1. Startseite
  2. Kassel

Leben mit Omikron in Kassel: Tägliche Tests und leere Kneipen

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Alina Andraczek

Kommentare

Sekretärin Christine Valenti gibt fertig sortierte Test-Pakete an die Lehrerinnen und Lehrer der Albert-Schweitzer-Schule heraus.
Routine vor Schulbeginn: Sekretärin Christine Valenti gibt fertig sortierte Test-Pakete an die Lehrerinnen und Lehrer der Albert-Schweitzer-Schule heraus. © Alina Andraczek

Die Inzidenzen steigen mittlerweile auch in Kassel in schwindelerregende Höhen. Wie gehen die Menschen damit um? Ein Blick in den derzeitigen Pandemie-Alltag.

Kassel – Die mittlerweile hochansteckende Omikron-Variante des Corona-Virus hat auch Kassel erreicht. Seit die Stadt Mitte Januar mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 416 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner zum Corona-Hotspot erklärt wurde, sind die Infektionszahlen weiter gestiegen – in so schwindelerregende Höhen, dass man dieser Tage viele sagen hört, sie hätten den Bezug verloren. Ein Blick in die Stadt, die versucht, mit der Pandemie zu leben.

Schulen in Kassel: „Die Abläufe haben sich eingespielt“

Vor dem Schulstart um 7.50 Uhr herrscht im Sekretariat der Albert-Schweitzer-Schule geschäftiges Treiben: Test-Pakete werden zusammengestellt, Lehrer rauschen in den Raum, Christine Valenti überreicht jedem ein Set Antigen-Schnelltests. Die ersten drei Stunden ihres Arbeitstages verbringen Valenti, ihre Kolleginnen und Schulleiter Markus Crede mit Pandemie-Management. Sie organisieren die Tests für 1100 Schüler.

„Die Abläufe haben sich mittlerweile eingespielt“, sagt Crede. Dem deutlichen Anstieg in den Infektionszahlen sind er und sein Kollegium routiniert begegnet. „Wir sind seit fast drei Wochen wieder in dem Modus, dass wir quasi täglich testen“, erzählt der Schulleiter. Täglich seien auch positive Fälle dabei. „Gestern hatten wir sieben“, sagt Crede. Wie lange der Betrieb noch so weitergeht? Crede ist unsicher. „Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust, ich weiß gar nicht, was ich möchte“, sagt er. „Die Schule ist ein sozialer Ort, aber in Abwägung mit der Gesundheitsvorsorge ist das schwierig.“

Vor dem Geschichtsunterricht stehen in der achten Klasse Corona-Tests an. Gleich nachdem er die Schüler begrüßt hat, verteilt Oliver Klaus schweigend die Tests. Eine Schülerin steht auf und öffnet die Fenster, zwei Mädchen verteilen Papierhandtücher an ihre Mitschüler. Während sie die Teststäbchen in ihren Nasenlöchern kreisen, verziehen die Schüler keine Miene. Ein Junge niest. „Ich stelle den Wecker ab jetzt auf 18 Minuten“, ruft Oliver Klaus.

Vor dem Testzentrum der KVH bilden sich täglich lange Schlangen
Vor dem Testzentrum der KVH bilden sich täglich lange Schlangen © Alina Andraczek

Testzentrum der KVH: Warten auf den PCR-Test

Schon am Morgen warten rund 20 Menschen vor dem Corona-Testzentrum der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) am Klinikum auf einen PCR-Test. Einige sind in Gruppen gekommen. Weil gleich mehrere Haushaltsangehörige eine Corona-Infektion bei sich vermuten. Oder weil sie jemanden begleiten, wie Lidia Ileva. Ihre Schwägerin soll getestet werden. Sie selbst hat das schon hinter sich. „Ich habe zwei Impfungen, aber hatte trotzdem vor zwei Wochen Corona“, erzählt Ileva. Sie zuckt mit den Schultern.

