Kassel. „Jaaaaa: getroffen!" juchzt Stella. Mit einer Wischbewegung hat die Sechsjährige auf dem Handy ihrer Mutter ein Pokémon gefangen. Jasmin und René Christoph aus Helsa-Eschenstruth stehen am Samstagnachmittag mit ihren beiden Töchtern vor der Elisabethkirche am Kasseler Friedrichsplatz.
Vater René mit dem Tablet-PC in der Hand, Mutter Jasmin mit dem Smartphone. Die Spiele-App „Pokémon Go" hat sie wie viele andere hergelockt. „Wir wollten mal gucken, was das hier für eine Masse ist“, sagt Jasmin Christoph. Um sie herum stehen allein und in Grüppchen ungefähr 100 Menschen, die auf ihre Handy-Displays starren. Sie alle sind auf der Jagd nach den virtuellen kleinen Monstern, die man in dem Spiel fangen kann - und besonders viele tummeln sich auf dem Friedrichsplatz. Die Straße vor der Kirche ist zugeparkt, auch im Halteverbot stehen die Autos, darin oder daneben junge Leute, die mit ihrem Smartphone beschäftigt sind.
Aus der Innenstadt stößt ein Pulk Pokémon-Spieler hinzu. Sie hatten sich per Facebook zu einer „Pokémon-Go-Tour“ verabredet. Mehr als 600 Teilnehmer hatten sich angekündigt. Wohl wegen des strömenden Regens am Vormittag kamen aber nur etwa 25 unerschrockene Jäger und Sammler - und zogen auf der Suche nach Gesellschaft ebenfalls zum Friedrichsplatz. „Über das Spiel lernt man viele neue Leute kennen“, sagt Jannik Budde aus Calden, der in Kassel studiert. Der 20-Jährige hat schon in seiner Kindheit mit dem Gameboy die bunten Fantasiefiguren gejagt. Auch der „Nostalgie-Faktor“ spiele beim neuen Pokémon-Fieber eine Rolle, sagt er. Jetzt lockt eine App die Spieler in die echte Welt: Nur wer dorthin geht, wo Pokemons versteckt sind, kann sie fangen.
„Früher bin ich nie nie rausgegangen“, sagt Melina Vanzo (16) aus Körle. „Meine Mutter kann gar nicht fassen, dass ich plötzlich so viel an der frischen Luft bin.“ Das Spiel hält in Bewegung: Auch um Pokemon-Eier auszubrüten, muss man mehrere Kilometer zurücklegen - nur im Schritttempo funktioniert das. Manche Spieler greifen schon zu Tricks und befestigen ihr Smartphone an den Fahrradspeichen und drehen dann langsam das Rad.
Pascal Keller aus Habichtswald, sonst eher lauffaul, wie er unumwunden zugibt, legt derzeit bis zu zehn Kilometer am Tag zurück. In der Bauchtasche seines Pullovers hat der 26-Jährige zwei Energy-Drinks verstaut. Wer weiß, wohin ihn die Pokémons noch ziehen.