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Kampf dem Alltagsrassismus: Hanauer Bildungsinitiative Ferhat Unvar zu Gast in Kassel

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Von: Christina Hein

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Ali Yildirim, Serpil Tamiz Unvar, Melanie Barwich und Awet Tesfaiesus (vorne von links). Dahinter die unterstützenden FG-Lehrkräfte René Mallm und Katharina Dieter.
Stark gegen Rassismus: Ali Yildirim, Serpil Tamiz Unvar, Melanie Barwich und Awet Tesfaiesus (vorne von links). Dahinter die unterstützenden FG-Lehrkräfte René Mallm und Katharina Dieter. © Christina Hein

Vertreter der Hanauer Bildungsinitiative Ferhat Unvar, die von der Mutter eines Opfers des rassistischen Anschlags, Serpil Temiz Unvar, gegründet wurde, sprachen mit Schülern im Friedrichsgymnasium.

Kassel - „Wenn jemand vor uns gekämpft hätte, vielleicht würde Ferhat noch leben.“ Dieses bedrückende Resümee hat Serpil Temiz Unvar, die Mutter eines der Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau am 19. Februar 2020, gezogen. Zugleich sei dies eine Motivation für sie gewesen, nach dem Mord an ihrem 23-jährigen Sohn Ferhat nicht in Trauer zu erstarren, sondern aktiv zu werden und die „Bildungsinitiative Ferhat Unvar“ zu gründen.

„Wir mussten was machen“, sagte die Mutter vor Schülern des Friedrichsgymnasiums. Nicht nur, um das Andenken an die neun Menschen zu wahren, die ein rassistischer Mörder innerhalb zwölf Minuten getötet hatte, sondern vor allem, um über die Anfänge von Rassismus zu reden und mit Prävention dagegen vorzugehen.

Serpil Temiz Unvar war gestern prominenter Gast bei einer Podiumsdiskussion mit Schülern und Lehrkräften in der Aula des FG. An ihrer Seite waren für das Gespräch Ferhats bester Freund Ali Yildirim und die Kasseler Bundestagsabgeordnete der Grünen, Awet Tesfaiesus. Organisiert hatte die Veranstaltung – ebenso wie zwei Workshops – Melanie Barwich, FG-Schülerin der Q2. Sie hatte sich der „Bildungsinitiative“ bereits kurz nach ihrer Gründung angeschlossen.

Es war bewegend, als Serpil Temiz Unvar von der Nacht berichtete, in der ihr Sohn getötet wurde. Sie war vor Ort geeilt, nachdem sie von den Schüssen in der Bar gehört hatte. „Bis um 6.30 Uhr wurden wir nicht mal informiert, wer tot war“, beklagt sie den Umgang mit den Opferfamilien. Doch was sie vor allem umtreibt, sei nicht der Rassismus, der ihrem Sohn das Leben gekostet hat, sondern der, unter dem er sein Leben lang leiden musste.

Der hochintelligente Junge habe in der Schule viele Diskriminierungen erlebt. Die Mutter reagierte beschwichtigend: Schluck es runter, es ist nicht deine Heimat, du musst dich einfach mehr anstrengen. Das sollte keine Mutter ihrem Kind mehr sagen müssen, wünscht sich Unvar. Stattdessen müsse der strukturelle Rassismus bekämpft werden.

Auch Ali Yildirim erzählte von vielen Gesprächen, die er mit Ferhat geführt hatte, in denen es um quälenden Alltagsrassismus ging. Allein vom „Racial Profiling“ durch Kontrolleure und Polizisten, unter dem Menschen mit dunkler Hautfarbe zu leiden hätten, mache sich ein Biodeutscher keine Vorstellung. Sechs, sieben Mal im Monat sei er von Verkehrskontrollen betroffen, allein aufgrund seines Aussehens, so Yildirim.

Die „Bildungsinititiative Ferhat Unvar“, für die er sich und viele Hanauer Freunde engagieren, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Präventionsarbeit im Bereich von Rassismus und Antisemitismus zu leisten. Wirkungsorte sind Schulen und Kitas. Kinder und Jugendliche sollen über Entstehung, Folgen und den Umgang mit Rassismus aufgeklärt werden.

„Haben wir den Rechtsextremismus unterschätzt?“ fragte Melanie Barwich Tesfaiesus. „Er ist nur die Spitze des Eisbergs“, antwortete diese. Deshalb müsse die schweigende Mehrheit in den Fokus und der latent verbreitete Rassismus angegangen werden. „Wir brauchen Aufklärung auf allen Ebenen.“ Wenn sich ein Kind frage: Warum bin ich schwarz? sei das Rassismus, dem es unterliege. „Das müssen wir dekonstruieren“, so Tesfaiesus. Eine Bewegung wie die Bildungsinitiative, die auch Empowerment, also Stärkung von Betroffenen, leiste, sei deshalb enorm sinnvoll.

bildungsinitiative-ferhatunvar.de

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