Da gibt es natürlich keine Formel. Dass das Schulfach so unbeliebt ist, liegt daran, dass die Mathematik eine sehr klare Unterscheidung macht zwischen richtig und falsch. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes, bei vielen anderen Fragestellungen wären wir ja dankbar, wenn das so eindeutig wäre. Wenn in der Mathematik etwas nicht ganz richtig ist, ist es eben schon falsch. Das hat etwas Unbarmherziges und führt leicht zu einer Machtasymmetrie: Der Lehrer wirkt wie der Herr über richtig und falsch. Schüler können sich dann mitunter gedemütigt vorkommen.
Nervt Sie die Frage nach der Unbeliebtheit von Mathe inzwischen?
Nein, gar nicht. Es ist ja gut, sich darüber Gedanken zu machen.
Ihr schlechtes Image wird die Mathematik nicht los, dabei wird seit Jahrzehnten darüber diskutiert. Woran liegt das?
Mathe ist schwierig, das muss man schon sagen. Wenn man zur formalen mathematischen Sprache kommt, wird es auch sehr abstrakt. Ich glaube schon, dass inzwischen viel unternommen wird, um Mathe interessanter zu machen – in dem Sinne, dass Schüler den Stoff auch verstehen und nicht nur stumpf auswendig lernen. So wird Mathematik auch an den Hochschulen gelehrt.
Mochten Sie die Mathematik schon in der Schule oder hatten Ihre Lehrer noch Verbesserungspotenzial?
Beides. Ich konnte Mathe immer gut. Aber ich wollte vor allem in Musik und Sport richtig gut sein und habe dafür viel geübt und trainiert. Für Mathe habe ich nie viel gemacht, aber war oft gefragt, um meinen Klassenkameraden zu helfen. Ich hatte unterschiedliche Lehrer damals. Manche davon waren zumindest für meine Mitschüler doof, konnten mich aber begeistern.
Wie gelingt es, Mathematik verständlich und alltagsnah zu vermitteln?
Mit der Schulmathematik habe ich mich nie direkt beschäftigt, das sind nochmal besondere Probleme. Im Mathematikum versuchen wir, nicht zu belehren, sondern unseren Besuchern die Möglichkeit zu geben, selbst Erfahrungen zu machen. Alle Exponate sind Angebote, mathematische Probleme spielerisch zu erleben. Der zweite wichtige Punkt ist, rechtzeitig aufzuhören.
Was meinen Sie damit?
Die Kinder sind oftmals begeistert, wenn sie im Museum aktiv werden – und Erwachsene auch. Da wäre mancher Mathematiker verführt zu sagen: Jetzt haben wir sie und können auch schnell noch ein bisschen Differenzialgleichungen erklären. Darum geht es uns aber nicht. Wir machen eher Breitensport als Leistungssport. Wer dann wirklich mehr in die Tiefe gehen will, kann unsere Betreuungskräfte im Museum ansprechen oder sich einen Katalog holen, in dem noch mehr steht.
Begleitend zu Ihrem Vortrag in Kassel gibt es eine Ausstellung des Mathematikums. Was wird da zu sehen sein?
Es wird nicht nur etwas zu sehen geben, sondern vor allem etwas zu tun. Wir haben an neun Stationen knapp 20 unserer sogenannten Hands-on-Exponate dabei, die man anfassen und ausprobieren darf. Dafür haben wir natürlich nicht das Museum leergeräumt, sondern Duplikate eingepackt, die gut transportierbar sind. Etwa Knobelspiele, bei denen man Würfel oder eine Pyramide aus mehreren Teilen zusammenbauen kann. Dabei kommt man ganz schön ins Denken. An einer Kugelbahn mit verschiedenen Bahnen kann man ausprobieren, wo die Kugel am schnellsten rollt. Und auf einer Deutschlandkarte muss man mit einer Schnur die kürzeste Strecke zwischen den Landeshauptstädten finden.
Sehr beliebt im Museum ist auch eine Riesenseifenblase, in die man schlüpfen kann. Was haben Seifenblasen mit Mathematik zu tun?
Das ist eine gute Frage. Normale Seifenblasen sind immer kugelförmig. Die Seifenhaut bildet sich so, dass sie eine möglichst kleine Fläche hat. Das ist kein Würfel, kein Quader, sondern eben eine Kugel. In der Mathematik spricht man dabei von Minimalflächen. Das auszurechnen, ist richtig schwierig. Bei unserer Riesenseifenhaut gibt es die wohl größte Spannung zwischen der Attraktivität des Exponats und der Komplexität des zugrunde liegenden mathematischen Problems.
Mathematik steckt in allem, heißt es. Haben Sie Beispiele?
Dafür muss man sich nur die Mathebrille aufsetzen und sich umschauen: etwa nach Kreisen, Quadraten oder geometrischen Mustern. Auf der Straße sieht man dann Pflastersteine, die genau aneinanderpassen. Oder man guckt sich die Fahrradsymbole an, die auf Radwegen aufgebracht sind: Die sind verzerrt und haben ovale Räder. Da sind wir beim Thema Perspektive. Oder nehmen wir den Mond, Blüten oder Früchte. Wenn man sich fragt, warum so vieles rund ist, wird es richtig spannend. Selbst in der bildenden Kunst steckt manchmal Mathematik: Bei einem Gemälde oder einer Skulptur geht es auch um Raumaufteilung, Struktur oder Geometrien.
In Kassel sprechen Sie zum Auftakt der Mint-Woche. Wie wichtig sind solche Veranstaltungen für die Attraktivität von Mathe und Naturwissenschaften?
Enorm wichtig. Ich finde das ganz toll, was die Kollegen in Kassel auf die Beine stellen. Es geht darum zu zeigen, dass es zugängliche Wissenschaften sind und nichts hermetisch Abgeschlossenes, das nur die Nerds können. Sondern etwas, was alle angeht und was man in seine Berufsentscheidung einbeziehen kann.
Mit einem technischen oder naturwissenschaftlichen Abschluss hat man beste Berufs- und Verdienstaussichten. Warum denken junge Leute, die Karriere machen wollen, trotzdem eher an den Chefarzt- oder Managerposten?
Wissenschaftler sind nicht so sichtbar, vor allem nicht als Glamourfiguren. Es gibt keine Schwarzwaldklinik von Physikern. Im Fernsehen werden Wissenschaftler fast immer nerdig dargestellt. Es hat aber auch mit dem Studium zu tun. Da muss man sich schon durchkämpfen. Man muss schon eine gewisse Begabung mitbringen, da reicht nicht allein fleißiges Lernen. Aber wenn man das geschafft hat, stehen einem in der Tat sehr viele Türen offen. (Katja Rudolph)
Service: Mathematik zum Anfassen“, Vortrag von Albrecht Beutelspacher am Montag, 8. Mai, 18 Uhr, im Campus Center der Uni (Hörsaal 1). Die Wanderausstellung des Mathematikums ist dort von 16 bis 20 Uhr zu sehen. Sie wird auch am „MINT-mach-Samstag“, 13. Mai, 10-16 Uhr, am Uni-Standort der Wilhelmshöher Allee gezeigt. Alle Infos zur Mint-Woche:
uni-kassel.de/go/mint-woche