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Kassel hat einen Vogel: Der Kasseler Tümmler ist ein bedrohtes Original

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Von: Thomas Schlenz

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Genaue Vorbilder: Schon 1908 zeigten Standards, wie der Kasseler Tümmler aussehen sollte. © nh

Kassel. Er hat eine elegante Gestalt, schimmerndes Gefieder und ist sehr selten: Der Kasseler Tümmler hat schon oft Preise gewonnen. Wir erklären, was dieses Tier so besonders macht.

Die Kasseler haben einen Vogel, und zwar einen ganz besonderen. Eine seltene deutsche Rassetaube ist nämlich nach ihrer Stadt benannt: der Kasseler Tümmler. Er ist bedroht: Nur noch ungefähr 120 Tiere leben im Raum Nordhessen, die von ungefähr 22 Züchtern gepflegt werden.

In der Stadt Kassel gibt es keine Züchter mehr, weiß Günter Diegler aus Grebenstein-Burguffeln vom Allgemeinen Kasseler Taubenzüchterverein 1904.

Er züchtet die Tümmlertauben seit mehr als 50 Jahren und kennt daher ihre Geschichte. Das Hobby hat er einst von seinem Vater übernommen. Der züchtete noch in der Stadt Kassel, wo die Familie bis zum Zweiten Weltkrieg lebte. Infolge der Kriegszerstörungen zogen sie aufs Land.

„Die Taube steht für Kassel wie kein anderes Tier. Sie gehört zum Kulturgut“, sagt der 1938 geborene Züchter. Schließlich spiegele sich in der Entwicklung der Taube die bewegte Geschichte der Stadt im 20. Jahrhundert wider (siehe Text unten).

Heute fehlen in der Stadt Kassel geeignete Flächen, um die Tauben artgerecht zu halten. Zudem leiden die verbliebenen Züchter in der Region unter Nachwuchsmangel: Der Altersdurchschnitt liege mittlerweile zwischen 60 und 70 Jahren, so Diegler.

Während Kinder bei den Ausstellungen begeistert von den Tieren seien, hätten Eltern Vorbehalte: „Die stimmten aber in der Regel nicht“, betont Diegler. Wissenschaftler hätten längst gezeigt, dass bei den Taubenausstellungen die Luft nicht schmutziger sei als anderswo.

Die Tiere benötigen viel Pflege: „Man muss eine Leidenschaft dafür haben und bereit sein, das ganze Jahr für sie da zu sein“, erklärt Diegler. Der Tümmler mache jedoch eine besonders elegante und schöne Figur, sodass sich der Aufwand wirklich lohne.

Bei den Rassetaubenzüchtern geht es um die Schönheit der Tiere. Die wird anhand eines als „Standard“ bezeichneten Idealtyps festgestellt. Der hat sich in den vergangenen 100 Jahren immer wieder weiterentwickelt, ist aber seit den 1970er-Jahren identisch.

Auf die Bewertung bei den Ausstellungen arbeiten die Züchter das ganze Jahr über hin. „Ich bin besonders

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Günter Diegler

stolz darauf, meine Ergebnisse zu präsentieren, mich auszutauschen und den anderen Tipps zu geben“, erklärt Diegler. Besonders interessant sei der Austausch mit Züchtern aus Deutschland und aus aller Welt.„Seine Erhaltung sollte stärker gefördert werden. Schließlich ist er ein Botschafter der Stadt Kassel“, meint Günter Diegler. Zudem könne die Taube mit vielen Besonderheiten aufwarten: Ein Jahr brauchen die Kasseler Tümmler, bis sie ganz ausgewachsen sind. 25 Zentimeter Körperhöhe können sie dann erreichen. Die größten Tiere bringen ausgewachsen bis zu 1200 Gramm auf die Waage. „Der Tümmler ist zwar nicht so schnell wie eine Brieftaube, trotzdem erreicht er bis zu 60 Kilometer pro Stunde“, erklärt Diegler stolz.

Taubenzucht ist ein Spiegel der Stadtgeschichte

Wie in einem Spiegel zeigt die Geschichte der Kasseler Taubenzucht die historische Entwicklung Kassels der letzten 100 Jahre.

Die Taubenzucht war anfangs eng verbunden mit dem Aufstieg des städtischen Bürgertums im 19. Jahrhundert. Studienräte oder Professoren züchteten die Rassetaube als Hobby. Der Tümmler war eine Heimatrasse, benannt nach der Herkunftsstadt seiner Züchter.

