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Opfer Ahmed I. im Lübcke-Ausschuss: „Ich vertraue der Polizei nicht mehr“

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Von: Matthias Lohr

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Sagte im Lübcke-Ausschuss aus: Ahmed I. im Landtag in Wiesbaden mit seinem Rechtsanwalt Alexander Hoffmann.
Sagte im Lübcke-Ausschuss aus: Ahmed I. im Landtag in Wiesbaden mit seinem Rechtsanwalt Alexander Hoffmann. © Matthias Lohr

Im Ausschuss des hessischen Landtags zum Mordfall Walter Lübcke erneuerte Ahmed I. seinen Vorwürfe gegen die Polizei. Der Iraker war Opfer eines Anschlags geworden.

Wiesbaden – Bereits einen Tag vor seiner Aussage am Freitag im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zum Mordfall Walter Lübcke meldete sich Ahmed I. zu Wort. In einer Pressemitteilung der Initiative Response, die den 28 Jahre alten Iraker betreut, fragte er: „Könnte Walter Lübcke noch leben, wenn man mir geglaubt hätte?“

Es war eine rhetorische Frage, wie Freitag in Wiesbaden deutlich wurde. Ahmed I. schilderte ausführlich, wie er am 6. Januar 2016 in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft Lohfelden niedergestochen und schwer verletzt worden war. Er ist sich sicher, dass der Lübcke-Mörder Stephan Ernst die Attacke verübt hat. Davon ist auch die Bundesanwaltschaft überzeugt. Im Landtag sagte Ahmed I.: „Hätten die Polizisten auf mich gehört, wäre es nicht so weit gekommen und der Kasseler Regierungspräsident wäre nicht ermordet worden.“

Lübcke-Ausschuss arbeitet seit einem Jahr

Seit mehr als einem Jahr untersucht der Ausschuss, welche Fehler die Behörden im Vorfeld des Lübcke-Mords im Juni 2019 gemacht haben. Am Oberlandesgericht Frankfurt war Ernst für die Erschießung des CDU-Politikers verurteilt worden, nicht aber für den Anschlag auf Ahmed I., der bis heute unter den Folgen leidet.

Mithilfe eines Dolmetschers schilderte er nicht nur die Tat, sondern auch seine Erfahrungen mit den Behörden. Er war sich sicher, dass eine Woche nach den Vorkommnissen der Kölner Silvesternacht ein „Nazi“ auf ihn eingestochen hatte, wie er schon bei der ersten Vernehmung gesagt hatte. Aber: „Die Polizei hat mir nicht geglaubt. Von keiner zuständigen Behörde habe ich die geringste Hilfe bekommen.“ Und auch von der Politik ist er enttäuscht: „Erst vor drei Monaten kam ein Politiker auf mich zu, aber da brauchte ich ihn nicht mehr.“

Ahmed I. erhebt schwere Vorwürfe vor dem Lübcke-Ausschuss

Auch vom Frankfurter Gericht fühlt sich Ahmed I. nicht fair behandelt: „Ich habe meinen Körper verloren. Ich habe die Hälfte meines Lebens verloren. Aber im Gericht ließ man mich nicht einmal ausreden.“ Nach seiner Aussage im Landtag hatte er ein besseres Gefühl. „Ich hoffe, dass mich die Politiker ernst nehmen“, sagte er nach seiner Vernehmung der HNA. Ahmed I. erzählt seine Geschichte auch deshalb, damit andere nicht ähnliche Erfahrungen machen müssen.

Zuvor hatte Oberstaatsanwalt Dieter Killmer von der Bundesanwaltschaft ausgesagt. Der Ankläger im Lübcke-Prozess verteidigte den Verfassungsschutz gegen Kritiker, die monieren, dass die Behörde Stephan Ernst und seinen Bekannten Markus H. aus dem Auge verloren hätten: „Ich habe keine Hinweise, dass die Behörden Hinweise auf eine Radikalisierung übersehen hätten.“

Killmer ist überzeugt, dass Ernst es war, der auf Ahmed I. einstach. Aber er glaubt nicht, dass man den Lübcke-Mord hätte verhindern können, wenn die Polizei drei Jahre zuvor anders gehandelt hätte: „Für eine Hausdurchsuchung fehlte es an gesetzlichen Voraussetzungen, nämlich einem Verdacht.“ Dass Ernst als Rechtsextremist und Gewalttäter bekannt war, hätte nicht ausgereicht.

Ahmed I. erzählte auch, dass man bei ihm im Dezember 2020 eine Hausdurchsuchung vorgenommen habe. Damals habe er die Polizei wegen eines privaten Problems gerufen, doch die Beamten hätten ihm vorgeworfen, Verdächtiger bei einer Schießerei zu sein. Erst nach Stunden auf der Wache habe er seinen Anwalt erreicht und gehen dürfen. Ahmed I. sagt: „Ich vertraue der Polizei nicht mehr.“

Spendenaufruf für Ahmed I.

In einer Pressemitteilung der Bildungsstätte Anne Frank und der Initiative Response kritisiert der Direktor Meron Mendel: „Wie konnte es dazu kommen, dass nicht intensiver in Richtung eines rechten Gewaltdelikts ermittelt wurde – und bei einem behördenbekannten Neonazi keine Hausdurchsuchung unternommen wurde?“ Ein Polizist versicherte gestern, dass im Fall Ahmed I. von Anfang an in mehrere Richtungen ermittel worden sei.

Über die Revision zum Urteil im Lübcke-Prozess und damit auch im Fall Ahmed I. entscheidet ab dem 28. Juli der Bundesgerichtshof. Derweil sammelt der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt weiter Spenden für Ahmed I. (Matthias Lohr)

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