Verkehrswende in Kassel: Nicht nur im Vorderen Westen fehlen E-Ladesäulen

Mit ihrem neuen E-Auto wollte Mira Barkey zur Verkehrswende beitragen. Doch im Vorderen Westen findet sie keine Ladesäule. Auch anderswo mangelt es an der Infrastruktur für E-Autos.
Kassel – Mira Barkey hatte sich genau überlegt, wo sie und ihr Partner ihr neues E-Auto laden könnten. Das Paar lebt in einer Mietwohnung im Kirchweg im Vorderen Westen ohne Garage und private Lademöglichkeit. Immerhin gibt es an der Friedrich-Ebert-Straße bei Wintershall Dea eine Ladesäule der Städtischen Werke mit zwei Anschlüssen – die einzige öffentliche im Stadtteil. Dort wollte Barkey den Akku ihres gerade gekauften BMW i3s auffüllen, doch es geht nicht.
Eine der beiden Anschlüsse sei bereits seit neun Monaten defekt, klagt die 34 Jahre alte Projektmanagerin. Auf dem Display erscheint ein Smiley, doch das Auto lädt nicht. Dies mussten auch andere Nutzer feststellen. Der zweite Anschluss funktioniert bei Barkeys Wagen ebenfalls nicht. Die Säule benötige für ihr neues Auto ein Software-Update, hieß es bei BMW.
Zweimal in der Woche nimmt die Projektmanagerin nun nicht das Rad, um an die Arbeit nach Wilhelmshöhe zu kommen, sondern das Auto. Dort kann sie ihren Wagen aufladen. Sie fährt in der Stadt also mehr Auto als vorher. So hat sie sich die Verkehrswende nicht vorgestellt. Fünf Jahre lang wohnte Barkey in der Goethestraße, die mittlerweile zur Fahrradstraße geworden ist. Das findet sie gut, aber sie sagt: „Liebe Stadt Kassel, anstelle nicht genutzter Fahrradständer hätte man auch die eine oder andere E-Ladestation aufstellen können.“
Auf Anfrage teilt ein Sprecher der Städtischen Werke mit, dass die Ladesäule bei Wintershall Dea „eine der ersten Kassels und eine der meist frequentierten“ sei. Beide Ladepunkte würden funktionieren. Barkey versteht das nicht: „Die Herrschaften sollten ihre Ladesäule mal besuchen.“
Derzeit betreiben die Städtischen Werke in Kassel laut eigenen Angaben 65 öffentliche Ladepunkte. In den vergangenen beiden Jahren sind jeweils zehn Punkte hinzugekommen. Im selben Zeitraum hat sich die Zahl der in Kassel zugelassenen E-Autos jedoch von 739 auf 1683 mehr als verdoppelt, wie die Stadt mitteilt.
Laut einem Sprecher der Städtischen Werke wurde der Ausbau „durch die Pandemie und extreme Lieferengpässe der Elektrobranche“ gebremst. Zudem sei die Nachfrage gering gewesen, auch weil viele Nutzer ihre Autos zuhause laden würden: „E-Mobilität wird erst jetzt zu einem Geschäftsfeld, das sich kostendeckend betreiben lässt.“
Andere Städte sind da weiter. Wer etwa durch München spaziert, sieht überall Säulen zum Laden von E-Autos. „Dort kann man an jeder Ecke seinen Wagen laden“, sagt Barkey, die lange in der bayerischen Landeshauptstadt gelebt hat.
In Kassel soll der Rückstand nun aufgeholt werden. Bereits bis zur documenta wollen die Städtischen Werke 28 weitere Ladepunkte in Betrieb nehmen. Insgesamt sollen laut dem Sprecher dieses Jahr 73 hinzukommen. Auch im Vorderen Westen werde intensiv nach Flächen gesucht, um den Bedarf zu decken.
Barkey hofft derweil, dass sie bald die Säule vor Wintershall Dea nutzen kann. Denn so richtig Freude am Fahren mit ihrem BMW hat sie bislang nicht: „Derzeit wünsche ich mir den Benziner zurück.“ (Matthias Lohr)