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„Kommen früh mit dem Tod in Berührung“: Frida Behrendt sagt, wie es ist, einen beeinträchtigten Bruder zu haben

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Von: Anna Weyh

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Frida Behrendt besucht die Jacob-Grimm-Schule und spielt in ihrer Freizeit Klavier.
Frida Behrendt besucht die Jacob-Grimm-Schule und spielt in ihrer Freizeit Klavier. © Anna Weyh

Wenn ein Kind schwer erkrankt oder beeinträchtigt ist, steht das Familienleben Kopf. Häufig rücken dabei die Geschwisterkinder in den Hintergrund.

Kassel – Wir haben mit Frida Behrendt gesprochen. Die 17-Jährige hat einen querschnittsgelähmten Bruder.

Wie unterscheidet sich Dein Alltag von dem Deiner Freunde?

Es gibt Unterschiede, zum Beispiel ist immer ein Pflegedienst bei uns im Haus. Es sind also Zusatzpersonen da, wobei wir alle wirklich schon ewig kennen. Das sind mittlerweile keine fremden Personen mehr.

Außerdem helfe ich mal mit, wenn meine Eltern nicht da sind. Ich unterstütze zum Beispiel die Krankenschwester dabei, meinen Bruder ins Bett zu bringen. Einfach ein bisschen mitanfassen und gucken, dass nichts schiefgeht.

Aber das ist nicht außergewöhnlich für mich. Es ist ganz normal, so wie Spülmaschine ausräumen. Ich meine damit, dass es mich nicht einschränkt, es gehört einfach dazu.

Kam Dein Bruder bereits mit einer Beeinträchtigung zur Welt?

Nein, mein Bruder Jascha hatte einen schweren Fahrradunfall, als er fünf Jahre alt war. Er brach sich dabei das Genick. Als einer von wenigen hat er diese Verletzung überlebt, aber er ist seitdem querschnittsgelähmt.

Er muss beatmet und über eine Sonde ernährt werden.

Was hat sich nach dem Unfall für Dich geändert?

Der Unfall ist schon 15 Jahre her, ich war damals erst eineinhalb. Ich habe kaum noch Erinnerungen an diese Zeit. Das erste Jahr waren wir in vielen Kliniken unterwegs. Als wir dann wieder zu Hause waren, war immer viel Pflegepersonal im Haus.

Es gab auch eine ehrenamtliche Betreuerin vom Kinderhospizdienst, die viel mit uns unternommen hat. Mit meiner kleinen Schwester Clara, sie ist fünf Jahre jünger als ich, und mir ist sie auf den Spielplatz oder ins Kino gegangen.

Aber auch bei kleinen Dingen, wie beim Geschenkebesorgen, hat sie mir geholfen. Sie hat auch mit meinen Eltern gesprochen oder mal was mit Jascha gemacht. Der enge Kontakt zu ihr besteht bis heute.

Wenn immer eine Pflegekraft bei Deinem Bruder ist, dann sind auch nachts Fremde bei Euch im Haus?

Genau, zu jeder Uhrzeit. Es ist immer eine Pflegekraft da und zusätzlich häufig auch noch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und so. Also wir haben wirklich immer ein volles Haus.

Aber meine Eltern haben da auch drauf geachtet, dass meine Schwester und ich uns auch zurückziehen können, wenn uns alles zu viel wird. Wir schlafen im ersten Stock, mein Bruder schläft unten.

Ich kenne aber auch viele betroffene Familien, die nicht so viel Platz haben wie wir. Da sind dann alle ständig mit der Situation konfrontiert.

Was passiert, wenn der Pflegedienst mal ausfällt?

Dazu muss man sagen, dass wir wirklich Glück mit unserem Pflegedienst hatten. Von Anfang an haben wir uns gut verstanden. Wir haben Kontakt zu mehreren Familien, die Schwierigkeiten haben, überhaupt einen Pflegedienst zu finden.

Es gibt viel zu wenig Personal. Wenn ein Pfleger mal kurzfristig krank wird, müssen meine Eltern einspringen. Das kommt im Monat schon vier bis fünf Mal vor. Da müssen alle Termine abgesagt werden. Ich bin davon aber nur sehr selten betroffen.

