Information über Abtreibungen: Freispruch für Kasseler Frauenärztinnen?

Zwei Kasseler Frauenärztinnen stehen vor Gericht, weil sie auf ihrer Internetseite darüber informierten, dass sie Abtreibungen anbieten. Nun wächst die Chance auf Freispruch.
Aktualisiert am Dienstag um 13.45 Uhr. Der Prozess gegen die Kasseler Frauenärztinnen wegen „unerlaubter Werbung" für Abtreibung sollte am Montag, 28. Januar, starten. Doch er fand nicht statt. Grund für die Absage war, dass der Richter die Gesetzesnovelle abwarten wollte, die zum Paragrafen 219a diskutiert wird. Nun liegt ein Entwurf vor, über den Anfang Februar abgestimmt werden soll.
Demnach bleibt Werbung für Abtreibungen verboten. Aber die Informationen für Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind, sollen verbessert werden. Darauf hat sich die Bundesregierung verständigt.
Frauen sollen sich künftig einfacher über Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch informieren können. Das Werbeverbot selbst bleibt demnach bestehen, der Paragraf 219a wird aber ergänzt. Ärzte und Klinken dürfen demnach öffentlich - zum Beispiel auf der eigenen Internetseite - darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Das machen auch die beiden Kasseler Frauenärztinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus, die zusammen eine Praxis im Vorderen Westen haben. Auf ihrer Internetseite informieren sie unter dem Punkt "Ambulante Operationen" an letzter Stelle und mit sechs Wörtern: "Schwangerschaftsabbruch, operativ oder medikamentös mit Mifegyne®". Weil selbst dieser kurze Hinweis bisher durch den Paragrafen 219a verboten war, hatten Abtreibungsgegner die beiden Kasselerinnen angezeigt.
Einigt sich das Kabinett auf die Neuerung, bedeutet das für Nora Szász und Natascha Nicklaus vermutlich, dass sie freigesprochen werden.
Laut neuem Referentenentwurf sollen Ärzte und Kliniken nun zugleich auf weitere Informationen neutraler Stellen dazu hinweisen dürfen, etwa durch Links auf ihrem Internetauftritt. Die Bundesärztekammer soll außerdem eine zentrale Liste mit Ärzten, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen führen, die Abbrüche vornehmen - mit Angaben zu angewandten Methoden. Die Liste soll monatlich aktualisiert und von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Internet veröffentlicht werden.
Verhütungspille länger von der Krankenkasse
Außerdem sollen junge Frauen die Verhütungspille künftig zwei Jahre länger, bis zum 22. Geburtstag, von der Krankenkasse bezahlt bekommen. Das helfe jungen Frauen, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) der dpa. "Ich halte das im Rahmen des gefundenen Kompromisses für eine gute Ergänzung."
Kritik: "Misstrauensbeweis statt Fortschritt"
Die FDP wertete die Einigung als "Kotau der SPD vor dem Koalitionspartner". Der Paragraf 219a werde nur um eine minimale Ausnahme ergänzt, kritisierte Fraktionsvize Stephan Thomae. "Ärzte dürfen auch weiterhin nicht entscheiden, wie sie Schwangere informieren. Das ist ein Misstrauensbeweis gegenüber den Ärzten." Der Entwurf sei nur ein minimaler Fortschritt für die Frauen.
Die große Koalition hatte monatelang heftig über Paragraf 219a des Strafgesetzbuches gestritten. Ausgelöst wurde die Debatte von einem Urteil gegen die Ärztin Kristina Hänel, die vom Landgericht Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, weil sie auf ihrer Internetseite Schwangerschaftsabbrüche als Leistung angeboten hatte. Grundlage war der Paragraf 219a, der "Werbung" für Schwangerschaftsabbrüche verbiete. Demnach macht sich strafbar, wer "seines Vermögensvorteils wegen" öffentlich Abtreibungen anbietet.
Die SPD hatte - wie Grüne, Linke und FDP - eine Abschaffung des Verbots gefordert, die Unionsseite wollte das nicht. Im Dezember handelten die fünf zuständigen Minister einen Kompromissvorschlag aus, der aber nicht alle Kritiker zufrieden stellte. Auf diesen Kompromiss baut der Gesetzentwurf nun auf. "Wir stellen sicher, dass betroffene Frauen in einer persönlichen Notsituation an die Informationen gelangen, die sie benötigen", sagte Justizministerin Katarina Barley (SPD) der dpa.
