So reagieren Kasseler auf den Krieg in der Ukraine

Auch in Kassel herrscht Fassungslosigkeit über den Angriff von Russland auf die Ukraine. Wir lassen Menschen aus der Region zu Wort kommen.
Krieg in Europa war bislang für viele Menschen unvorstellbar. Dabei ist es jetzt nicht das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass es in Europa Krieg gibt. Aber der Jugoslawien-Konflikt ist schon lange her. Auch deshalb sind viele Menschen bestürzt über die russische Kriegserklärung gegen die Ukraine. Viele fordern besonnene Reaktionen des Westens. Zugleich wird gefordert: Europa muss verteidigungsfähig werden.
Sorgen um die Tochter

Patricia Nickel-Dönicke (Schauspieldirektorin vom Staatstheater): „Dieser Krieg ist ein krasser Realitätseinbruch nach Corona. Ich mache mir Sorgen um meine zehnjährige Tochter. Soll sie jetzt wirklich in einem Europa aufwachsen, in dem Krieg herrscht? Ich weiß nicht recht, wie ich es ihr erklären soll. Sie schaut oft die Kindernachrichten „Logo“, ich bin gespannt, wie die das aufbereiten, gerade, weil der Krieg ja so nah ist. Ich selbst bin im Kalten Krieg aufgewachsen, in der DDR, ich erinnere mich genau, dass ich in dem Alter Angst vor einem Atomkrieg hatte, das spüren Kinder sehr. Solche Ängste werden nun natürlich geschürt, wenn wieder jemand am Roten Knopf sitzt.“
„Minsker Abkommen wurde nicht ernst genommen“
Michael Lacher (Publizist und Blogger aus Kassel): „Ich bin entsetzt. Ich hatte Putin stets unterstellt, dass er nachvollziehbare und rationale Politik macht. Diese Einschätzung ist zerstört. Alles, was jetzt militärisch gelöst werden soll, hätte man am Verhandlungstisch klären können. Beide Seiten tragen dafür Verantwortung. Das Minsker Abkommen wurde weder von den Separatisten, der Ukraine noch der Nato ernst genommen. Das rechtfertigt aber nicht Putins Vorgehensweise. Ich habe Angst, welche Konsequenzen daraus entstehen: Wirtschaftlich, aber natürlich auch, was den Flüchtlingsstrom betrifft. Ich hoffe nicht, dass Europa auf einen Krieg zusteuert. Es sind besonnene Reaktionen nötig.“
„Waffen haben Kriege noch nie verhindert“
Werner Pausch (ehemaliger Welleröder Pfarrer und Gemeindevertretervorsitzender): „Dass es zu einem Krieg kommt, damit habe ich nicht gerechnet. Es ist ein historischer Moment, den wir da gerade erleben: ein Krieg in Europa. Ich bin entsetzt, hoffe aber, dass der Westen selbst keine kriegerischen Handlungen anstrebt und auch keine Waffen liefert. Denn Waffen haben Kriege noch nie verhindert. Stattdessen hoffe ich, dass wirtschaftliche Sanktionen ausreichen, um den Konflikt zu lösen.“
„Putin hat der gesamten demokratischen Welt und Europa den Krieg erklärt“

Hermann Heußner (Vorsitzender der Europa-Union Kassel): „Putin hat in seiner Rede in der Nacht zu Donnerstag der gesamten demokratischen Welt und insbesondere Europa den Krieg erklärt. Damit ist ein neues Kapitel der Geschichte aufgeschlagen. Nichts ist mehr, wie es war. Viele haben sich über die Absichten des russischen Diktators zu lange Illusionen gemacht. Er hat ein völkisches Weltbild und will das russische Imperium mit hypermoderner Kriegstechnik wiedererrichten. Auch im Baltikum und Polen schlottern unseren europäischen Freunden schon die Knie. Jetzt kommt es darauf an, dass Europa ganz schnell verteidigungsfähig wird. Wir müssen ja damit rechnen, dass in drei Jahren in den USA wieder der Putinfreund Trump regiert.“
Schock über Tragödie
Karl Nesemann (Ingenieur aus Kaufungen): „Die Tragödie in der Ukraine ist bestürzend. Dass sich der Stärkere einfach nimmt, was er will und seine Machtpolitik so auslebt, halte ich für barbarisch, wahnsinnig und egoistisch. Putin hat da eine Grenze überschritten. Mein Wunsch ist, dass wirtschaftliche Sanktionen dagegen helfen und wir einen größeren Krieg verhindern können. Denn eigentlich habe ich eine pazifistische Grundeinstellung. Andererseits bringt Pazifismus nur bedingt etwas, wenn dich dein Nachbar mit Steinen bewirft. Dass es zu schlimmeren Auseinandersetzungen wie einem Atomkrieg kommt, halte ich für unwahrscheinlich. Aber Sorgen mache ich mir trotzdem, vor allem um meine beiden Kinder.“
„Jetzt ist es plötzlich ein heißer Krieg geworden“
Angelika Großwiele (Espenauer Kirchenmusikerin im Ruhestand): „Ich habe den ganzen Tag die Nachrichten verfolgt. Was da passiert, ist sehr bedrohlich. Den Kalten Krieg habe ich miterlebt, das Wettrüsten und den Zerfall der Sowjetunion. Jetzt ist es plötzlich ein heißer Krieg geworden. Meine Befürchtung ist, dass Putin Russland zu alter Größe bringen will. Ich denke nicht, dass wir davon direkt betroffen sein werden, außer durch steigende Preise. Anders sieht das für die Menschen in der Ukraine aus. So etwas müssen immer die kleinen Leute ausbaden. Ich habe Vertrauen, dass der Westen gut reagiert, mit Deeskalation.“
Schülerin möchte nach der Pandemie nicht auch noch einen Krieg erleben
Rojda Kansiray (19), Schülerin der Friedrich-List-Schule: „Es war heute Morgen in der Schule das Thema. Alle redeten nur darüber: Der Krieg ist ausgebrochen. Ich hatte die Infos frühmorgens über die Whatsapp-Gruppe des Vorstands des Landesschülerinnenrats erhalten. Das ist so surreal. Der Konflikt war schon vorher da, trotzdem ist es ein Schock, dass Putin über Nacht mit Soldaten in die Ukraine einmarschiert ist.

