März ist Darmkrebsmonat
Klinikum Kassel startet das ERAS-Projekt im Bereich der Dickdarm-Operationen

Eine Operation ist für den betroffenen Patienten kein alltägliches Ereignis, sondern eine außergewöhnliche Belastungssituation – sowohl körperlich als auch psychisch. Dabei ist jede Operation mit allgemeinen und spezifischen Risiken verbunden.
Manche Risikofaktoren für Komplikationen, wie beispielsweise bestimmte Vorerkrankungen oder jahrelanges Rauchen, lassen sich nicht kurzfristig abstellen. Umso wichtiger ist es, dass Ärzte und Pflegepersonal aktiv und umfassend versuchen, Störeinflüsse zu vermeiden, um dem Patienten eine möglichst schnelle Regeneration und Rückkehr in seinen Lebensalltag zu ermöglichen. Hierfür wurde am Klinikum Kassel in der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie nun das ERAS-Projekt ins Leben gerufen. ERAS steht für „Enhanced Recovery after Surgery“, übersetzt bedeutet es „beschleunigte Genesung nach chirurgischen Eingriffen“. Priv.-Doz. Dr. Kia Homayounfar, Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum Kassel, sprach mit uns über das neuartige Projekt.
Herr Dr. Homayounfar, an wen richtet sich das ERAS-Projekt und wieso wurde es ins Leben gerufen?
Zunächst einmal richtet sich das Projekt an Patientinnen und Patienten, die eine geplante Dickdarm-Operation bekommen sollen. Meist handelt es sich bei uns dabei um Darmkrebs-Patienten. Denn frühzeitig erkannt, lässt sich Darmkrebs sehr gut operativ behandeln. Aber auch andere Erkrankungen können diese Operation notwendig machen, weshalb Dickdarm-Operationen zu den häufigsten Eingriffen in der Bauchchirurgie zählen. Diese sind meist sehr komplex und können ein breites Komplikationsspektrum mit sich bringen. Umso wichtiger ist es, dass die Patienten mit der größtmöglichen Aufmerksamkeit behandelt werden. Das ist mir ein großes Anliegen. Als einziges von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziertes Darmkrebszentrum in Nordhessen hat das Klinikum Kassel ein für die Krebspatienten wichtiges Qualitätsmerkmal bereits geschaffen. Wir haben jedoch den Anspruch an uns selbst, die Behandlungsqualität immer weiter zu verbessern und haben uns daher mit dem Thema ERAS beschäftigt.
Worum handelt es sich denn genau bei diesem ERAS-Projekt und was ist das Ziel?
Früher ist man davon ausgegangen, der Patient müsse sich nach einer Operation möglichst schonen, im Bett liegen und dürfe nichts oder nur sehr wenig essen bis die Nahtverbindung am Darm wieder verheilt ist. Seit einigen Jahren weiß man bereits, dass das so nicht stimmt. Es ist sogar viel besser, wenn der Patient frühzeitig das Bett verlässt und sich normal ernährt. Damit reduziert sich zum Beispiel das Risiko für Thrombosen und Lungenentzündungen. Mit dem ERAS-Projekt wird das Behandlungskonzept jedoch noch mal auf eine neue Stufe gehoben. Die ersten Maßnahmen des neuen Konzeptes beginnen bereits zu Hause. Und nach der Operation wird der Patient noch mehr als bisher zur Aktivität motiviert. Alles mit dem Ziel, die Rate der Komplikationen zu reduzieren und die Behandlungsqualität zu verbessern. Und das wirkt sich letztendlich auch in einer schnelleren Genesung und einem kürzeren Krankenhausaufenthalt aus.
Und durch welche Methoden wird dies umgesetzt?
Im ERAS-Projekt wird nicht wie oftmals in der Vergangenheit nur auf einen Bestandteil der Behandlung, beispielsweise die Operation, geschaut. Es wird vielmehr der gesamte Behandlungspfad vom ersten Patientenkontakt an über alle Berufsgruppen und ärztlichen Fachdisziplinen hinweg optimiert. Es handelt sich also um ein multimodales Konzept, in dem alle daran Beteiligten, wie Chirurgen, Anästhesisten, Physiotherapeuten und das Pflegepersonal, aber auch die Patienten selbst, intensiv daran arbeiten, die Vorbereitungs- und Erholungsphase nach einer Operation so wenig belastend wie möglich zu gestalten. Darüber hinaus werden Teile der Behandlung in den ambulanten Bereich vorgezogen, damit die Patienten mit einer ganz anderen Motivation, Einstellung und Vorbereitung in das Krankenhaus kommen. Eine weitere Neuheit ist, dass das Ganze auch digital in Form einer Patienten-App unterstützt wird. Die App stärkt vor allem die Patientenbeteiligung. Darüber hinaus werten wir die Patientenverläufe intern aus, wodurch unser kontinuierlicher Verbesserungsprozess unterstützt wird.
