Die Letzte Generation, wie sich die Gruppe selbst benannt hat, weil die Menschheit die schlimmsten Folgen des Klimawandels nur jetzt noch verhindern könne, bleibt äußerlich ganz ruhig. „Wir stören den Alltag, damit die Regierung uns nicht mehr ignorieren kann“, sagt Werner hinter einem Transparent, auf dem „Fossiler Wahnsinn“ steht.
Konkret richtete sich der Protest gegen die Absicht der Bundesregierung, eine Erhöhung der Öl- und Gasförderung in Deutschland zu ermöglichen – etwa durch vermehrte Öl-Bohrungen in der Nordsee. Der Koalitionsvertrag hatte das noch ausgeschlossen. Doch nun will die Ampel schneller von russischem Öl und Gas loskommen. Von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fordert die Letzte Generation „eine Erklärung, dass er sich ab jetzt für unser Leben und gegen neue fossile Infrastruktur einsetzen wird“.
Werner hat in Kassel Umweltpsychologie studiert und ist desillusioniert. 2019 demonstrierten an einem Aktionstag von Fridays for Future deutschlandweit 1,4 Millionen Menschen für mehr Klimaschutz. „Und trotzdem setzt die Bundesregierung die notwendigen Maßnahmen nicht um“, sagt der Göttinger. Angesichts des Klimanotfalls könne er es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, auf eine andere Art zu protestieren: „Es ist das mildeste Mittel, das uns zur Verfügung steht. Aber Leib und Leben dürfen nicht gefährdet werden.“
Bei jeder Aktion würden Rettungsgassen möglich gemacht, versichert Werner, der nach einer Blockade in Frankfurt laut eigenen Angaben 36 Stunden in Polizeigewahrsam war. Er nimmt das ebenso in Kauf wie die wütenden Reaktionen der meisten Passanten. Anderswo fahren Autofahrer auch schon mal auf Aktivisten zu.
In Kassel ist die blockierte Kurt-Wolters-Straße bald leer, weil alle Autos wenden und die Polizei den Verkehr am Katzensprung umleitet. Es dauert aber ziemlich lang bis zum Ende der Aktion. Polizisten müssen erst mit Olivenöl kommen, um die angeklebten Hände von vier Aktivisten von der Fahrbahn zu lösen. Auch das dauert einige Minuten. Werner erläutert den Beamten währenddessen die aus seiner Sicht falsche Energiepolitik der Bundesregierung. Die Polizisten hören interessiert zu. Die Atmosphäre ist nun sehr entspannt. Kurz vor sieben ist die Kreuzung wieder frei.
Die Aktivisten erwartet ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Nötigung sowie des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Für Werner ist es nicht das erste. Er will ohnehin weitermachen: „Ich hoffe sehr, dass es so etwas bald noch mal in Kassel geben wird.“
Die Gruppe hatte die Aktion am Morgen angekündigt. „Deutschlandweit finden heute den Tag über Straßenblockaden dieser Art statt, außer in Kassel z.B. in Berlin, Stuttgart, Mannheim, München und Oldenburg“, schrieb sie.
Es war auch nicht das erste Mal, dass sich in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten Aktivisten auf Straßen festgeklebt hatten. Zuletzt war dies beispielsweise auf einer Autobahn bei München geschehen. (Matthias Lohr)
Zuletzt gingen in Kassel im April Klimaaktivisten auf die Straße. Mit ihrem Protest begleiteten sie eine Versammlung der Stadtverordneten.