Die Idee mit der Umbenennung war natürlich ein Scherz von Gonther. Er sagt dies, wenn man ihn ebenfalls nicht ganz ernst gemeint fragt, ob Kassel nun vom Schwalm-Eder-Kreis regiert wird. Natürlich gibt es auch Macher in Kassel, die aus anderen Kreisen kommen, aber die derzeitige Häufung von Personen aus dem flächenmäßig zweitgrößten hessischen Landkreis (nach Waldeck-Frankenberg) ist schon kurios. Zumal sich die Liste problemlos fortsetzen lässt.
Handwerkskammer-Präsident Frank Dittmar wohnt in Guxhagen, Rosa-Maria Hamacher, die Vorsitzende der einstigen Wählerinitiative für den noch amtierenden Oberbürgermeister Christian Geselle, ist in Gudensberg aufgewachsen, und Ingmar Merle, Sportlicher Leiter beim KSV Hessen, stammt ebenfalls aus Schrecksbach. Kann das alles Zufall sein?
Regierungspräsident Weinmeister sagt: „Ja, das muss Zufall sein.“ Für den kommenden Rathaus-Chef Schoeller ist es ein Zeichen für „die Stärke der Region“. Die Frage ist dann aber, was das alles über den Schwalm-Eder-Kreis aussagt, der ein künstliches Gebilde ist. Er entstand bei der Gebietsreform 1974 gleich aus drei Kreisen, die bis dahin nicht viel miteinander gemein hatten: Fritzlar-Homberg, Melsungen und Ziegenhain. Letzterer bildete weitgehend den Kulturraum der Schwalm ab, die ihren Namen wiederum dem gleichnamigen Fluss verdankt.
Grünen-Politiker Schoeller erinnert sich noch gut daran, dass er seine Freizeit mit Freunden einst vor allem rund um Fritzlar verbracht hat, in Melsungen oder der Schwalm war er nur selten. Heute ist der Schwalm-Eder-Kreis für ihn „vor allem eine wunderschöne nordhessische Bergkuppenlandschaft mit vielen schönen Orten“.
Damm kennt den gesamten Kreis. Der gebürtige Homberger hat auch für den FC Schwalmstadt gekickt, seine Tochter spielt heute Handball bei der SG Kirchhof in Melsungen, die ebenso wie die MT von B. Braun gesponsert wird. Im Osten des Kreises ist der Medizintechnik-Konzern so prägend, dass Melsungen auch „Braun-Town“ genannt wird. Damm hat festgestellt: „Sport wird hier überall groß geschrieben, nicht nur Fußball.“
Sein Vereinskollege Gonther ist als Profi viel herum gekommen und hat beim FC St. Pauli sowie bei Dynamo Dresden gespielt. Die Schwalm nennt er „meine Region“. Mit seiner Oma redet er Schwälmer Platt, was für Außenstehende wie eine Fremdsprache klingen kann. Gonther sagt: „Man merkt, dass aus dem Schwalm-Eder-Kreis sehr fähige Menschen kommen.“
Demnächst wird der 36-Jährige wieder in die Schwalm ziehen. Auf seinem Autokennzeichen steht bislang noch „DD“ für Dresden. Das ist durchaus von Vorteil, weil das Schwalm-Eder-Kennzeichen für viele Kasseler ein Synonym für schlechtes Fahrvermögen ist. „HR“ steht für „Hinterm Ratio“ und „Hessisches Rindvieh“. Für Regierungspräsident Weinmeister ist das „die typische Arroganz einer Großstadt gegenüber dem Umland“. So wie der Umgang der Frankfurter mit Offenbach, wo „OF“ für „ohne Führerschein“ steht.
Während die Rivalität im Rhein-Main-Gebiet groß ist, lieben die Kasseler den Schwalm-Eder-Kreis aber eigentlich. Sie zeigen es zwar nicht unbedingt und grölen im Auestadion bei Spielen des KSV gegen Schwalmstadt laut „Kühe, Schweine, Ziegenhain“, aber jeden Sommer zieht es die Großstädter hinters Ratio. Die Parkplätze an der Stockelache und am Singliser See bei Borken sind dann voll mit Autos aus „KS“. Der Autor dieses Textes weiß das sehr genau: Er stammt aus Borken. (Matthias Lohr)