Ist die Mietbelastung für die Kasseler gesunken?

Der Eigentümerverband Haus & Grund in Kassel sieht gute Zeiten für Mieter gekommen. Während die allgemeine Lohnentwicklung an Fahrt aufnehme, sei die Steigerung der Mieten zuletzt dahinter zurückgeblieben. Der Mieterbund Nordhessen hingegen hält die präsentierten Zahlen für „Schönfärberei“.
Kassel - Wir stellen hier die Positionen der Verbände gegenüber:
Position Haus & Grund
Der Eigentümerverband hat sich die Lohn- und Mietenentwicklung im Zeitraum 2015 bis 2020 genauer angeschaut. Dazu wurde sogar eine eigene Studie erstellt. Ergebnis: Die Lohnentwicklung ist stärker gewesen als die Mietsteigerungen. „Wohnen wird also günstiger“, so Geschäftsführer Wolfram Kieselbach.
Als Beleg werden Zahlen der Bundesagentur für Arbeit herangezogen. Danach sind die Bruttolöhne in Kassel zwischen 2015 und 2020 um 9,3 Prozent gestiegen. So lag das durchschnittliche Bruttoentgelt eines sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten in Kassel 2020 bei 3437 Euro.

Dem gegenüber seien die Bestandsmieten in der Stadt Kassel im gleichen Zeitraum nur um 5,9 Prozent auf 6,33 Euro pro Quadratmeter angehoben worden. Bei den neu abgeschlossenen Mietverträgen liege das Plus sogar nur bei 4,2 Prozent auf 6,90 Euro.
Im Landkreis Kassel sei das Bild ähnlich. Dort stieg der Durchschnittslohn über die fünf Jahre um 9,7 Prozent auf 3590 Euro.
Die Bestandsmieten stiegen hingegen im Kreis um 6,1 Prozent auf 5,74 Euro, die Neuvertragsmieten um 7,5 Prozent auf 6,34 Euro. Die Angaben zur Mietentwicklung stammen vom Hamburger Immobilienforschungsinstitut F+B, das bundesweit Mietpreise analysiert.
„Mit der Entwicklung liegt Kassel im Bundestrend“, sagt Kieselbach. In unserer Region hätten sich nur in Göttingen sowohl die Bestandsmieten als auch die Neuvertragsmieten stärker als der Anstieg der Löhne entwickelt.
Position Mieterbund
Der Mieterbund Nordhessen hat indes starke Zweifel an der Aussagekraft der präsentierten Zahlen. Die Durchschnittslohnentwicklung sei kein brauchbares Kriterium für die Klärung der Frage, ob die Mietbelastung in Kassel und im Umland gesunken oder gestiegen sei, sagt Mieterbund-Geschäftsführer Maximilian Malirsch. Denn in die von Haus & Grund verwendeten Daten zur Lohnentwicklung seien nur Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse eingeflossen. „Dies trifft aber längst nicht auf alle Mieter zu, viele arbeiten in Teilzeit und verdienen deutlich weniger“, so Malirsch.

Zudem würden beim Lohnniveau auch Eigenheimbesitzer erfasst. „Darunter sind einige mit gut bezahlten Spitzenjobs, die das durchschnittliche Einkommensniveau anheben, aber von den Mietpreisen überhaupt nicht betroffen sind.“
Darüber hinaus stellt Malirsch die Daten der regionalen Mietpreisentwicklung grundsätzlich infrage. Es gebe in Kassel keinen offiziellen Mietspiegel und insofern auch keine validen Daten.
Auch seien in der Studie nur die Kaltmieten berücksichtigt worden. „Die stark gestiegenen Energiekosten, die die Mieter belasten, sind nicht berücksichtigt. Das ist deshalb aus meiner Sicht eine schön gefärbte Ausschnittsbetrachtung und kann als PR-Arbeit von Haus & Grund angesehen werden.“ Dass einer der Studienautoren Jakob Grimm heiße, passe zum Bild einer „Märchensammlung“. (Bastian Ludwig)