Kassel. Es ist die Schrift eines Kindes, mit Bleistift vorgeschrieben und mit der Feder nachgezogen. Jacob und Wilhelm Grimm waren erst vier und drei Jahre alt, als sie 1789 den Geburtstagsbrief an ihren Vater schrieben.
Es ist eines von 6000 Schriftstücken der Brüder Grimm aus dem Nachlass der Familie, die jetzt digital im Internet für jeden einsehbar sind.
Die Kasseler Uni-Bibliothek (UB) und das Hessische Staatsarchiv haben die Briefe und Dokumente aufgearbeitet. Die Originale lagern im Staatsarchiv Marburg und dürfen nur vorsichtig mit Baumwollhandschuhen angefasst werden. Nun können sie über das Online-Archiv „ORKA“ der Uni-Bibliothek und das Archivinformationssystem „Arcinsys“ der Hessischen Staatsarchive gezielt und schnell per Suchbegriff oder Signatur gesucht werden.
„Für die wissenschaftliche Aufarbeitung ist das eine enorme Erleichterung“, sagt Dr. Christian Reinhardt vom Hessischen Staatsarchiv. Verschiedene Dokumente können etwa am Bildschirm miteinander verglichen und als PDF-Datei auf dem eigenen Computer gespeichert werden.
Interessant sind die Briefe und Dokumente auch für Regional- und Landesforschung. Sie geben etwa Einblicke in das Leben der Brüder Grimm in Marburg, wo sie studiert haben, in ihre Zeit in Kassel, wo sie ihre produktivste Phase hatten, und in ihre Kindheitstage in Hanau.
Die Originale wurden dem Staatsarchiv 1947 von einem Urenkel Wilhelm Grimms übergeben – insgesamt mehr als fünf Regalmeter Schriftgut, unter anderem 600 Briefe von und an Jacob und Wilhelm Grimm. Darunter sind ein Bericht des jugendlichen Jacob über den Unterricht am Lyceum Fridericianum (1798), ein Brief, in dem er seine Auffassung über die Bedeutung von Verfassungen darlegt (1837), und die Begründung Wilhelm Grimms für seine Beteiligung am Protest der Göttinger Sieben (1837).
Laut dem Kasseler Grimm-Professor Holger Erhardt handelt es sich um einen „intimen Nachlass“. Viele private Briefwechsel sind noch nicht wissenschaftlich aufgearbeitet. Sie beschreiben den Familienalltag, wie sich die Grimms in der Kindheit entwickelten und wie distanziert sie sich gegenüber ihren Professoren verhielten. „Die Grimms haben als Gelehrte sehr zurückgezogen gelebt, aber immer offen ihre Meinung gesagt“, sagt Dr. Andreas Hedwig, Direktor des Staatsarchivs.
Während das Staatsarchiv die Dokumente und die Verzeichnungsdaten zur Verfügung gestellt hat, hat die Universitätsbibliothek Kassel in Kooperation mit einem externen Dienstleister die Digitalisierung der schriftlichen Hinterlassenschaft und deren Präsentation im Netz übernommen. Begonnen hatte die Digitalisierung 2012 zum 200. Jubiläum der Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen.