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Organspende-Tattoo ist auch im Raum Kassel beliebt

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Von: Theresa Novak, Anna-Laura Weyh

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Zeichen für die Organspende: Tätowiererin Yvonne Weber aus Kaufungen (links) mit Serpil Knoche aus Bad Arolsen, die sich ein Organspende-Tattoo stechen lässt.
Zeichen für die Organspende: Tätowiererin Yvonne Weber aus Kaufungen (links) mit Serpil Knoche aus Bad Arolsen, die sich ein Organspende-Tattoo stechen lässt. © Theresa Novak

Zwei Halbkreise, die in einen kompletten Kreis übergehen – so sieht das Organspende-Tattoo aus, das die Bereitschaft zur Organspende symbolisieren soll.

Kassel/Kreis Kassel – Serpil Knoches Körper würden manche sicher als Kunstwerk bezeichnen. Zahlreiche Tattoos schmücken ihre Beine, den Rücken, der linke Arm ist sogar vollständig mit schwarzer Farbe bedeckt. Rechts ist dagegen noch viel Platz. Hier soll in der Nähe des Handgelenks ein ganz besonderes Symbol seinen Platz finden: das Organspende-Tattoo, das aktuell durch eine Aktion des gemeinnützigen Vereins „Junge Helden“ in aller Munde ist.

Yvonne Weber, Inhaberin des Tattoostudios Atelier 1A1B in Kaufungen, steckt schon voll in den Vorbereitungen für das Stechen des besonderen Motivs. Sie desinfiziert das Handgelenk ihrer Kundin und bringt die Schablone und damit die Vorlage auf der Haut an, die sie später mit der Nadel nachzeichnen wird. „Das ist bisher die vierte Kundin, der ich das Zeichen steche“, sagt Weber. In den nächsten Wochen hat sie weitere Termine.

Doch heute ist Serpil Knoche dran. Für die 43-Jährige, die ihren Organspendeausweis immer bei sich trägt, wie sie sagt, ist das Thema kein Unbekanntes. „Mein Vater brauchte dringend eine Niere, er war Dialysepatient“, erzählt die Frau aus Bad Arolsen. „Leider hat er keine bekommen und ist an den Folgen seiner Krankheit gestorben.“

Der Verein Junge Helden

Der Verein Junge Helden setzt sich seit mehr als 20 Jahren für die Organspende ein und hat das Projekt „Optink“ ins Leben gerufen. Teilnehmende Tattoo-Studios in Deutschland – mittlerweile mehr als 200 – tätowieren ihren Kunden das Organspende-Tattoo teilweise kostenlos. „Weil viele Menschen Tattoos haben, wollten wir diesen Bereich nutzen, um die Organspende in den Fokus zu rücken“, sagt Anna Barbara Sum, Mitbegründerin von Junge Helden. Das Tattoo symbolisiere die grundsätzliche Zustimmung zur Organspende. Mehr als 1000 Tattoos habe der Verein bereits dokumentiert. 

Die ganze Familie habe sich damals testen lassen, doch niemand sei als Spender infrage gekommen. „Ich weiß, wie sich Betroffene fühlen, und stehe deshalb hundertprozentig hinter der Bereitschaft zur Organspende.“

Mit dem Symbol auf ihrer Haut will Knoche nicht nur ein Signal setzen, „sondern im Fall der Fälle wirklich helfen“, sagt sie. „Wenn der Organspendeausweis im wichtigen Moment nicht auffindbar ist, die Verantwortlichen aber das Tattoo sehen, wissen sie, dass irgendwo ein Ausweis existieren muss.“

Insgesamt übernehme die Aktion eine wichtige Aufgabe, weil sie Menschen dazu bringe, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. „Jeder sollte in sich gehen und sich überlegen, ob er im Fall eines Unfalls oder ähnlichen Schicksalsschlägen anderen Menschen helfen möchte.“

Sollte die Antwort Nein lauten, habe sie dafür aber auch Verständnis. „Manche Menschen sind einfach ängstlich oder wollen sich aus religiösen Gründen nicht zur Organspende bereit erklären. „Meine Familie zum Beispiel ist muslimischen Glaubens und dazu passt die Organspende nicht“, sagt Knoche. „Der Körper soll auch nach dem Tod möglichst unversehrt bleiben.“ Sie selbst lebe nicht nach der Religion und freue sich auf ihr neues Tattoo.

Tätowiererin Yvonne Weber ist bereit, hat die Nadel gezückt und legt los: Schon nach wenigen Minuten ist das Symbol auf der Haut ihrer Kundin, der es nach eigener Aussage nicht wehgetan hat.