Inwiefern sind denn die einzelnen Personen daran beteiligt?
Das ERAS-Projekt hat bei uns ein festes Kernteam, das für die Weiterentwicklung und Anpassung des Projekts zuständig ist. Es besteht aus zwei chirurgischen Oberärzten, einem Anästhesie-Oberarzt und zwei speziell geschulten Pflegekräften, die auch als „ERAS-Nurses“ bezeichnet werden. Diese besonderen Pflegekräfte sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Projektes, denn sie sorgen dafür, dass bei den Patienten das Konzept wirklich konsequent eingehalten wird. Sie prüfen bei jedem Patienten, ob er oft genug das Bett verlassen und seine Übungen gemacht hat, die Kostform richtig angeordnet ist und mehr.
Natürlich haben wir Chirurgen auch unsere Vorgehensweise bei den Operationen verbessert. Wir operieren wann immer es geht minimal-invasiv und brauchen in der Regel keine Bluttransfusionen mehr. Zudem versuchen wir, auf alle Drainagen zu verzichten, die die Patienten an der Mobilisation hindern. Auch Infusionen sollten nach Möglichkeit vermieden werden, damit die Patienten selber trinken. Das alles tun wir, um ihnen zu ermöglichen, schnell wieder aus dem Bett herauszukommen. Denn vorgesehen ist, dass die Patienten am zweiten Tag nach der Operation schon acht Stunden außerhalb des Bettes verbringen sollen, um die Wund- und Nahtheilung zu fördern und das Risiko für Thrombosen und Lungenentzündungen zu verringern.
Werden Sie bei der Implementierung und Umsetzung des Projekts unterstützt?
Ja, das werden wir. Die Einführung des Projektes wird intensiv von Professor Wolfgang Schwenk begleitet. Professor Schwenk ist seit nunmehr 15 Jahren der deutsche Experte für das Thema ERAS beziehungsweise für das perioperative Management, also die Maßnahmen rund um die Operation herum. Mit ihm zusammen haben wir alle Behandlungspfade bei uns festgelegt und Checklisten geschrieben, damit dieses Konzept eingehalten wird. Wir haben jetzt eine circa dreimonatige Vorbereitungsphase gehabt, in der wir das Kernteam festgelegt und alle Prozessschritte haarklein durchgearbeitet haben. Und nun folgt eine neunmonatige Implementierungsphase, die Professor Schwenk ebenfalls begleitet. In regelmäßigen Treffen vor Ort oder online per Zoom wird dann geschaut, wie das Projekt läuft und wo Optimierungsbedarf besteht.
Welche Rolle spielen die Patienten dabei?
Sie müssen mitmachen wollen und auch können. Für uns ist erst mal wichtig, dass wir die Patienten früh genug sehen, um eine eventuell vorhandene Mangelernährung oder Blutarmut rechtzeitig zu entdecken und gegebenenfalls darauf reagieren zu können. Manche Patienten müssen vor der Operation auch eine bestimmte Ernährung oder Medikamente zur Darmvorbereitung bekommen. Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist die Einstellung der Patienten. Sie müssen wissen, dass sie aller Voraussicht nach spätestens nach einer Woche entlassen werden und eben nicht mindestens zwei Wochen im Krankenhaus sind. Denn dann bringen sie sich ganz anders ein, weil die Motivation viel größer ist.
Es gibt auch kleine Tricks, die wir zur Anregung der Verdauung nach der Operation anwenden. Ergänzend zur Ernährungsberatung werden die Patienten beispielsweise dazu angeleitet, Kaugummi zu kauen, weil dies den Speichelfluss anregt. So kommt der Darm viel schneller in seine normale Funktion zurück. Es ist also nicht immer nur Hightech-Medizin, die dahinter steckt. Die Patienten bekommen auch ein Handbuch, in dem ausführlich erläutert ist, was auf sie zukommt und was ihr Beitrag dazu ist. Für sich genommen sind viele Aspekte eigentlich nichts Neues, aber das Spannende ist, das alles in einem Konzept wirklich zusammenzubringen und dann jemanden wie die ERAS-Nurses zu haben, die wirklich darauf achten, dass es eingehalten wird. Und das bringt einfach nachweisbar tolle Erfolge.
Ist denn geplant, das Projekt auch auf andere Bereiche auszuweiten?
Ja, auf jeden Fall. Der Bereich der Dickdarm-Operationen war nur unser Anfang, weil hier die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen und wir die größte Verbesserung erwarten. Wenn das ERAS-Projekt nach einem Jahr erfolgreich eingeführt wurde und wir mit den Ergebnissen zufrieden sind, dann weiten wir es auch auf andere große Operationen aus. Denn wir haben ja noch andere Schwerpunkte, für die das Projekt ebenfalls spannend ist, gerade im Bereich der Tumorchirurgie. Und auch andere Fachabteilungen haben Patienten, die durchaus von so einem Konzept profitieren könnten. Natürlich kann man nicht alles einfach eins zu eins übertragen. Aber wenn sich etwas bewährt, dann sollen doch möglichst viele Patienten davon profitieren.

Zur Person:
Priv.-Doz. Dr. Kia Homayounfar ist Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum Kassel. Er stammt aus Göttingen, wo er auch studierte. Nach der Facharztausbildung am Klinikum Kassel und seiner Promotion 2006 kehrte er an die Universitätsmedizin Göttingen zurück, wo er zuletzt in der Funktion als leitender Oberarzt und ständiger Vertreter des Direktors tätig war. 2016 wechselte er als Chefarzt an die ehemaligen DRK Kliniken Nordhessen, bevor er seine derzeitige Position am Klinikum Kassel einnahm. Dr. Homayounfar ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt leidenschaftlich gern in Kassel.
Darmkrebsmonat: Früherkennung ist entscheidend
Seit 2002 steht der März bundesweit im Zeichen der Darmkrebsvorsorge. Ausgerufen von der Felix Burda Stiftung, der Stiftung LebensBlicke und dem Verein Netzwerk gegen Darmkrebs, engagieren sich in diesem Jahr bereits zum 22. Mal Medien, Gesundheitsorganisationen, Unternehmen, Städte, Kliniken und Privatpersonen im Rahmen des Aktionsmonats für die Prävention durch Früherkennung.
Laut Angaben des Robert Koch-Instituts erkranken jedes Jahr rund 61 000 Menschen in Deutschland an Darmkrebs, weshalb Darmkrebs hierzulande zu den häufigsten Krebserkrankungen zählt. Leider sterben in Deutschland auch knapp 25 000 Menschen pro Jahr an den Folgen dieser Erkrankung. Dabei kann man kaum einer anderen Krebsart so leicht vorbeugen.
Die wichtigste Untersuchung zur Früherkennung von Darmkrebs ist die Darmspiegelung, auch Koloskopie genannt. Diese wird von Experten durchgeführt, kann ambulant erfolgen und ist so gut wie komplikationsfrei. Krebsvorstufen, sogenannte Darmpolypen, können bei der Darmspiegelung entdeckt und gleich entfernt werden, lange bevor sie sich bemerkbar machen. Eine weitere Untersuchung ist der Test auf nicht sichtbares Blut im Stuhl.
Es empfiehlt sich, mit der Hausärztin oder dem Hausarzt beziehungsweise einer Praxis für Gastroenterologie über Darmkrebs zu sprechen und sich über mögliche Vorsorgemaßnahmen beraten zu lassen. In Deutschland hat jeder Versicherte ab dem 50. Lebensjahr Anspruch auf regelmäßige Untersuchungen zur Früherkennung von Darmkrebs. Sie gehören zum gesetzlichen Krebs-Früherkennungsprogramm, die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.

Risikofaktoren und Vorbeugung
Es kann ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs bestehen, wenn Krebs bereits in der Familie aufgetreten ist. Daher ist es gerade für junge Menschen wichtig, in der Familie nach Krebserkrankungen nachzufragen. Liegt eine Darmkrebserkrankung in der Familie vor, sollte man mit dem Arzt sprechen, ob Früherkennungsuntersuchungen schon vor dem 50. Lebensjahr sinnvoll sind.
Bei der Vorbeugung von Darmkrebs spielt der Lebensstil eine wichtige Rolle. Fachleute empfehlen, Übergewicht zu vermeiden und auf eine gesunde Ernährung zu achten. Regelmäßige Bewegung und der Verzicht auf das Rauchen sind ebenfalls wichtig. (nfi)
Kontakt
Gesundheit Nordhessen - Klinikum Kassel
Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie
Mönchebergstraße 41-43
34125 Kassel
Telefon: 05 61 / 9 80 52 62 (Sekretariat)
www.gnh.net
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