Im Jahr 1906 gründeten sie einen Spezialverein, um verbindliche Standards festzulegen. Schon damals tauschten sich die Züchter untereinander aus – nicht nur im Deutschen Reich, sondern in ganz Europa und sogar darüber hinaus.

Im Ersten Weltkrieg verlor die Zucht an Bedeutung. Viele Züchter waren im Krieg gefallen, finanzielle Mittel für das Futter und die Pflege fehlten in dieser Zeit. In der Weimarer Zeit kamen dann Geflügelausstellungen in Mode.

Die Kasseler Bombennacht vom 22. auf den 23. Oktober 1943 hatte fatale Folgen: Tauben wurden nämlich damals meist auf Dachböden gehalten. So fielen fast alle Zuchten in der Altstadt den Flammen zum Opfer. Die einstige Vielfalt an Farben ging verloren.

Der Neuanfang begann in den Vororten und auf dem Land. Mühsam gelang es, verlorene Farbenschläge wieder zu gewinnen. Mit der Wende in der ehemaligen DDR kamen sogar noch zwei neue Farben hinzu. Züchter gibt es heute in vielen Ländern der Welt, sogar in Argentinien, Israel oder in den USA ist der Kasseler Tümmler bis heute ein Begriff. (tsz)

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So sieht ein perfekter Kasseler Tümmler aus

Optimiert von Kopf bis Fuß: Der Kasseler Tümmler ist eine Rassetaube, für die hohe Standards gelten. Die Zahlen im Bild links verweisen auf die nötigen Merkmale einer perfekten Zuchttaube:

1. Der Kopf des perfekten Tümmlers soll lang und substanzvoll sein. Er sollte von der Schnabelspitze über Stirn und Scheitel in ununterbrochener, aber deutlicher Bogenlinie in den gerundet abfallenden Hinterkopf verlaufen. Der höchste Punkt des Kopfes liegt über seinem Auge. Von oben gesehen muss der Kopf zwischen Auge und Schnabelwurzel gefüllt sein.

2. Die Augen müssen möglichst rein perlfarbig und mit einer kleiner Pupille ausgestaltet sein. Der Augenrand sollte schmal und von feinem Gewebe sein. Am besten sollte er feurig rot aussehen.

3. Der Schnabel ist idealerweise lang und breit angesetzt. Er bildet mit dem Kopf eine flache Linie. Die zarten, rosafarbenen Warzen dürfen die Bogenlinie nicht stören. Er ist gut durchblutet und fleischfarbig.

4. Der Hals ist dünn, lang und hat einen guten Kehlausschnitt. Das Tier trägt ihn senkrecht. Er geht in eleganter Linie leicht verstärkt in die Brust über.

5. Die Brust sollte auf gar keinen Fall zu voll, jedoch schön ausgewölbt sein.

6. Der Rücken verläuft in geschwungener Linie in Richtung des waagerecht getragenen Schwanz.

7. Die Flügel liegen an und ruhen auf dem Schwanz. Die Schwingen der Flügel des Tieres sollten gut geschlossen sein.

8. Der Schwanz selbst ist ebenfalls geschlossen und sollte vom Tier waagerecht getragen werden.

9. Die Beine sollten lang und feingliedrig und die Unterschenkel voll sichtbar sein. Der Standard legt fest, dass die Läufe und Zehen ungefiedert und die Krallen fleischfarbig sind.

10. Das Gefieder eines idealen Kasseler Tümmlers sollte immer möglichst glatt und straff gehalten sein. 

Wussten Sie schon, dass...

...Tauben sich fast ausschließlich pflanzlich ernähren?

...die Tiere mit Ausnahme der Antarktis und der Arktis weltweit vorkommen und es mehr als 300 Arten gibt?

...die kleinsten Tiere so groß sind wie eine Lerche und die größten Arten die Größe eines Haushuhns erreichen können?

...die Zucht der ersten Tauben bereits vor tausenden Jahren in Indien begonnen haben soll?

...die Tiere aus unterschiedlichen Gründen gezüchtet werden? So gibt es Masttauben, Brieftauben und Rassetauben, bei denen es um schönes Aussehen geht.

...dass bis heute nicht klar ist, wie sich Tauben in der Luft orientieren?

...einige Arten vom Aussterben bedroht sind wie die Kuba-Erdtaube?

...ihr ganzes Leben lang zusammenleben und das Weibchen den Nestbau erledigt?

...bei den meisten Arten die Eier weiß sind?

...die Jungvögel der Tauben Nesthocker sind?

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