Wie ist denn das Verhältnis zwischen Deinem Bruder und Dir?

Mein Bruder kann nicht sprechen, so wie wir es tun. Er redet mit seinen Augen. Wenn er zwinkert, heißt das „ja“, und wenn er die Augenbrauen hochzieht, heißt das „nein“. Somit engen sich die Gespräche auf Ja-Nein-Fragen ein, aber das funktioniert prima.

Unsere Beziehung ist nicht sehr viel anders als andere geschwisterliche Beziehungen. Wenn wir unterwegs sind, helfe ich ihm manchmal ein bisschen bei der Kommunikation, aber ansonsten machen wir die gleichen Dinge wie andere auch.

Wir gucken zusammen Filme, essen zusammen, gehen spazieren. Wir sind eigentlich ganz normal und haben ein gutes Verhältnis zueinander.

Könnt Ihr auch gemeinsam in den Urlaub fahren?

Das machen wir jedes Jahr. Wir sind früher immer zu einem Kinderhospiz bei Bremen gefahren und haben dort andere betroffene Familien besucht. Seit wir jetzt alle ein bisschen älter sind, fahren wir zusammen an die Nordsee.

Mein Bruder wollte gern mal das Meer sehen. Meist sind wir für ein bis zwei Wochen da, nur mit der Familie und zwei oder drei Krankenpflegern. Wir genießen es, die Zeit am Meer gemeinsam zu verbringen.

Gab es auch Momente, in denen Du Dich allein gefühlt hast?

Klar gab es da mal Situationen, in denen ich lieber etwas anderes gemacht hätte, aber die kennt ja jedes Kind. Meine Eltern waren auch immer für mich da. Ich habe alles, was ich mit unserer ehrenamtlichen Betreuerin gemacht habe, auch mit ihnen gemacht.

Sie war einfach eine Entlastung für meine Eltern in schwierigen Situationen, wie eine helfende Hand.

Du wirkst sehr reflektiert für Dein Alter. Glaubst Du, dass das mit Deinen Erfahrungen zu tun hat?

Das ist etwas, das vielen Geschwistern von schwer kranken Kindern nachgesagt wird. Ich glaube schon, dass ich eine andere Sicht auf das Leben habe als meine Freunde. Wir kommen ja auch viel früher mit Krisen oder auch dem Tod in Berührung.

Das kann durch die eigene Familie sein, aber auch durch befreundete Familien oder durch unsere Besuche im Kinderhospiz. Wir mussten damit aber auch nie allein klarkommen, sondern wurden immer mitgenommen.

Es wurde uns als etwas Natürliches gezeigt.

Dann läuft es gut in Deiner Familie?

Bei uns lief es immer gut, das muss man so sagen. Was wir auch für ein Glück hatten, dass Jascha den Unfall überlebt hat.

Meine Eltern sind auch toll mit der Situation umgegangen und haben darauf geachtet, dass immer jemand da war für meine Schwester und für mich. Ich kenne auch viele Geschwisterkinder, die mehr unter der Situation leiden.

Vor allem Jüngere müssen teilweise gut funktionieren, damit das Ganze auch einfach funktioniert.

Was wünschst Du Dir für Deine Zukunft?

Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass der Kontakt zu meiner Familie immer so eng bleibt, wie er ist. Ansonsten weiß ich noch gar nicht genau, was ich beruflich machen möchte. Aber ich würde gern mit Menschen arbeiten. (Anna Weyh)

Termin: Das Kinder-Palliativ-Team „Kleine Riesen Nordhessen“ informiert über die Begleitung von Geschwistern von schwer kranken Kindern am Mittwoch, 1. Dezember, im Museum für Sepulkralkultur Kassel. Los geht es um 15 Uhr.

Besucher erwarten Erfahrungsberichte von Geschwisterkindern sowie Beiträge von Experten. Anmeldung bis Freitag, 26. November, unter info@kleine-riesen-nordhessen.de oder 05 61/9 80 55 12.

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