Stefan Jünemann und Amrei Tripp in der Tagesaufenthaltsstätte Panama an der Kölnischen Straße.
Hauptsache geöffnet: Stefan Jünemann und Amrei Tripp leiten die Tagesaufenthaltsstätte Panama an der Kölnischen Straße. © Alina Andraczek

Tagesaufenthaltsstätte will weiter öffnen: Winter wäre für Wohnungslose besonders hart

Jeden Tag gibt es in der Tagesaufenthaltsstätte Panama ein Mittagessen – für die Wohnungslosen unter den Gästen auch in der Pandemie ohne Unterbrechung. Während im Aufenthaltsraum gegessen wird, sitzen Leiter Stefan Jünemann und Amrei Tripp nebenan im Büro und erzählen von den vergangenen Monaten.

„Wir haben es geschafft, keinen Tag zuzumachen“, sagt Sozialarbeiterin Amrei Tripp. Im Aufenthaltsraum und bei den Mahlzeiten gebe es Platz für 21 Gäste, die unter Einhaltung von 2G kommen dürften. Wohnungslose dürfen auch nach einem Test rein, die die Sozialarbeiter selbst durchführen. „Aber der Großteil unserer Gäste ist geimpft“, sagt Stefan Jünemann, „die Bereitschaft war sehr hoch“. Die aktuellen Einschränkungen – reduzierte Plätze, Maskenpflicht, geschlossene statt offener Türen – nimmt man hier gern in Kauf.

„Unser oberstes Ziel ist, dass die Einrichtung nicht geschlossen werden muss“, sagt Jünemann. Im Winter sei es für die Wohnungslosen besonders hart, immer draußen bleiben zu müssen. Auch viele ehemals Wohnungslose bräuchten vor allem den sozialen Halt.

Felix Knaus auf dem Campus.
Lernt auf dem Campus: Felix Knaus studiert Soziale Arbeit. © Alina Andraczek

Universität Kassel: Vorlesungen und Seminare finden online statt

Am Mittag, kurz bevor die Mensa öffnet, haben sich einzelne Studierende auf den Campus am Holländischen Platz verirrt. Felix Knaus studiert Soziale Arbeit und verbringt hier den Vormittag, bevor er bei seiner Praktikumsstelle anfängt. „Ich komme morgens immer zur Uni, weil ich meinen Praktikumsbericht schreiben muss und will“, erzählt Knaus. „Zuhause bekomme ich das nicht hin, mich hinzusetzen und zu schreiben.“

Vorlesungen und Seminare dürften theoretisch noch vor Ort stattfinden. Die meisten Veranstaltungen wurden aber ins Digitale verlagert. So wie Knaus’ Begleitseminare. Viele Studierende, erzählt er, gingen trotzdem in die Mensa, „um noch einen Treffpunkt zu haben.“ „Es gibt gerade nicht so viele Orte, wo man sich begegnen kann.“

Impfzentrum: „Impfmüdigkeit“ hat eingesetzt

Anfang Januar haben die Apotheker Joachim Schulz und Daniel Reuschel begonnen, in ihrem privaten Impf- und Testzentrum am Hauptbahnhof Impfungen anzubieten. Anfang Februar scheint die Nachfrage verhallt. 15 bis 18 Impfungen machen sie noch am Tag, erzählt Reuschel: „Das ist entweder Impfmüdigkeit oder die, die wollen, sind schon geboostert.“ Zum Testen kämen dagegen weiterhin viele, 100 bis 120 Tests am Tag führen die Mitarbeiter durch. Und immer mehr fallen positiv aus.

„Heute hatten wir 27,9 Prozent positive Tests“, sagt Reuschel bei einem Blick auf die Statistik erstaunt. 10 Prozent seien mittlerweile üblich. „Omikron kommt, das merken wir schon“, sagt Reuschel. Er wolle sich aber nicht einfach damit abfinden, mit der „Durchseuchung“. „Ich habe gar keinen Bock auf Corona. Dafür gibt es ja die Regeln“, sagt er.

Minicar-Zentrale: 50 Prozent Umsatzeinbußen

Am Nachmittag sitzt Prokurist – „Man nennt mich auch den Hausmeister“– Dieter Eggers an seinem Schreibtisch in der kleinen Zentrale von Minicar-Citycar und verfolgt auf dem Bildschirm die Fahrzeuge der Firma. „Aufgrund der Pandemie ist das sehr viel weniger geworden“, sagt Eggers. Das Nachtgeschäft sei so gut wie eingebrochen. „Diskos, Kneipenmeile, das wird ja alles zurzeit nicht besucht“, sagt er.

