Trotz dieses Handicaps hat Sascha Gauron Großes geleistet. Am vergangenen Freitag hat er seine Prüfung an der Schauspielschule in Kassel bestanden. Er sei damit der erste Mensch mit einer Lernbeeinträchtigung in Deutschland, der staatlich geprüfter Schauspieler ist, sagt Andreas Schuller. Schuller ist Fachkraft für Berufliche Integration bei der Sozialgruppe Kassel. Er hat Sascha Gauron bei seiner fünfjährigen Ausbildung zum Schauspieler begleitet und unterstützt. Ohne diese Unterstützung würde er nicht da stehen, wo er sich jetzt befindet, sagt Gauron.
Nach seinem Inklusionsabschluss an der Offenen Schule in Waldau ging Gauron, der bei einer Pflegefamilie in Kaufungen aufgewachsen ist, in die Kasseler Werkstatt. „Dort habe ich Schrauben in Tüten gepackt“, erzählt er. Drei Jahre lang. „Irgendwann kam der Punkt: Das ist nicht meins.“ Er habe keinen Spaß mehr an der Tätigkeit gehabt, habe die Arbeit auch geschwänzt, räumt er ein.
Zum Glück habe es damals das Angebot gegeben, dass die Mitarbeiter der Kasseler Werkstatt Schauspielunterricht nehmen konnten. 16 Mitarbeiter der Werkstatt besuchten ein Jahr lang eine Schauspielschule in Kassel. Sascha Gauron war der Einzige, dem nach einem Jahr mitgeteilt wurde, dass er als Schauspieler geeignet ist, sagt Andreas Schuller. Von Vorteil war auch, dass der Landeswohlfahrtsverband (LWV) das ganze Projekt mitgetragen hat.
Gauron besuchte aber nicht nur die Schauspielschule. Andreas Schuller fuhr mit ihm auch zu der Berliner Agentur „Rollenfang“, die sich auf Schauspieler mit Beeinträchtigung spezialisiert hat. Dort sein man von Sascha begeistert gewesen, so Schuller. Sein Schützling hat seitdem in mehreren TV-Formaten mitgespielt (zum Beispiel bei „Köln 50667“ und „Auf Streife“) in dem Kinofilm „Wir, die Kinder“ oder in dem Kurzfilm „Vorstadt“. Er hat bereits in Hamburg, Köln und Berlin gedreht. Im März fährt Gauron zu Dreharbeiten nach Amrum. „Mal bin ich der Bösewicht, mal der Liebhaber, dann mal das Opfer oder mal ein Mörder.“
Eine Traumrolle habe er nicht, sagt der 28-Jährige. Er sei froh, dass er überhaupt als Schauspieler arbeiten könne. „Man muss immer kleine Brötchen backen.“ Andreas Schuller hat dennoch eine Wunschrolle für Gauron: „Einmal soll er in einem Tatort mitspielen. Danach kann er machen, was er will.“ Zudem hat Schuller eine Bewerbung für Gauron an das Kasseler Staatstheater geschickt. Er hofft, dass der junge Schauspieler dort einige Jobs als Komparse bekommt, um ein zweites Standbein neben den Dreharbeiten für TV-Produktionen zu haben.
Gauron hat als Kind beim Kaufunger Kindertheater mitgespielt. „Ich liebe es, in andere Rollen zu schlüpfen. Das kann so befreiend sein, wenn man seine Persönlichkeit ablegen kann.“ Und er ist glücklich, dass er mit seinem Abschluss seine Pflegmama stolz gemacht hat.
„Hier bleibe ich bis zu meinem Lebensende.“ Das hat der 27-jährige Kai Beuscher zu Hoteldirektorin Jasmin Ohlendorf gesagt, nachdem er im November vergangenen Jahres eine Woche im gastronomischen Betrieb des Renthofs gearbeitet hatte.
Dass er im Renthof „richtig servieren kann“, das hatte Beuscher im Oktober 2022 zunächst nachts nur geträumt. Einen Monat später war sein Traum in Erfüllung gegangen.
Kai Beuscher kam mit einer geistigen Behinderung zur Welt. Er brauche für alles etwas länger, sagt er über sich. „Aber wenn ich erst mal etwas abgespeichert habe, dann laufe ich wie eine Maschine. Dann bremsen mich auch schon mal manche Leute“, sagt der 27-Jährige.
Er ist in Fritzlar aufgewachsen und besuchte bis zum 17. Lebensjahr die Schule im Institut Lauterbad in Kassel. Anschließend arbeitete er in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Salzgitter. Nach einigen Jahren kam er nach Kassel zurück, um wieder näher bei seiner Mutter zu sein.
Beuscher arbeitet seitdem für die Kasseler Werkstatt. Sieben Jahre lang verpackte er Ersatzteile für VW. Irgendwann habe er keine Lust mehr auf diese Tätigkeit gehabt. Viel lieber wollte er in die Gastronomie wechseln.
Andreas Schuller, Fachkraft für berufliche Integration bei der Sozialgruppe Kassel, hatte deshalb schon vor drei Jahren einen Kontakt zum Renthof hergestellt. Doch dann machte Corona einen Strich durch die Rechnung.
Den zweiten Anlauf gab es im Herbst 2022. Sie habe mit Kai Beuscher ein ganz normales Vorstellungsgespräch geführt, sagt Ohlendorf. Danach begann das Praktikum. Beuscher wurde zunächst in der Küche eingesetzt und dann im Service. Er hat eine Liste mit Dingen bekommen, die er jeden Tag erledigen muss. Er räumt zum Beispiel die Tische ab, hilft beim Eindecken oder poliert das Besteck. Seit dem 1. Januar hat der junge Mann nicht nur eine Festanstellung, sondern auch seine Aufgaben sind gewachsen.
Mittlerweile nimmt er auch selbst Bestellungen auf, serviert an den Tischen und steht nachmittags auch an der Bar. Nur das Bierzapfen müsse er noch üben, erzählt der 27-Jährige. Zudem bont er die Bestellungen nicht selbst ein, sondern nimmt sie schriftlich auf.
Vom ersten Tag an sei Kai Beuscher total motiviert bei der Arbeit gewesen, sagt seine Chefin. Er komme oft früher und bleibe länger. Wenn in der Küche Not am Mann ist, dann springe er auch dort ein. „Kai ist wahnsinnig pflichtbewusst“, sagt Ohlendorf. Er sei aber nicht nur sehr fleißig, sondern trage auch zu einem besseren Betriebsklima bei. Sowohl bei den Kollegen als auch bei den Gästen komme es gut an, dass er fast immer gute Laune habe und auf die Menschen zugehe. „Kai ist ein Sonnenschein“, sagt Ohlendorf.
Hat er auch eine Schwäche? „Wenn es mir zu viel wird, dann bekomme ich Kopfschmerzen“, sagt der 27-Jährige. Aber zum Glück passiere das nicht oft.
Kai Beuscher freut sich, dass er in diesem Jahr eine Ausbildung zum Restaurantfachmann im Renthof beginnen kann. Mit der IHK sei vereinbart worden, dass er nicht in eine normale Berufsschule gehen muss, sondern er besucht zwei Mal in der Woche das Berufsbildungswerk. „Der Traum ist wahr geworden. Gott sei Dank. Ich bin wirklich gerne hier“, sagt Beuscher, der in seiner Freizeit in einem Chor in Niederkaufungen singt. Im Sommer will er mit dem Chor auch mal im Renthof auftreten. (use)