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In der Fremde und plötzlich alleinerziehend: Wie eine geflüchtete Mutter den Neuanfang in Kassel erlebt

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Von: Katja Rudolph

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Yuliia Viazmina (Mitte) mit ihren Kindern Maria und Mikhailo im Garten der Flüchtlingsunterkunft in Rothenditmold, in der sie leben.
Mutter sein in schweren Zeiten: Yuliia Viazmina (Mitte) mit ihren Kindern Maria und Mikhailo im Garten der Flüchtlingsunterkunft, in der sie leben. © Andreas FIscher

Viele Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, müssen den Alltag mit Kindern allein bewältigen - in einem fremden Land. Wir haben mit einer Betroffen gesprochen.

Kassel – Vor allem Frauen mit Kindern sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine geflüchtet. Yuliia Viazmina lebte mit ihrem Mann Stepan und den beiden Kindern in dem Ort Welyka Nowosilka in der Donesz-Region. Wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs floh sie und lebt nun mit Maria (16) und Mikhailo (8) in einem Geflüchtetenwohnheim in Rothenditmold. Ob ihr Haus noch steht, weiß sie nicht. Mit ihrem Mann, der für die Ukraine kämpft, steht sie per Handy in Kontakt.

Eigentlich wollte sie in der Heimat geblieben, erzählt Yuliia Viazmina. „Ich würde gerne mithelfen“, sagt sie. Eine andere Ukrainerin, die gut Deutsch spricht, übersetzt für sie beim Treffen mit der HNA. Bereits 2014 hatten Viazmina und ihre Familie die russische Annexion der Ostukraine und die damit verbundenen Kämpfe miterlebt. Diesmal stand der Entschluss, zu fliehen, schnell fest – der Kinder wegen. „Sie sollen in Sicherheit und Frieden aufwachsen“, sagt die Mutter.

Doch alles aufzugeben, komplett neu anzufangen, ohne Sprache, ohne Arbeit und Freunde – das ist eine Herausforderung für alle, Mutter und Kinder. Sie versuche, stark zu sein für ihren Sohn und ihre Tochter, sagt die 43-Jährige, die ausgebildete Rechtsanwaltshelferin ist und in der Ukraine Frauen beraten hat, die Opfer von Gewalt geworden sind.

Auf die Frage, ob sie mit ihren Kindern auch zusammen weine, presst die bis dahin gefasst wirkende Frau die Lippen zusammen. Die Tränen steigen ihr in die Augen. Erst vor ein paar Tagen hat sie die Nachricht bekommen, dass eine ihrer besten Freundinnen, Patentante ihrer Tochter Maria, bei einem Angriff ums Leben gekommen ist. „Wir haben die halbe Nacht geweint“, sagt sie.

Auch wenn ihr Sohn Mikhailo nach seinem besten Freund in der Heimat fragt, und was er ihm denn mitbringen könne, wenn sie nach Hause zurückkehren, muss die Mutter schlucken. All das muss sie nun allein bewältigen – neben Kochen, Waschen und allem Organisatorischem in der noch fremden Stadt. „Zuhause haben mein Mann und ich uns alle Aufgaben geteilt“, erzählt sie. Gerade in den ersten Wochen in Deutschland hätten die beiden Kinder ständig gestritten, sagt Viazmina. Vermutlich eine Reaktion auf den Stress. Auch das Schlichten ist nun allein ihre Aufgabe.

Sie rede viel mit den Kindern, sagt Viazmina. „Ich versuche ihnen klar zu machen, dass das Leben weitergehen muss.“ Gerade der Tochter im Teenager-Alter falle das schwer. Sie will zurück nach Hause und ist noch nicht bereit, sich hier auf einen Neuanfang einzulassen, erzählt die Mutter. „Alles wird gut“, sage sie ihren Kindern – und müsse sich das auch selbst oft innerlich zusprechen, um die Hoffnung nicht zu verlieren.

Schön wäre es, sagt Viazmina, bald eine Wohnung für die Familie zu finden und ihr Deutsch zu verbessern. Der größte Wunsch jedoch sei Frieden für ihr Heimatland.

Diese Hoffnungen und Herausforderungen teilt die Ukrainerin mit Frauen ganz unterschiedlicher Herkunft, die geflohen sind. „Es gibt tolle Mütter aller Nationen: Syrien, Somalia, Eritrea, Afghanistan“, zählt Kinga Miklos auf, die bei der Caritas in Kassel Geflüchtete berät. Viele hätten Extremsituationen erlebt, seien von Gewalttaten traumatisiert, manche kämen als Analphabetinnen hierher und müssten in einer vollkommen neuen Welt Fuß fassen, sagt die Sozialarbeiterin. „Diese Frauen leisteten trotz aller Herausforderungen und oft als alleinerziehende Mütter mehrerer Kinder eine immense Arbeit, die oft wenig Anerkennung erfährt.“

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