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OB-Wahlkampf in Kassel: Anti-Geselle-Seite sorgt für hitzige Debatten

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Von: Matthias Lohr

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Eine anonyme Initiative hat eine Seite ins Netz gestellt, die die Wiederwahl von OB Geselle verhindern will. Dessen Unterstützer sind entsetzt.

Kassel – Seit Freitag (24. Februar) erhalten Haushalte in Kassel ungewöhnliche Wahlwerbung in ihre Briefkästen. Geworben wird nicht für einen OB-Kandidaten, auf den Flyern steht: „Warum Geselle nicht weiterregieren darf!“ Dazu wird auf die Internetseite geselligewahrheiten.de verwiesen. Die spricht sich vor der OB-Wahl am 12. März deutlich gegen Amtsinhaber Christian Geselle aus, der als unabhängiger Bewerber wiedergewählt werden möchte. Es gibt deutliche Kritik an der Seite, denn die Autoren der Texte wollen anonym bleiben. Nicht nur in den Sozialen Medien ist die Seite Gesprächsthema, weshalb wir mit den Machern, Kritikern und einem Experten gesprochen haben.

Kampf ums Rathaus: Wahlplakat von Amtsinhaber Christian Geselle.
Kampf ums Rathaus: Wahlplakat von Amtsinhaber Christian Geselle. © Bastian Ludwig

OB-Wahlkampf in Kassel: Die Anti-Geselle-Seite

Auf der Internetseite werden Geselle detailliert Vorwürfe gemacht – von seinem Konzept für das documenta-Institut, das gescheitert sei, bis zum Umgang mit der SPD, die er gespalten habe. Die Texte sind teilweise überspitzt formuliert und polemisch. Alles ist mit Belegen versehen, etwa mit Verweisen auf die HNA und andere Medien. Ein Stadtverordneter sagte, das Ganze erinnere ihn an das Video des Youtubers Rezo, der ähnlich mit der CDU abgerechnet habe. Als Werbung für die Seite werden seit Freitag von mehr als 100 Helfern 50 000 Flyer verteilt, und zwar in den 50 Wahlbezirken, die als Geselle-Hochburgen gelten. Allein am ersten Tag wurde die Seite fast 10 000 Mal aufgerufen, wie einer der Macher, ein Klimaaktivist, sagt: „Das Interesse an unserer Arbeit ist riesig.“

OB-Wahlkampf in Kassel: Die Macher der Anti-Geselle-Seite

Hinter der Seite soll eine Gruppe von etwa 15 Personen aus allen Teilen der Gesellschaft stehen – Unternehmer, Wissenschaftler und Leute aus fast allen Kasseler Parteien, von SPD, Grünen, Linken und CDU. Der Klimaaktivist sagt: „Wir wissen, dass wir unserem Anliegen schaden, wenn wir anonym sind. Aber Geselles Einfluss ist riesig.“ Ein Unternehmer, der an der Aktion beteiligt ist, erklärt, dass er für die Stadt tätig gewesen sei. Er wolle weiter unbelastet mit der Stadt als Auftraggeber zusammenarbeiten.

Als Verantwortlicher im Impressum aufgeführt ist der Students-for-Future-Aktivist Cornelius El-Fayoumy (20), der 2021 als Einzelbewerber für die Bundestagswahl antrat und im Wahlkreis Kassel 0,3 Prozent (416 Stimmen) erhielt. Der Student der Nanostrukturwissenschaften hat seinen Namen zur Verfügung gestellt, weil ein Impressum verpflichtend ist: „Ich wollte, dass das Ganze möglich wird. Für mich ist die Gefahr nicht so groß, Nachteile zu erleiden.“

Die Grafik für Webseite und Flyer hat das Studio Raamwerk GmbH entworfen. Dessen Geschäftsführer Samson Kirschning sagt über seine Auftraggeber: „Natürlich wäre es wünschenswert, wenn sie sich dazu bekennen könnten. Es sagt jedoch einiges aus, dass sich viele nicht trauen, öffentlich etwas gegen Christian Geselle zu sagen.“ Auch für sein Unternehmen, das auch schon für die Stadt tätig war, könne die Aktion negative Konsequenzen haben.

OB-Wahlkampf in Kassel: Die Polizei und die Anti-Geselle-Seite

Polizei und Staatsanwaltschaft haben keine strafrechtlich relevanten Inhalte festgestellt, wie ein Polizeisprecher mitteilt. Allerdings könne eine Ordnungswidrigkeit vorliegen, da auf den Flyern kein Impressum abgedruckt ist.

OB-Wahlkampf in Kassel: Die Reaktionen auf die Anti-Geselle-Seite

Christian Geselle teilt auf Anfrage mit: „Bei den sogenannten Vorwürfen handelt es sich in meinen Augen um völlig haltlose und ungerechtfertigte Vorverurteilungen. Ich weiß nicht, warum ich diese kommentieren sollte.“ Dafür kommentieren Unterstützer von Geselle. Die SPD-Landtagsabgeordnete Esther Kalveram zeigt sich auf Facebook entsetzt und nennt die Angriffe schmutzig. Der ehemalige „Extra Tip“-Chefredakteur Rainer Hahne kommentiert dort: „Die nächsten Dreckfinken greifen mit einem anonymen Schreiben Oberbürgermeister Geselle an. Was für ein Pack!!!!!“

Rosa-Maria Hamacher von der Wählerinitiative Christian Geselle verweist auf den anonymen Brief einer angeblichen Frauen-Initiative aus dem Rathaus von Anfang Februar, wegen dem nun der Staatsschutz ermittelt. Dessen Ziel sei es gewesen, die Person und die Familie des OBs zu vernichten. Die Webseite habe „auf gleiche Art und Weise ausschließlich die persönliche Demontage eines Menschen zum Ziel“. Die Vorwürfe würden nicht belegt und entsprächen nicht der Realität.

Am Sonntag sei zudem ein Mitglied der Wählerinitiative am Telefon wegen seines Engagements beschimpft worden. „Nun ist also die Ebene der persönlichen Einschüchterung erreicht“, sagt Hamacher und wundert sich, dass sich die anderen OB-Kandidaten zu den Vorfällen nicht äußern.

OB-Wahlkampf in Kassel: Der Experte kommentiert die Anti-Geselle-Seite

Ist der OB-Wahlkampf tatsächlich hart und schmutzig? Der Experte Jan Seybold beobachtet ihn schon seit Längerem. Der gebürtige Kasseler ist Professor für Kommunalrecht an der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen. Er sagt: „In Wahlkampfzeiten darf nicht jedes Mittel um jeden Preis recht sein. Dennoch darf im Wahlkampf auch mit harten Bandagen gekämpft werden, solange der Boden des Rechts nicht verlassen wird.“

Zuspitzungen im Wahlkampf, ein hartes Gefecht oder eine pointierte Übertreibung sollten Seybolds Ansicht nach nicht per se verdammt werden: „Etwas Stimmung ist nicht zwingend schädlich.“ Zudem seien anonyme Äußerungen nicht bereits dadurch falsch und unanständig, dass die Namen geheim bleiben. Es zähle auch die Aussage selbst.

Im Fall der Anti-Geselle-Seite sei die Kritik allerdings zum Teil so harsch, dass sich Seybold gewünscht hätte, man würde mit „offenem Visier“ kämpfen. Es müsse nicht alles beweisbar sein, was im Wahlkampf erwähnt wird: „Meinungen dürfen subjektiv sein.“

Aussagen wie die, dass Geselle gegen eine bessere Fahrrad-Infrastruktur sei, sind seiner Ansicht nach sehr pauschal. (Matthias Lohr)

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