Opa von Joachim Bürgel war ab 1912 der erste Chef an der Kasseler Stadtschleuse

Er kennt die Geschichte der Kasseler Stadtschleuse, die gerade erneuert wird, durch die eigene Familiengeschichte. Joachim Bürgel (81) ist neben dem Wehr an der Salztorstraße aufgewachsen.
Kassel – Wenn der Neubau der Kasseler Stadtschleuse demnächst abgeschlossen ist, dann öffnen und schließen sich die Tore auf Knopfdruck. Früher war da noch Handarbeit gefragt. Daran kann sich der 81-jährige Joachim Bürgel noch gut erinnern. Auch sonst kennt er sich auf dem Gelände an der Salztorstraße bestens aus. Das ist kein Wunder, denn sein Opa war ab 1912 der erste Schleusenwärter, der hier arbeitete. Wobei die Berufsbezeichnung in der Kaiserzeit schon noch etwas eindrucksvoller ausfiel. Hans Bürgel, geboren 1877 in Wolfhagen, Marinesoldat auf dem Panzerschiff SMS Kaiser Wilhelm der Große, wurde nach der Abmusterung Oberschleusenvorsteher. Mit Uniform und einem entsprechenden Selbstverständnis. „Mein Opa hatte sieben Mitarbeiter“, sagt Joachim Bürgel. Für einen regen Schleusenbetrieb, der unter anderem durch die Kiesfrachter der Firma Freudenstein immer wieder in Anspruch genommen wurde. Auch Holzstämme wurden als Flöße zusammengebunden durch die Schleuse bis zur Schlagd gebracht. Sie alle kamen bei Oberschleusenvorsteher Hans Bürgel vorbei.
Der fühlte sich zeit seines Lebens der Schifffahrt und auch der Fulda verbunden. „Mein Opa kannte viele Menschen und war Gründungsmitglied, als der Zissel aus der Taufe gehoben wurde“, sagt der Enkel. Der hat als Junge noch mitgeholfen, die großen Walzen des Wehres auf die richtige Höhe zu bringen. 3,50 Meter hoch seien die Zahnräder im Maschinenhaus gewesen. Angetrieben wurden diese bis in die Kriegsjahre von einem AEG-Motor. Bei Bombenangriffen in den Jahren 1942 und 1943 wurde der Motor beschädigt und nach dem Krieg ausgetauscht. Ansonsten sei die Technik für das Walzenwehr heute noch im Originalzustand von vor 111 Jahren. Auch deshalb stehe die Anlage unter Denkmalschutz.
Einen der wichtigsten Einsätze hatte Hans Bürgel im Mai 1943. Als es der englischen Luftwaffe gelang, ein großes Loch in die Sperrmauer der Edertalsperre zu bomben, rauschte eine große Flutwelle über die Eder und die Fulda auf Kassel zu. Neun Stunden später kam sie an. Zu diesem Zeitpunkt war die Fulda in Höhe der Unterneustadt nur noch ein Rinnsaal. „Mein Opa wurde über die drohende Gefahr informiert und hatte das Walzenwehr komplett geöffnet“, sagt Joachim Bürgel. Normalerweise staut sich die Fulda dahinter auf eine Höhe von 2,80 Metern. Als die Wassermassen vom Edersee in Kassel ankamen, richteten sie deutlich weniger Schaden an, als das bei einem normalen Pegel der Fulda der Fall gewesen wäre. Überflutungen gab es trotzdem.
Schleuse und Wehr sind Joachim Bürgel seit seiner Kindheit vertraut. Sein Opa hatte bei der Marine gutes Geld verdient. Nicht so sehr als Soldat, sondern als Betreiber eines Offizierskasinos. Fast alle seiner Gäste waren adlig und sehr gut betucht. Jedenfalls blieb genug übrig, um in der Nähe der Schleuse mehrere Häuser an der Salztorstraße zu kaufen.
In einem davon ist Joachim Bürgel, der heute in Vellmar wohnt, groß geworden. Deshalb weiß er auch, dass unter der großen Rutsche vom Spielplatz am heutigen Schleusenpark noch ein alter Bunker ist. Den durfte der Oberschleusenvorsteher zusammen mit seiner Familie nutzen.
Zahlreiche Fotos vom Wehr, der Schleuse, den Bleichwiesen, dem Finkenherd und anderen Motiven findet man übrigens im Museum der Fuldaschifffahrt am Kasseler Hafen. Hier engagiert sich Joachim Bürgel, der Ingenieur bei der AEG war, ehrenamtlich. Angesichts der familiären Verbindung zur Fulda wundert das nicht.