Im Tagesgeschäft dominierten „die notwendigen Sachen“ – Arztbesuche, Einkäufe. Es gehe so langsam wieder bergauf, aber 50 Prozent Umsatzeinbußen habe man bestimmt. Die Fahrer seien trotzdem gut durch die Pandemie gekommen – noch habe sich niemand bei der Arbeit infiziert, sagt Eggers. „Wir hoffen jetzt, dass wir die Pandemie überstehen und dass es bald wieder ein gesellschaftliches Leben gibt.“

Boulderhalle: „Froh, dass wir öffnen dürfen“

„Es ist schon gut besucht“, sagt Lucas Könnecke mit einem Blick auf die kletternden Besucher und tobenden Kinder in der Halle von Element Boulders. „Aber eigentlich auch nicht“, lacht er. Ein Blick auf den Computer verrät ihm, dass gerade, am späten Nachmittag, 20 Personen angemeldet sind. Kapazität hätte die Halle für 250 Menschen. Um Weihnachten und Neujahr, erzählt Könnecke, habe es noch einen Aufschwung gegeben. „Aber jetzt merke ich schon, dass es weniger wird.“

Vielleicht fehlen die jungen Leute, die jetzt in Quarantäne seien. Trotzdem zeigt er sich optimistisch. Könnecke arbeitet in der Halle, seit Element Boulders Anfang 2021 eröffnet hat. „Wir sind jetzt ganz froh, dass wir öffnen dürfen und arbeiten können“, sagt er.

Im Weinhandel fehlen die „schönen Momente“

Am frühen Abend tummeln sich mehrere Kunden an der Kasse von Jacques’ Weindepot. Inhaber Andreas Paduch plaudert routiniert mit jedem und überreicht Weinschläuche und Kisten. „Das ist die super Ausnahme, vorher war es ruhiger“, sagt er. Im Weinhandel hätten sie seit Pandemiebeginn zwei Phasen erlebt: „Erst haben wir unfreiwillig davon profitiert, dass die Gastronomie geschlossen war und Kunden mehr gekauft haben. Seit Omikron haben wir den Eindruck, dass die Leute, die sonst gelegentlich eine Flasche mitnehmen, das eher nicht mehr machen, aber dafür den Keller auffüllen.“

Die Beratung und das Probieren kämen jetzt etwas kurz. „Da unsere Kunden nicht mehr probieren können, fehlen auch die schönen Momente, und das ist schade“, sagt Paduch. Viele seiner Stammkunden kennt er seit vielen Jahren. „Die Leute wirken auch persönlich ausgelaugt“, sagt er.

Ein Schild vor dem Chacal weist auf die 2G-plus-Regel.
Im Chacal freut man sich, dass geöffnet ist. Auch wenn der Betrieb der Kneipe aktuell nicht immer wirtschaftlich ist. © Alina Andraczek

Gastronomie: Wenn die Infektionszahlen steigen, sinken die Besucherzahlen

Im Chacal sitzen am Abend zwei Stammgäste in einer Ecke, einige Plätze an der Bar sind besetzt, eine Gruppe Frauen unterhält sich über die Arbeit. „Für einen Dienstag ist das ein ungewöhnlich voller Abend“, sagt Nuanda von Sydow, die hier hinter der Theke arbeitet. In diesem Winter, dem ersten richtigen mit Corona, sei sonst weniger los. Und besonders seit Jahresbeginn sei ihr aufgefallen, dass weniger Gäste kamen.

„In Zeiten, in denen die Infektionszahlen steigen, sinken die Besucherzahlen – was ja eigentlich auch für die Gäste spricht“, sagt von Sydow. Wirtschaftlich sei der Betrieb aktuell nicht unbedingt. „Es war zeitweise schon auf der Kippe, ob es sich rechnet, den Laden geöffnet zu lassen.“ Am Ende habe ihr Chef sich aber dafür entschieden. „Die Gäste sind ganz entspannt, und ich denke auch glücklich, dass sie in eine Bar gehen können“, sagt von Sydow, „und wir als Personal sind sowieso dankbar, dass wir arbeiten können.“ (Alina Andraczek)

Auch interessant

Kommentare