Der Glockenspieler ist tot: Mit Wilhelm Ritter starb Kassels berühmter Organist

Wilhelm Ritter ist tot. Kassels berühmtester Glockenspieler, „Carillonneur“, Organist, Chorleiter und Pädagoge starb am Montag, fünf Tage vor seinem 68. Geburtstag.
Die zurückliegenden Wochen musste Ritter, der an einer chronischen Herzerkrankung litt, im Krankenhaus verbringen, wo er in Folge mehrerer Herz-OPs starb.
Tausende Menschen in Kassel dürften über seinen Tod bestürzt und traurig sein, denn Wilhelm Ritter, eine Persönlichkeit mit Charisma, lauter Stimme und großem Herzen, war bekannt und hatte viele Fans. Der Menschen- und Tierfreund war mitreißend, aufgeschlossen, spontan und unangepasst. Zum Wesen des baumlangen Vollbartträgers gehörte auch, dass er poltern und Unbequemes aussprechen konnte.
Zu Bekanntheit brachte ihn seine Leidenschaft, die Kirchenmusik. Seit seinem 12. Lebensjahr spielte Ritter, der aus Orferode bei Bad Soden Allendorf stammt, Orgel. Vor einem Jahr feierte er sein 50-jähriges Jubiläum als Organist an der Martinskirche. Es waren nach seinen Schätzungen 1000 Gottesdienste, die er dort begleitet hat. Dass er dort zuletzt auf der neuen Rieger-Orgel spielen konnte, hatte ihn beglückt. Zu seinem Pensum kommen viele Gottesdienste in anderen Kirchen, bei denen er aushalf. An Feiertagen wie Weihnachten spielte Ritter mitunter drei Mal am Tag. „Es war manchmal anstrengend“, sagt Ehefrau Gabriela Ritter, aber es war seine Passion.
Als Lehrer für Deutsch, Musik und Kunst unterrichtete Ritter zunächst in Hessisch Lichtenau und später bis zu seiner Pensionierung an der Kasseler Albert-Schweitzer-Schule. Generationen von Schülern pflanzte er seine Liebe zur Musik ein. Er leitete mit Temperament diverse Chöre und gab Unterricht an den Instrumenten, für die er brannte: Klavier, Orgel und Carillon. Das Glockenspiel, das „Carillon“, erlernte Ritter mit 21 Jahren. Es ließ ihn nicht mehr los. Später studierte er an der Königlichen Glockenspielschule im belgischen Mechelen und durfte sich diplomierter Turmglockenspieler nennen. Als Carillonneur und Orgelsachverständiger gelangte er zu großer Bekanntheit. Auf unzähligen europäischen Glockentürmen hat er gespielt. Selber organisierte er Glockenspielfestivals, zunächst in Aschaffenburg und später auch in Kassel, wo er internationale Kollegen in die Karlskirche einlud. Zuletzt hatte sich Ritter stark für die Renovierung der Karlskirche engagiert. Er war dort ebenso wie in der Martinskirche lange im Kirchenvorstand aktiv.
Jeder, der sich in der Innenstadt aufhielt, hat Ritter schon einmal gehört: wenn er an seinem Carillon-Pult saß und die 47 Glocken der Karlskirche mit festen Faustschlägen – denn so spielt man das Instrument, das über Drähte mit den Klöppeln der Glocken verbunden ist – zum Klingen brachte. Dann lag für den, der zuhörte und innehielt, ein feierlicher, heiliger Ton über der geschäftigen Stadt. Dabei war Ritter auch hier unorthodox und spielte neben Kompositionen von Bach schon mal die Beatles.
Mit seiner Frau Gabriela war er seit 1972 verheiratet. Mit ihr, ebenfalls eine Lehrerin, hatte er eine Partnerin an seiner Seite, mit der er viele anspruchsvolle Musikprojekte wie schulübergreifende Aufführungen realisierte. Oft saß sie neben ihm auf der Orgelbank und schlug für ihn die Noten um. „Meine Frau ist mein Ohr“, hatte Ritter einmal gegenüber der HNA gesagt. Das Paar hat einen Sohn und eine kleine Enkeltochter.
Die Beisetzung wird auf Wunsch der Familie im kleinen Kreis stattfinden. Statt Kränze hätte sich Wilhelm Ritter Spenden für die Renovierung der Karlskirche gewünscht, sagt seine Frau.