Freiluftexperiment in Kirchditmold: Nicht alle sind begeistert

Das Freiluftexperiment in Kirchditmold läuft seit knapp drei Wochen. Einige sind angetan davon, andere aber üben Kritik.
Kirchditmold – Wie läuft es eigentlich mit dem Freiluftexperiment in Kirchditmold? Seit fast drei Wochen ist der Ortskern für Autos gesperrt, um den gewonnenen Straßenraum für Veranstaltungen und Begegnungen zu nutzen. Die Reaktionen darauf können unterschiedlicher kaum ausfallen. Ein Überblick.
Die Geschäftsleute
Seit 27 Jahren betreibt Kerstin Thom schon den Second-Hand-Laden Secondenza an der Zentgrafenstraße. Aber so unzufrieden wie derzeit war sie noch nie. „Mir tut das nicht gut“, sagt sie – und bezieht sich auf das Freiluftexperiment. „Ich mache drei Kreuze, wenn es vorbei ist, und hoffe, dass es das kein zweites Mal gibt.“ Sie erzählt davon, dass weniger Kunden zu ihr kämen – und das in den wichtigen Monaten April und Mai, kurz vor dem Sommerloch.
Dabei hat Thom auch ein Kuriosum ausgemacht: Es gibt durchaus Parkplätze rund um ihr Geschäft. Aber viele Kunden würden das Gebiet derzeit grundsätzlich meiden. „Ich dachte, ich sitze das aus, und es geht vorbei“, sagt Thom, aber sie wollte jetzt doch öffentlich auf das Problem aufmerksam machen, weil sie sich zu sehr darüber ärgert. Sie erzählt von anderen Geschäftsleuten, die das ähnlich sähen, von Ärzten, die davon berichten, dass ihre Patienten zu spät kommen, von unzufriedenen Kirchditmoldern, die sich über den Schleichverkehr vor der Haustür beschwerten, und über die Leere an den Werktagen vor ihrer Ladentür.
In der Tat ist an diesem Nachmittag kaum etwas los im Ortskern des Stadtteils. Und in der Tat gibt es auch andere Geschäftsleute, die dem Freiluftexperiment kritisch gegenüberstehen. Einer spricht von 20 bis 30 Prozent Umsatzeinbuße. Ein anderer hofft, dass die Kunden bald wieder vor seinem Geschäft parken können.
Aber es gibt auch andere Stimmen. Jerome Steglich, der Filialleiter des Nahkauf an der Teichstraße, erzählt, dass er kein Umsatzminus zu verzeichnen habe – und bestätigt damit eine Kollegin aus einem anderen Geschäft. Mitunter mache er sogar neue Kunden in seinem Supermarkt aus.
Bei Sybille Walz von der Zentgrafen-Buchhandlung hört sich das Zwischenfazit zehn Tage vor Ende des Experiments sogar nahezu euphorisch an: „Ja, ich bin sehr angetan, weil ich es sehr genieße, dass der Verkehr nicht ungebremst durchrauscht.“ Sie sagt: „Zu mir kommen die Leute nach wie vor.“ Walz macht auch durch die flankierenden Veranstaltungen eine höhere Aufenthaltsqualität vor ihrer Buchhandlung aus. Walz sagt: „Ich begrüße die Veränderung.“
Die Politik
Ortsvorsteherin Elisabeth König (Grüne) spricht davon, dass sich die Aufenthaltsqualität „deutlich verbessert hat“ – vornehmlich natürlich bei schönem Wetter. Vor allem beim Frühlingsfest am vergangenen Sonntag sei sehr viel los gewesen. In der Tat war der Ortskern bei bestem Wetter, bei Sonne und blauem Himmel, so voll wie wohl noch nie. König berichtet von überwiegend positiven Rückmeldungen, verhehlt aber nicht, dass es auch kritische Stimmen gibt.
Ihre Einschätzung deckt sich mit der Stellungnahme des Amtes für Stadtplanung, Bauaufsicht und Denkmalschutz der Stadt Kassel. Das teilt mit: „Im Zuge der Verkehrsberuhigung, der temporären Möblierung im öffentlichen Raum sowie der einzelnen Aktionen wird der Ortskern bereits in den ersten zwei Wochen belebt. Bislang lockten zum Beispiel Spiele-nachmittage, die Piazza, der Feierabend-Markt und die Feste lokaler Vereine ein breites Publikum an.“
Viele hätten diese Angebote genutzt und würden insgesamt eine positive Rückmeldung geben. Mit Blick auf den Umleitungsverkehr gäbe es vereinzelt aber kritische Stimmen. Die genannten Punkte würde die Stadt laufend beobachten. Verkehrsregelungen würden bei Bedarf nachjustiert. Zudem laufen verkehrliche Untersuchungen.
Die Stadt und Ortsvorsteherin König weisen zudem auf die Projekt-Webseite hin. Hier gibt es auch die Möglichkeit, Meinungen, Anregungen und Kritik loszuwerden. Bisher, so sagt es König, sei davon noch wenig Gebrauch gemacht worden. (Florian Hagemann)
