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Niedergang einer Branchengröße: Areal am Kasseler Kirchweg hat lange Geschichte

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Von: Barbara Will

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Das historische Foto zeigt ein Parkdeck, auf dem sich Räume im Bau befinden.
Baustelle: Auf dem Parkdeck des ehemaligen Co ops und späteren Eurospars entstanden drei Märkte. (Archivfoto) © Andreas Berger

Der Rewe-Markt am Kirchweg in Kassel-Wehlheiden wird umgebaut. Doch das ist nicht die erste große Veränderung auf dem Gelände. Wir werfen einen Blick zurück.

Kassel – Neue Kälteanlage, neue Beleuchtung, mehr regionale Lieferanten: Der Rewe-Markt am Kirchweg wird umgebaut (wir berichteten). Das Areal, auf dem der Supermarkt in Wehlheiden ansässig ist, hat einige Veränderungen hinter sich. Eine der bedeutendsten begann mit dem Niedergang der Konsumgenossenschaft Dortmund-Kassel. Ein Blick zurück.

Noch Mitte der 1990er-Jahre schien die Welt in Ordnung: In Zeitungsanzeigen verkündete die Konsumgenossenschaft 1995 zwischen Angeboten für Schinkenbraten und deutschem Gouda ihren Mitgliedern die Zahlung einer Bruttodividende von acht Prozent auf ihre Geschäftsguthaben. Geld und Kontoauszug gab es in den Co-op-Märkten. Rund 500.000 Menschen hatten damals Genossenschaftsanteile gezeichnet. Im Laufe der Jahre und einiger Fusionen war das Unternehmen groß geworden.

Das historische Foto zeigt eine Frau, die aus einem nahezu leeren Regal etwas herausnimmt.
Aus für Co op: Auch dieser Laden in Vollmarshausen schloss die Türen. (Archivfoto) © Thomas Rosenthal

Heinz Jünemann (94) hat das miterlebt. Mit Unterbrechungen gehörte er vier Jahrzehnte dem Aufsichtsrat einer Konsumgenossenschaft an, zuerst in seiner Heimatstadt Witzenhausen. Der junge angehende DGB-Gewerkschaftssekretär fuhr über Land und warb für die kleine Genossenschaft mit nur sechs Läden, die kein eigenes Zentrallager hatten. Die Organisation in Eschwege plagten ähnliche Beschaffungs- und Verteilungsprobleme. Man schloss sich zusammen und stieß schließlich zur Konsumgenossenschaft Kassel.

Jünemann, hauptberuflich im Deutschen Gewerkschaftsbund, danach sechs Jahre als Bürgermeister in Hessisch Lichtenau und später in der SPD tätig, zog mit. Das operative Geschäft übernahm die später zusammengebrochene Co op AG (Frankfurt). „Wir selbst hatten nur die Läden“, sagt Jünemann.

Umbau am Kirchweg in Kassel: Genossenschaft saß auf Millionenverlusten

Weil aber die Umsätze zurückgingen, nahm die Kasseler Genossenschaft das Geschäft zurück. Später streckte sie ihre Fühler nach Dortmund aus. Es waren wohl auch die Immobilien, die die Nordhessen interessant machten – 1987 kam es zur Fusion. Die neue Genossenschaft Dortmund-Kassel wurde die größte ihrer Art in Europa.

Zur Gruppe gehörten neben den Co-op- und Pro-Läden auch Plaza sowie die Top-Tech-Technikmärkte. Mehr als 15.000 Menschen arbeiteten in Spitzenzeiten für den Konzern. Den Zusammenbruch hat Jünemann nicht mehr als Aufsichtsrat miterlebt, er hatte schon zuvor nicht mehr für das Kontrollgremium kandidiert.

Bereits die großzügige Ausschüttung 1995 konnte sich die Genossenschaft nicht mehr leisten. In den neuen Ländern zugekaufte Märkte lieferten rote Zahlen ab. Als die Genossenschaft die Minusmacher wieder abstieß, blieb sie auf Millionenverlusten sitzen. Die Rücklagen wurden angezapft, die Mitglieder wanderten ab.

Auf dem Parkdeck am Kasseler Kirchweg gab es viele Geschäfte

Mit dem Verkauf von Läden und Tochtergesellschaften versuchte sich das Unternehmen zu retten – so gingen 34 Co-op- und Pro-Märkte in Nordhessen an Spar. Das Land Nordrhein-Westfalen bürgte. Doch 1997 war die Genossenschaft am Ende. Der Wirtschaftsprüfer Jürgen Rolfs, von den Banken und dem Land NRW in den Vorstand geschickt, entdeckte geschönte Bilanzen und weitaus höhere Verluste als ausgewiesen.

Die Abweichungen hatten sich binnen dreier Jahre auf 95 Millionen Mark (48,6 Millionen Euro) summiert. 1998 beschlossen die Genossenschaftler die Auflösung des Handelsunternehmens, Ende des Jahres waren fast alle der 446 Läden geschlossen und die Spareinlagen der Mitglieder, 60 Millionen Mark, verloren. Einige klagten dagegen – vergebens.

In der Wittrockstraße in Wehlheiden aber rückten die Baumaschinen an. Auf dem ehemaligen Parkdeck des Co-op-Gebäudes entstand – unter den Wehlheidern kontrovers diskutiert – Raum für neue Geschäfte. Aldi, Rossmann und Takko zogen ein, im Erdgeschoss etablierte sich der Rewe-Markt, der nun umgebaut wird. (Barbara Will)

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