Ostermarsch in Kassel: „Waffen sind nicht die Lösung“

Für Karsamstag lädt das Kasseler Friedensforum wieder zum Ostermarsch ein. Einer der Redner ist Harald Fischer, Pfarrer an der katholischen Kirche St. Familia.
Kassel – Mit uns hat er vorab gesprochen.
Herr Fischer, Jahrzehnte lang fanden die Ostermärsche im Bewusstsein statt, dass Krieg in Europa ein abstrakter Begriff ist oder ein Ereignis der Vergangenheit. Jetzt ist er real und nah. Täglich sehen wir die Bilder im Fernsehen. Menschen, die in der Ukraine ihre Angehörigen verloren haben, leben unter uns. Verändert das unseren Begriff von Frieden?
Harald Fischer: Für mich eigentlich nicht. Ich bin erstaunt, dass so viele den Begriff von Kanzler Scholz der „Zeitenwende“ aufgreifen. Spätestens seit 2015 lebe ich durchgehend mit Menschen zusammen, die genau vor dem Unheil und den Grausamkeiten geflohen sind, die wir auf einmal jetzt so emotional beklagen. Sind denn die Leiden in Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Somalia, Eritrea weniger wert, weil sie andere Menschen betroffen haben und nicht in Europa stattfinden? Ich verstehe nicht, dass viele sagen, seit dem 24. 2. 2022, mit dem Überfall auf die Ukraine, hätte sich eine andere Situation ergeben als vorher und sie müssten jetzt ihre friedenspolitische Haltung überdenken.
Ich bin zum Beispiel maßlos über die Grünen enttäuscht, die sich früher so sehr für „Frieden schaffen ohne Waffen“ eingesetzt haben und jetzt maßgeblich schwere Waffen für den Krieg in der Ukraine wollen.
Was für einen Frieden können wir denn fordern oder erhoffen? Was kann der Einzelne tun?
Zunächst können wir uns alle dafür einsetzen, dass die Militarisierung unserer Gesellschaft nicht unwidersprochen hingenommen wird. Rüstung tötet – auch ohne Krieg. Das Geld, das jetzt in eine sich immer weiter drehende Aufrüstungsspirale gesteckt wird, fehlt an allen Ecken und Enden: Es gibt große Armut auch in Deutschland und weltweit. Die alles überragende Notwendigkeit, unseren Planeten für unsere Kinder und Enkelkinder zu schützen, wird sträflich vernachlässigt. Natürlich müssen wir uns für einen individuellen Frieden in unserer nächsten Nachbarschaft einsetzen. Aber das allein ist mir in unserer Situation zu wenig. Manchmal darf man nicht nur unpolitisch reden. Mit Bert Brecht gesagt: Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist. Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Wie schwierig ist es, tröstliche Worte zu finden, in der aktuellen Situation schwerster, völkerrechtlich illegaler Kampfhandlungen, tausend Kilometer von uns entfernt?
Ehrlich gesagt, will ich im Moment gar nicht trösten, sondern aufrütteln. Wir dürfen nicht schlafen, sondern müssen wach sein. Waffen sind nicht die Lösung eines Problems, auch nicht in der Ukraine. Die Waffen sind das Problem. Mich ermutigt, dass es immer Menschen gegeben hat, die sich auch in einem Umfeld von Gewalt und persönlicher Bedrohung für Frieden und für das Reich Gottes – beide Größen hängen für mich untrennbar zusammen – eingesetzt haben.
Ist das Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ undenkbar geworden?
Nein, natürlich nicht. Dieses Motto ist heute mehr denn je alternativlos. Das bedeutet natürlich nicht, Unrecht widerstandslos hinzunehmen. Kurzfristige Lösungen, den entsetzlichen Angriffskrieg auf die Ukraine zu beenden, der so viele Wurzeln und Ursachen hat, hat auch die Friedensbewegung nicht. Aber die Bellizisten und Waffenlobbyisten haben sie auch nicht. Ich setze mich ein für einen gewaltfreien Widerstand gegen Unrecht und imperiale Machtgelüste von Verbrechern.
Vor einem Jahr hatte der Ostermarsch-Aufruf zu Protest geführt, weil Friedensaktivisten die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr kritisiert hatten. Können Sie überschauen, was der russische Angriffskrieg gerade mit der „alten“ deutschen Friedensbewegung macht?
Viele überdenken ihre Position neu. Sie müssen sich fragen lassen, warum sie die Realität unserer Welt nicht früher wirklich wahrgenommen haben. Ich hoffe darauf, dass immer mehr Menschen erkennen, auf was für einem abschüssigen, egoistischen und gefährlichen Weg wir uns mit der zunehmenden Militarisierung befinden, und dass wir uns neu gemeinsam auf die Suche nach anderen Wegen machen.
