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Prozess vor Landgericht Kassel: Kann eine Familie eine Bande sein?

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Von: Ulrike Pflüger-Scherb

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Vier Männer müssen sich auf der Anklagebank der Wirtschaftsstrafkammer des Kasseler Landgerichts verantworten. © Peter Steffen/dpa

Ein 60-jähriger Mann und seine beiden Söhne im Alter von 32 und 29 Jahren aus Kassel sollen insgesamt einen Schaden von über 2,7 Millionen Euro verursacht haben: Sie sollen zwischen April 2018 und August 2021 Schwarzarbeiter in Bauunternehmungen in Niedersachsens beziehungsweise in Kassel beschäftigt haben.

Kassel - In diesem Zeitraum sollen sie Sozialversicherungsbeiträge von rund 1,3 Millionen Euro vorenthalten, Sozialkassenbeiträge in Höhe von 670 000 Euro nicht abgeführt und Lohnsteuer in Höhe von etwa 440 000 Euro hinterzogen haben.

Zusammen mit einem weiteren 32-jährigen Mann, den sie zeitweise in dem Kasseler Unternehmen als Geschäftsführer eingesetzt hatten, müssen sie sich seit Dienstag vor der Wirtschaftsstrafkammer des Kasseler Landgerichts wegen des Verdachts des bandenmäßigen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 32 Fällen, gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Betruges in 34 Fällen und Steuerhinterziehung in 28 Fällen verantworten.

Staatsanwalt Enrico Weigelt wirft den Angeklagten vor, die an die Schwarzarbeiter ausgezahlten „Schwarzlöhne“ durch Scheinrechnungen (sogenannte Abdeckrechnungen) von angeblichen Gläubigern (sogenannten Servicefirmen) verschleiert zu haben. Sie hätten Schwarzarbeiter in ihren Firmen beschäftigt, um Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten zu haben und um ihren privaten Gewinn zu erhöhen.

Vor Beginn des Prozesses am Dienstag habe es bereits zwischen den Beteiligten sogenannte Verständigungsgespräche gegeben, erklärte die Vorsitzende Richterin Dölle. Dabei habe sich abgezeichnet, dass alle vier Angeklagten sich vorstellen können, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zumindest zum Teil einzuräumen. Im Gegenzug erwarteten die Männer geringere Strafen.

Die Verteidiger des 60-jährigen Vaters und des 32-jährigen Sohnes, die beide seit 17 Monaten in Untersuchungshaft sitzen (die beiden anderen Angeklagten befinden sich auf freiem Fuß), trugen vor, dass die Inhaftierung sehr belastend sei. „Mein Mandant ist von der U-Haft gezeichnet“, sagte der Verteidiger des Vaters. Der 60-Jährige sei bereit, „Verantwortung zu übernehmen“, allerdings werde er nicht gestehen, mit seinen Söhnen als „Bande“ gehandelt zu haben.

Auch die Söhne können laut ihrer Verteidigung mit dem Begriff der Bande in der Anklage nichts anfangen. Die Taten seien nicht in einer Bande, sondern im Familienverbund passiert, so der Verteidiger des älteren Sohnes. Dabei müsse man berücksichtigen, dass es im Kulturkreis der Angeklagten gewisse hierarische Strukturen gebe. Drei Angeklagte sind serbische Staatsangehörige, der ältere Sohn ist mittlerweile deutscher Staatsbürger. In der Familie gebe es eine bestimmte Hierarchie, führte die Verteidigerin des 29-jährigen Sohnes aus. Ihr Mandant habe als Jüngster nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Er könne verstehen, dass der Begriff „Bande“ den Angeklagten Bauchschmerzen bereite, sagte Staatsanwalt Weigelt. „Für uns Juristen ist das aber eine rechtliche Bewertung.“ Der hinreichende Tatverdacht gegen die Männer habe sich durch umfangreiche Ermittlungen bei den Subunternehmen und durch eine intensive Telefonüberwachung ergeben. Wenn sich im Rahmen der Verständigungsgespräche etwas anders herausstelle, dann wolle er sich nicht dagegen verschließen.

Das Gericht will Vorschläge für die Verständigung erarbeiten. (use)

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