Wir haben in der Schule Kriege behandelt, aber das war nur theoretisch. Dass jetzt ein Weltkrieg eine reale Gefahr ist, macht mir große Angst. Man sollte doch meinen, dass man aus der Geschichte gelernt hat. In Deutschland spüren wir es noch nicht, aber ich habe ein flaues Gefühl im Magen. Ich möchte ungern zu der Generation gehören, die jetzt auch noch einen Krieg erleben muss. Wir Jugendlichen haben schon so unter der Pandemie gelitten. Ich bin 19, das sollten doch meine schönsten Jahre sein. Ich weiß nicht, wie sich die Situation entwickelt und hoffe, dass sie sich beruhigt. Meine Gedanken sind bei den Menschen, vor allem den Jugendlichen in der Ukraine. Sie tun mir von Herzen leid.“
„Ich habe Angst“
Ingeburg Schramm (Ingenieurin im Ruhestand, lebt in Kassel): „Ich habe den Krieg erlebt und weiß, wie schrecklich er ist. Ich habe als Kind Kassel brennen sehen und mache mir deshalb jetzt große Sorgen. Ich habe Angst und befürchte, dass Putin größenwahnsinnig geworden ist. Sowohl von US-Präsident Biden als auch von Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock bin ich enttäuscht. Insgesamt hätten die westlichen Politiker meiner Ansicht nach viel entschiedener auftreten müssen. Die können alle Putin nicht das Wasser reichen, davon bin überzeugt. Es ist gut möglich, dass durch den russischen Einmarsch eine Fluchtwelle ausgelöst werde. Das bekommt man dann auch in Deutschland zu spüren.“
Will Putin die Ukraine besitzen?
Klaus-Peter Haupt (Geschäftsführer Schülerforschungsnetzwerk Deutschland): „Ich bin entsetzt über das Vorgehen von Putin. Ich kenne auf wissenschaftlicher und kollegialer Ebene viele Russen und habe sie schätzen gelernt. Ich weiß, wie sie denken. Diese Menschen wollen Frieden genauso wie wir. Deshalb macht es mich so wütend, dass jetzt ein einziger Mensch mit seinem Gefolge alles zerstört. Wir haben im Schülerforschungszentrum immer einen guten Austausch mit russischen Kollegen und Jugendlichen gehabt. Demnächst steht der russische Wettbewerb von „Jugend forscht“ an. Für März haben wir eine Online-Konferenz mit unserer Partnerschule in Sibirien. Ich hoffe, dass alles stattfinden wird. Ich befürchte, der Konflikt ist erst beendet, wenn Putin sein Ziel erreicht hat: Er will die Ukraine besitzen. Die Menschen, die darunter leiden, sind ihm gleichgültig. Ich hoffe sehr, dass die Menschen in Ost und West trotzdem zusammenfinden.“
Alte Gräben brechen auf
Regine Brunke (Musikerin aus Kassel): „Ich bin tieftraurig und fassungslos. Ich selber habe erlebt, wie in den 1990er-Jahren langsam ein Austausch mit Russland anlief und immer intensiver wurde, da sind viele Freundschaften entstanden. In Hinblick auf die schreckliche Geschichte fand ich, dass das auf ziviler Ebene eine gelungene Annäherung war, eine Versöhnung verwundeter Nationen. Und das alles soll jetzt zerstört werden? Es macht mich traurig, dass Gräben aufbrechen. Mir ist zum Weinen zumute. Jetzt muss alles getan werden, um zu deeskalieren.“
„Ich habe wenig Hoffnung“
Brigitte Bergholter (ehemalige SPD-Stadträtin in Kassel): „Mir geht es seit heute Morgen schlecht. Die Nachrichten sind mir in den Magen gefahren. Putins Aggression ist durch nichts zu entschuldigen. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich als Nachkriegskind einmal vor einem Krieg Angst haben muss. Ich dachte, Krieg ist woanders, weit weg, auf Falkland vielleicht. Aber jetzt ist er auf unserem Kontinent. Ich habe wenig Hoffnung, dass die Maßnahmen gegen Putin Wirkung haben könnten.

Ich habe zehn Jahre lang Kassels Partnerstädte betreut, darunter auch das russische Jaroslawl. Dabei und in anderen Kontexten zum Beispiel bei Schüleraustausch-Programmen, die ich als Schulleiterin begleitet habe, lernte ich wunderbare, warmherzige Russen kennen. Es tut mir weh, zu sehen, dass Putin in deren Namen einen Krieg führt, den diese mit Sicherheit nicht wollen.“ fra/mgo/chr/tos/bal/rud