Wie müsste eine Friedensbewegung argumentieren, um nicht unmenschlich zu sein?
Es braucht Wege, die die Wurzel des Übels angehen, und nicht solche, die wiederum selber Grundlage für weitere Gewalt sind. Es gibt bereits Formen des zivilen Widerstandes: Verhandlungen, wirtschaftliche Sanktionen, Ächtungen sind einige davon. Auch die mutigen zivilen Handlungen von Menschen in der Ukraine, von denen leider zu wenig berichtet wird, gehören dazu. Diese Wege müssen weiter ausgebaut werden. Wir brauchen mindestens genau so viel – wenn nicht sogar mehr – Energie, Ressourcen und Manpower für die Entwicklung des zivilen Widerstandes wie wir für den militärischen Weg bereitstellen. Das heißt wir investieren mindestens 2 Prozent des Bruttosozialproduktes und 100 Milliarden Sondervermögen. Das heißt auch, dass wir das Engagement von Hunderttausenden von Menschen brauchen, die – genauso wie die Soldaten im Kampf – bereit sind, ihr Leben einzusetzen, aber für einen gewaltfreien Widerstand. Ich glaube daran und setze mich dafür ein, dass der Ruf nach diesem Weg zum Frieden so lange nicht verstummt, bis wir ihn gegangen sind.
Lässt sich Putin ohne Waffen stoppen?
Die Frage ist zu kurz gestellt. Und zu einfach. Gegenfrage: Lässt er sich mit Waffen stoppen, und was für einen Blutzoll und Preis sind wir bereit, in Kauf zu nehmen? Ist der verantwortbar? Noch einmal: Wir brauchen einen Weg raus aus der Gewaltspirale.
Welche Botschaft haben Sie am Karsamstag?
Wir stehen in der Karwoche, der Woche des Gedenkens an den Tod Jesu. Karsamstag ist für die Christen ein großer Trauertag. Wir trauern um den ermordeten Jesus, der für seine Idee der Gottes- und Nächsten- und Feindesliebe sogar in den Tod gegangen ist. Der Karsamstag ist für uns ein stiller Tag, an dem wir das Geschehen betrauern und bedenken. Es ist auch der Tag, an dem uns die Frage gestellt ist, ob wir dieser Botschaft wirklich trauen und uns wagen, einen ähnlichen Weg zu gehen, in seiner Nachfolge zu bleiben.
Und darüber sprechen Sie vor dem Kasseler Rathaus?
Eigentlich würde ich an diesem Tag nicht zu einer Demonstration gehen, aber in diesen Zeiten fühle ich mich auch zu einem öffentlichen Bekenntnis herausgefordert. Auf den Karsamstag folgt der Ostertag. Das ist das grundlegende Fest der Christen. Wichtiger, als jeder andere Tag. Es ist das Fest der Hoffnung und der Zuversicht. Wir feiern, dass die Botschaft Jesu, dass die Botschaft der Liebe gesiegt hat. Trotz allem haben nicht Gewalt und Folter in unserer Welt das letzte Wort, sondern Menschlichkeit und Nächstenliebe. Das trägt. Auch durch die dunklen Zeiten hinweg.
Ostermarsch in Kassel - Information
Mit über 20 Organisationen ruft das Kasseler Friedensforum zur Teilnahme am Ostermarsch auf. Das Motto am Samstag, 8. April, lautet, „Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg!“ Im Aufruf wird der „völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands und die damit verbundene Annexion ukrainischen Territoriums“ verurteilt. Die im März 2022 in Istanbul stattgefundenen Verhandlungen zur Lösung des Konfliktes werden angesprochen. Diese seien gescheitert, „trotz der erreichten Fortschritte und positiven Ergebnisse am Einspruch des damaligen britischen Premierministers“. „Nur Diplomatie und Kompromisse am Verhandlungstisch können den Krieg beenden“, so Rolf Wekeck vom Friedensforum. Das Getreideabkommen zeige, dass Verhandlungen auch unter schwieriger Lage sinnvoll sind. Das Friedensforum fordert den Stopp des Aufrüstungsprogramms. Besonders kritisch sei die Anschaffung atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge. Wekeck: „Wer auf Waffenarsenale setzt, kapituliert vor der größten Herausforderung unserer Zeit, der Klimakatastrophe.“
Der Ostermarsch beginnt um 11 Uhr am Bebelplatz. Über die Friedrich-Ebert-Straße, Neue Fahrt, Obelisk, Königsplatz geht es zum Rathaus. Dort ist um 12 Uhr die Abschlusskundgebung geplant. Es sprechen: Pfarrer Harald Fischer, Dr. Rabani Alekuzei (SPD-Stadtverordneter), Brigitte Domes (Kasseler Friedensforum), Chris Hüppmeier (Student, AK Zivilklausel). Musik macht Dylan‘s Dream.