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Anklage gegen zwei Ärzte nach Tod eines dreijährigen Jungen in Kassel erhoben

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Von: Ulrike Pflüger-Scherb

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Gegen zwei Ärzte aus dem Landkreis Kassel ist nach dem Tod eines dreijährigen Jungen Anklage wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen erhoben worden. © Peter Steffen/dpa

Nach einer Tragödie in einer Kasseler Arztpraxis hat die Staatsanwaltschaft Kassel Anklage gegen einen 58-jährigen HNO-Arzt sowie einen 66-jährigen Anästhesisten vor dem Amtsgericht Kassel wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen erhoben. Laut Staatsanwaltschaft sind die beiden Ärzte für den Tod eines dreijährigen Jungen verantwortlich.

Kassel – Nachdem ein dreijähriger Junge im April 2021 nach einem Routineeingriff in einer Kasseler HNO-Praxis gestorben ist, hat die Staatsanwaltschaft Kassel Anklage gegen einen 58-jährigen HNO-Arzt sowie einen 66-jährigen Anästhesisten wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen erhoben. Beide Ärzte kommen aus dem Landkreis Kassel.

Eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens sei durch das Amtsgericht Kassel bislang nicht getroffen worden, teilt Andreas Thöne, Sprecher der Staatsanwaltschaft Kassel, mit.

Der Kasseler Rechtsanwalt Jorg Estorf, der die Eltern des toten Jungen in der Nebenklage vertritt, spricht von einem besonders tragischen Vorfall. Es seien „krasse Versäumnisse“ der Ärzte festzustellen, die zu dem Tod des Kindes geführt hätten.

Dem Jungen waren laut Anklage damals von dem HNO-Arzt in seinen Praxisräumen bei einer ambulanten Operation Polypen entfernt worden. Die erforderliche Vollnarkose wurde von dem Anästhesisten vorgenommen.

Rechtsanwalt Estorf berichtet, dass der Junge nach der OP von dem Anästhesisten in den Aufwachraum der Praxis getragen worden sei. Dort seien aber nur zwei Liegen und Stühle vorhanden gewesen. Es habe kein Monitoring (damit bezeichnet man in der Intensiv- und Notfallmedizin die lückenlose Überwachung der Vitalfunktionen) vorhanden gewesen. „Je jünger ein Patient ist, desto intensiver muss die Überwachung sein“, sagt der Fachmann für Medizinrecht.

Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Ärzten aber nicht nur vor, das Kind nicht apparativ überwacht zu haben. Es habe auch keine ausreichende ärztliche Präsenz in dem Raum gegeben.

Laut Estorf befanden sich nur die Mutter des Jungen sowie die Mutter eines anderen Kindes in dem Aufwachraum. Dort habe der frisch operierte Junge nach wenigen Minuten blaue Lippen und einen blutigen Husten bekommen. „Ein Bluthusten ist ein Alarmsignal in der Medizin“, so Estorf. Die Mutter habe um Hilfe geschrien. Daraufhin sei der Anästhesist gekommen und habe dem Jungen eine Substanz, die in den Krankenunterlagen nicht dokumentiert worden sei, gespritzt. Vermutlich habe es sich um ein Narkosemittel gehandelt. Der Arzt habe aber nicht den Rachenraum des Kindes auf eine Verlegung kontrolliert. Das sei ein „ärztlicher Kardinalfehler“ gewesen, so Estorf. Der Arzt habe die Mutter beruhigt, und der Junge sei eingeschlafen.

Erst nach rund 90 Minuten sei der Anästhesist dann wieder in dem Aufwachraum aufgetaucht. Das war offensichtlich viel zu spät. Denn dann habe der Arzt erst realisiert, dass der kleine Junge einen Atemstillstand hatte.

Laut Staatsanwaltschaft soll der Anästhesist erst festgestellt haben, dass mit dem Kind etwas nicht stimmt, als er den Venenzugang aus der Armbeuge des Patienten entfernte. Daraufhin habe er das Kind reanimiert, aber nicht mehr seinen Tod verhindern können, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Der Dreijährige soll schließlich an einem Sauerstoffmangelschaden des Hirngewebes gestorben sein.

Im Ergebnis werde den beiden Angeklagten somit vorgeworfen, den „reanimationspflichtigen Zustand des Patienten nicht früher bemerkt und aufgrund dessen nicht unverzüglich gehandelt zu haben“.

Den beiden Ärzten drohe nicht nur eine Strafe vor Gericht, sondern im Fall einer Verurteilung auch der Verlust der Approbation, so Estorf. Am wichtigsten sei es aber nun, dass sich solche „krassen und zugegebenermaßen recht seltenen Ausstattungsmängel bei der personellen und apparativen Überwachung trotz der damit verbundenen Kostenlast“ nicht wiederholten, sagt der Rechtsanwalt. Durch solch eklatante Sorgfaltspflichtverstöße dürften keine weiteren Kinder zu Schaden kommen. (use)

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