Mediensucht: Kinder und Jugendliche sind durch Corona besonders gefährdet

Die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen nimmt zu. Besonders durch die Pandemie hat das Thema noch an Bedeutung gewonnen. Auch suchen mehr Eltern Rat bei der Beratungsstelle in Kassel.
Kassel – Das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. „Sie kommen eher etwas weg vom Computer und der Spielkonsole, dafür stehen Smartphone und Tablet mehr im Fokus“, sagt Kerstin Dahlke von der Fachambulanz Sucht des Diakonischen Werkes Region Kassel. Damit konzentriere sich der Konsum auf Handyspiele, Youtube, Tiktok und Instagram.
Während der Corona-Pandemie seien deutlich mehr Eltern zur Beratungsstelle an der Frankfurter Straße gekommen. „Viele sind verunsichert. Bei Fragen können sie uns ihre Situation schildern“, sagt Dahlke. Selbst wenn die Fachambulanz Sucht nicht die richtige Ansprechpartnerin sei, vermittele das Team gern weiter.
Der entsprechende Arbeitsbereich der Diakonie Kassel ist für Kinder und Jugendliche aus der Stadt und dem Landkreis Kassel bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres bei allen Fragen rund um exzessiven und pathologischen Medienkonsum zuständig.
Mediensucht: Schwierigkeiten für Eltern und Kinder
Besonders schwierig einzuschätzen sei die Situation für die Elterngeneration, weil sie selbst keine Erfahrungen als Heranwachsende im Umgang mit Smartphones hat. „Das sorgt für Unsicherheiten“, sagt Dahlke. Die Beraterinnen helfen den Familien, alltagstaugliche Regeln aufzustellen. Es gehe nicht darum, alles zu verbieten. „Die Zeit der Adoleszenz ist schwierig – für die Jugendlichen selbst und auch für die Eltern. Es ist wichtig, sich gegenseitig zu verstehen, beziehungsweise erst überhaupt mal in Kontakt zu treten“, sagt Sabine Schott, die als Sozialpädagogin und Psychologin ebenfalls in der Beratungsstelle tätig ist.
Die Fachambulanz Sucht ist normalerweise auch in den Schulen in Stadt und Landkreis Kassel unterwegs, um über Medienkonsum aufzuklären. „Wegen der Pandemie hat das lang nicht stattgefunden. Jetzt geht es damit wieder los“, sagt Schott. In der Beratungsstelle sprechen die Mitarbeiterinnen vorwiegend mit Familien mit Söhnen im Alter von 14 bis 17 Jahren.
Die Kasseler Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit behandelt auch Kinder und Jugendliche, die ein pathologisches Medienverhalten zeigen. Dr. Lioba Fröhlich, Oberärztin in der Tagesklinik, kann für ihren Arbeitsbereich keinen geschlechtsspezifischen Unterschied feststellen. Vor allem die sozialen Medien und das Chatten allgemein spiele auch bei Mädchen im jugendlichen Alter eine große Rolle. „Wenn die Kinder und Jugendlichen pathologisches Spielverhalten zeigen, behandeln wir sie ambulant, tagesklinisch oder stationär, je nach Schwere der Folgen“, so Fröhlich.
ADHS und Depressionen: Grund- oder Begleiterkrankungen sind häufig
Denn diese Kinder und Jugendlichen haben oft auch andere Grund- oder Begleiterkrankungen. „Manchmal lässt sich schwer feststellen, was zuerst da war“, sagt sie. Besonders ADHS, Depressionen, soziale Angststörungen oder stoffgebundene Abhängigkeiten treten häufig in Kombination mit pathologischem Spielverhalten auf. „Sie flüchten sich dann oft in eine virtuelle Welt. Die reine Computerspiel-Abhängigkeit sehen wir in der Klinik eher selten“, sagt die Oberärztin. Auch sie sehe, dass die Problematik zunehme. „Durch Corona haben sich insgesamt viele psychische Störungen manifestiert oder chronifiziert“, so Fröhlich. Das zeige sich auch im Klinikalltag.
Vor allem die Kinder und Jugendlichen, die es vorher schon nicht leicht hatten, kommen da nur mit viel Unterstützung wieder heraus, sagt sie. Auch die Medizinerin rät: Der erste Kontakt, wenn Eltern unsicher im Thema Mediennutzung sind, sollte beim Kinderarzt, bei einer Kinderärztin oder bei den Beratungsstellen passieren. „Auch Fragebögen im Internet können helfen, eine Einschätzung über die aktuelle Situation zu bekommen“, sagt Fröhlich. (Anna Weyh)
Infos und Fragebögen online unter mediensuchthilfe.info Kontakt zur Fachambulanz unter Tel.: 05 61/93 89 50 oder suchtberatung@dw-region-kassel.de
Das können Warnzeichen sein
Dr. Lioba Fröhlich, Oberärztin in der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit, nennt folgende Warnzeichen, die für einen pathologischen Medienkonsum sprechen: Nicht die absolute Nutzungszeit sei unbedingt entscheidend, sondern eher komme es auf ein verändertes Kontaktverhalten oder die Vernachlässigung von Schule, Freunden und Hobbys an. Auch ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus sei auffällig.