Saiten aus Stahl hat ein Flügel in der Regel. Durch ihre Schwingung erzeugen sie den Ton. Wenn man die Tasten drückt, werden kleine Hämmerchen gegen die Saiten geschlagen, sodass diese schwingen.

560 Kilogramm wiegt ein großer Konzertflügel. Ein durchschnittliches Klavier bringt um die 200 Kilogramm auf die Waage.

12 000 Einzelteile sind in einem Flügel verbaut, etwa die Hälfte davon allein für die komplizierte Anschlagsmechanik. Dabei kommen Holz, Metall, Filz und Leder zum Einsatz.

195 000 Euro kostet ein Konzertflügel wie das Exemplar von Steingraeber & Söhne, das Stephan Cobré gestimmt hat. Kleinere Klaviere sind bei der Traditionsfirma aus Bayreuth bereits ab 35 000 Euro zu haben.

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