Laut Axa-Studie wissen nur 21 Prozent der Deutschen, dass das Geschlecht bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie einem Herzinfarkt eine Rolle spielt. Die Symptome von Männern sind Brust- und Armschmerzen. Die Symptome von Frauen sind viel uneindeutiger: Patientinnen leiden häufig an Atemnot, Rückenschmerzen oder Übelkeit. Ein Herzinfarkt wird bei Frauen häufig zu spät erkannt.
Vorher waren die Studienteilnehmenden überwiegend männlich. Dabei sind die Unterschiede zwischen Frauen und Männern gravierend: „Frauen haben einen anderen Stoffwechsel und Hormonhaushalt. Außerdem gibt es Unterschiede bei sozialen Faktoren, der Größe und dem Gewicht“, so Höckel.
Das führe oft dazu, dass Frauen überdosiert werden und an stärkeren Nebenwirkungen leiden. Medikamente können bei ihnen sogar ganz anders wirken – der Arzneistoff ASS senke bei Männern etwa das Risiko auf einen Herzinfarkt, bei Frauen werde das Schlaganfall-Risiko geringer.
Das Gesetz zur verpflichtenden Gleichberechtigung bei klinischen Studien sei ein wichtiger Schritt. „Jetzt muss es umgesetzt werden“, so Höckel. Dr. Katharina Kather, Assistenzärztin in der Frauenklinik des Klinikums Kassel stimmt ihm zu: „Wir müssen warten, bis wir gute Studienergebnisse haben, wo genügend Frauen beteiligt sind.“
Sie rät Frauen deshalb, an Studien teilzunehmen und auch darüber hinaus auftretende Nebenwirkungen in einer Praxis zu melden. „Dadurch gewinnen wir Erkenntnisse, wie Medikamente bei Frauen wirken“, sagt die Medizinerin.
Menschen, die in Krankenhäusern tätig seien, wissen schon seit einigen Jahren von den geschlechtsspezifischen Unterschieden, so Höckel: „In der Gesellschaft kommt es jetzt erst langsam an.“ Doch auch da werde das Bewusstsein steigen, sind sich beide einig. „Medizin wird personalisierter werden. Die Auswahl und Dosierung von Medikamenten wird sich in Zukunft auch am Geschlecht orientieren“, sagt Kather.
Medizin und Gesundheitsforschung haben sich lange vorrangig an männlichen Patienten orientiert. Bis heute fehlt es noch oft an einer differenzierten Betrachtung zwischen den Geschlechtern. Durch die sogenannte Gender Health Gap erleben vor allem Frauen häufig eine Benachteiligung bei der medizinischen Behandlung. Aber auch bei Männern kann es zu fehlerhaften Diagnosen und Behandlungen führen.
„Frauen gehen öfter zum Arzt oder zur Ärztin als Männer. Das führt dazu, dass Krankheiten bei Männern länger unentdeckt bleiben“, sagt Dr. Katharina Kather, Assistenzärztin in der Frauenklinik des Klinikums Kassel. Es führe auch dazu, dass Frauen mehr Psychopharmaka nehmen.
„Es kann vermehrt zu Wechselwirkungen kommen“, so die Medizinerin. Im Klinikum Kassel gebe es daher auf allen Stationen Apothekerinnen und Apotheker, die eng mit dem ärztlichen Personal zusammenarbeiten. „Wir sehen uns alle stationären Medikamentenpläne an und prüfen sie auf die richtige Dosis und mögliche Wechselwirkungen“, sagt Michael Höckel, Leiter der Apotheke bei der Gesundheit Nordhessen (GNH). Damit soll eine sichere Anwendung der Medikamente ermöglicht werden.
Auch die VdK-Frauen haben in ihrer Landesfrauenkonferenz kürzlich eine Resolution verabschiedet, in der sie vom hessischen Landtag fordern, dass die Gesundheit von Frauen mehr in den Fokus rückt und die Medizin geschlechtsspezifische Unterschiede stärker berücksichtigen. „Wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass Daten- und Forschungslücken geschlossen werden“, sagt Daniela Sommer, Landesfrauenvertreterin des Verbands der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Hessen-Thüringen.
Auch im Medizinstudium werden geschlechtsspezifische Unterschiede nur wenig berücksichtigt, teilt die Arbeitsgemeinschaft für moderne Medizin mit, die vom Bundesland Brandenburg gefördert wird und sich für geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung einsetzt.
Eine neue Studie des Versicherungsunternehmens Axa bestätigt das: Mehr als ein Drittel der befragten Ärztinnen und Ärzte sagt, dass ihnen während ihres Studiums oder der praktischen Ausbildung kein geschlechtsspezifisches medizinisches Wissen vermittelt wurde.
Die Studie zeigt aber auch, dass das abhängig vom Alter der Medizinerinnen und Mediziner ist: Während 42 Prozent der über 60-Jährigen nichts zur Gender Health Gap gelernt haben, sind es bei den unter 45-Jährigen nur 19 Prozent.