Die neue Vorschrift sorge zudem für Rechtssicherheit für die Ärzte, betonte Familienministerin Franziska Giffey (SPD). "In Zukunft wird jede Ärztin und jeder Arzt in Deutschland über die Tatsache informieren dürfen, dass er oder sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Der Referentenentwurf wird nun innerhalb der Bundesregierung weiter abgestimmt und mit Ländern und Verbänden beraten. Am 6. Februar soll das Kabinett den Gesetzentwurf verabschieden. (dpa/abg)
Interview mit Kasseler Frauenärztin
Vor Bekanntwerden des Entwurfes hatten wir mit der Kasseler Frauenärztin Nora Szász über den aufgeschobenen Prozess gesprochen:
Was sagen Sie zu der Entscheidung, dass der Prozess zunächst abgesagt wurde?
Nora Szász: Sie ist fair und klug. Wir sind natürlich sehr froh darüber. Da spreche ich auch im Namen meiner Praxiskollegin Natascha Nicklaus.
Wir hatten dem Vorschlag von Richter Riekmann über unsere Anwälte bereits zugestimmt. Als dann die Entscheidung kam, war die Erleichterung dennoch groß. Auch wenn es keine Lösung des Problems darstellt. Es hätte uns aber geärgert, wenn wir in die Geschichte eingegangen wären, als die Letzten, die nach dem alten Gesetz verurteilt wurden.
Was bedeutet das jetzt?
Ich bin skeptisch, was uns erwartet. Nach meinen Informationen werden die Politikerinnen und Politiker in Berlin das nicht auf die lange Bank schieben. SPD-Bundestagsabgeordneter Timon Gremmels rechnet damit, dass noch im Januar der Gesetzentwurf zur Abstimmung vorgelegt wird. Dann sehen wir ja, ob und wie damit das Recht der Frauen auf Information und die angekündigte Rechtssicherheit für uns Ärztinnen und Ärzte gewährleistet werden kann. Wir befinden uns in der Situation, dass wir dadurch, dass der Gerichtstermin zurückgezogen wurde, bei einem Verfahren zum späteren Zeitpunkt, an dem dann neuen Gesetzestext des Paragrafen 219a gemessen werden. Wir sind quasi der Prüfstein, an dem sich zeigt, ob eine Verurteilung weiterhin möglich ist. Es ist auf jeden Fall eine Chance, dass wir nun nicht mehr nach dem alten 219a verurteilt werden.
Bei aller Freude darüber, sind wir uns dennoch nicht sicher, ob nun die Grundlage für das so notwendige Informationsrecht für Frauen und Rechtssicherheit für uns Ärztinnen und Ärzte geschaffen wird. Die SPD hat angekündigt, dass sie dem Gesetzesentwurf nicht zustimmen wird, wenn es keine Rechtssicherheit gibt. Ich werde sie beim Wort nehmen.
Ihre Hoffnung?
Ich habe immer noch die Hoffnung, dass Paragraf 219a abgeschafft wird. Wenn uns das neue Gesetz keine Rechtssicherheit verschafft, müssen wir uns weiter zur Wehr setzen. Wir belassen in jedem Fall auf unserer Website die Informationen darüber, dass in unserer Praxis Schwangerschaftabbrüche vorgenommen werden können. Wir werden das so formulieren, wie wir es für richtig halten.
Zu den Vorschlägen der Großen Koalition für eine Gesetzesnovelle zählt die Vorschrift eines vorgegebenen Textes für Websites. Die Mediziner sollen danach lediglich auf staatliche Stellen hinweisen. Straffreiheit wird es nur geben, wenn das und das formuliert ist.
Dabei ist der Paragrafen 219a absurd. Es gibt ihn in Europa nur in Deutschland.
Wie geht es jetzt weiter?
Als wir offiziell von der Absage des für den 28. Januar vorgesehenen Gerichtstermins erfuhren, haben wir sofort unser Umfeld verständigt.
Das Kasseler Frauenbündnis und die anderen Unterstützer wollen mit ihrem Protest weitermachen und zu Veranstaltungen einladen. Beispielsweise zur Filmvorführung mit Diskussion am 22. Januar im Kurbad-Café. Es läuft alles weiter.
Zur Person
Nora Szász (56) in Nürnberg geboren, hat in Berlin Hebamme gelernt und dort Medizin studiert. Sie ist Mutter eines Sohnes und praktiziert als Gynäkologin in einer Praxis mit Kollegin Natascha Nicklaus in Kassel.