Doch fertig für heute ist Knoche noch lange nicht. „Wir machen gleich an den Beinen mit einem anderen Motiv weiter.“ Yvonne Weber sticht das Organspende-Tattoo nämlich nur kostenlos in Verbindung mit einem weiteren Motiv, das bezahlt werden muss. „Ich kann es mir gar nicht leisten, das Symbol vollkommen gratis zu stechen. Das geht vielleicht in größeren Studios“, sagt die 39-Jährige.

Vier Studios sind schon dabei: Tattoo-Nachfrage in Kassel ist hoch

In Stadt und Landkreis Kassel beteiligen sich aktuell vier Tattoo-Studios an dem Projekt. Neben Yvonne Weber vom Tattoostudio Atelier 1A1B in Kaufungen ist auch das Atelier „Fabrik 7“ aus Kassel dabei.

Betreiberin Liz Turner sagt: „Wir sind seit knapp vier Wochen dabei. Die Nachfrage ist so hoch, dass ich am 19. Mai einen kompletten Tag für die Organspende-Tattoos reserviert habe.“ Innerhalb einer Woche hat ihr Studio mehr als 40 Anfragen. Sie könne sich vorstellen, auch regelmäßige solche Tage für die Organspende-Tattoos anzubieten.

Auch die Co-Workerinnen vom Atelier „Fabrik 7“ in Kassel Roberta Palluch (links) und Liz Schanze, die als Liz Turner tätowiert, tragen das Organspende-Tattoo dezent am Handgelenk.
Auch die Co-Workerinnen vom Atelier „Fabrik 7“ in Kassel Roberta Palluch (links) und Liz Schanze, die als Liz Turner tätowiert, tragen das Organspende-Tattoo dezent am Handgelenk. © Anna Weyh

Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung habe sie Infomaterial und Organspendeausweise bestellt. „Das kann ich den Leuten dann direkt mitgeben“, sagt sie. Tod sei generell ein Thema, das ausgeklammert werde. Dass sich das durch die Aktion des Vereins Junge Helden nun ein Stück weit ändern soll, findet Liz Turner gut: „Es ist ein beruhigender Gedanke, Menschen nach dem eigenen Tod vielleicht noch helfen zu können.“

Das sieht auch Noelle Behboud vom Rosenrot Tattoo-Shop in Kassel so: „Wir sind selbst betroffen. Mein Neffe wartet auf eine Niere.“ Deshalb war es für sie klar, die Aktion zu unterstützen. Auch bei ihr gibt es einen regelrechten Ansturm auf das Organspende-Tattoo: „Wir kommen mit dem Antworten gar nicht hinterher.“

Als Herzensangelegenheit bezeichnet auch Jenny B. vom Studio Jenny B’s Tattoo in Kassel das Projekt. „Ich finde es gut, die Aktion zu unterstützen und dem Thema so mehr Aufmerksamkeit zu schenken“, sagt sie. Auch ihr Team und sie bekommen viele Anfragen: „Jeden Tag fragen Leute danach.“

Das sagt: Dr. Christian Roth, Chefarzt der Neurologie am Klinikum Kassel

„Tattoos sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Von daher ist das ein interessanter Weg, um die Organspende mehr in den Fokus zu rücken. Das ist wichtig, weil die Zahlen der Organspenden in Deutschland rückläufig sind. Es ist aber auch wichtig klarzustellen, dass das Tattoo den Organspendeausweis nicht ersetzt. Das Tattoo kann für uns lediglich ein Hinweis sein, dass das Thema dem Patienten wichtig ist. Auch trotz Tattoo sollte man einen Organspendeausweis bei sich tragen – hier hat man auch die Möglichkeit, bestimmte Organe von der Spende auszuschließen – und vor allem sollte man mit seinen Angehörigen über die Organspende sprechen. Toll wäre es, das Tattoo und die Anschaffung eines Organspendeausweises zu verknüpfen.“

Einige Tätowierer stehen der Aktion aber auch kritisch gegenüber. „Ich würde den Kunden auf jeden Fall dazu raten, die Entscheidung für das Symbol gründlich zu überdenken“, sagt Birgit Lessing, die ein Tattoostudio in Schauenburg betreibt. Bisher habe sie auch noch keine Anfragen erhalten: „Was passiert, wenn der Tätowierte durch eine Erkrankung nach ein paar Jahren gar nicht mehr als Organspender infrage kommt?“

Auch Dennis Toncic von Sio-Tattoo in Ahnatal will nicht direkt „drauflos stechen“, sollte ein Kunde das Organspende-Tattoo haben wollen. „Ich überlege sogar, ob ich es überhaupt machen würde“, sagt er. „Der Organspende-Ausweis ist das rechtliche Dokument, das man braucht. Ich will nicht, dass jemand denkt, nur mit dem Tattoo die Bereitschaft zur Organspende erklärt zu haben“, sagt er.

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