1. Startseite
  2. Kassel

Bombendrohung an der Uni Kassel: Protokoll einer denkwürdigen Stavo-Sitzung

Erstellt:

Von: Andreas Hermann, Florian Hagemann

Kommentare

Hörsaal 1 des Campus-Centers der Universität Kassel: Stadtverordnete packen ihre Sachen und verlassen den Hörsaal.
Plötzlich wurde es ungemütlich – wegen einer Bombendrohung: Die Stadtverordneten packten daher eilig ihre Sachen und verließen den Kasseler Uni-Campus. © Andreas Hermann

Die Kasseler Stavo tagt am Montag in einem Uni-Hörsaal. Die Sitzung endet denkwürdig: Wegen einer Bombendrohung muss sie abgebrochen werden.

Kassel – Für Luzie Pfeil ist das ein besonderer Tag: Sie studiert im dritten Semester an der Universität Kassel, doch in einem echten Hörsaal hatte die 20-Jährige noch keine Veranstaltung – wegen Corona. Die Pandemie hat dazu geführt, dass Vorlesungen häufig online und kaum in Präsenz stattfanden. Und so gehört es zu den Kuriositäten dieser Zeit, dass die Studentin das erste Mal als Stadtverordnete der Grünen-Fraktion den Hörsaal 1 im Campus-Center Kassel betritt. Sie freut sich, sagt sie vor der Sitzung, die um 16 Uhr beginnt.

Am Ende des Tages wird Luzie Pfeil sagen, dass sie sich das Ganze anders vorgestellt habe. Der Hörsaal 1 im Campus-Center? „Der am wenigsten schöne Ort.“ Das hat einen Grund: 75 Minuten nach Beginn lässt die Polizei das Gebäude räumen, weil eine anonyme Bombendrohung per Mail an mehrere Absender verschickt worden war. Zwei Sprengsätze würden um 18 Uhr detonieren, hieß es darin. Zuvor war in der Mail von „Maskenpflicht“, „Testwahn“, „Impfzwang“ und „Krieg“ die Rede.

So wird die Sitzung um 17.17 Uhr abrupt beendet. Eine Stadtverordnetenversammlung, die von Anfang an nicht wirklich rund lief, was freilich andere Gründe hatte. Das Protokoll einer denkwürdigen Sitzung.

Die Stadtverordneten Luzie Pfeil (Grüne) und Michael von Rüden (CDU)
Gemeinsames vor der Stavo-Sitzung, die schließlich wegen einer Bombendrohung abgebrochen werden musste: Luzie Pfeil (Grüne) und Michael von Rüden (CDU). © Andreas Fischer

Die Ankunft der Stavo im Hörsaal der Uni Kassel: Noch weiß niemand von der Bombendrohung

Für manche ist der Gang in den Hörsaal mit Erinnerungen an eigene Studentenzeiten verbunden – wie für Michael von Rüden, den Vorsitzenden der CDU-Fraktion. Seine Unizeit liegt schon ein halbes Jahrhundert zurück. Er begann sein Studium in Göttingen 1968 – in einer turbulenten Zeit, die sehr stark politisiert war, wie er das ausdrückt. Damals gab es Unruhen, Streiks, radikale Kräfte, mit denen von Rüden nichts zu haben wollte. „Ich weiß noch, als ich einmal mit meinem VW Käfer zurück nach Kassel gefahren bin auf der Groner Landstraße. Da wurde ich von der Polizei angehalten, weil die nach Terroristen Ausschau hielten.“

Dass er nun wieder in einem Hörsaal sitzt und die Stadtverordnetenversammlung zu Gast an der Uni ist, findet er gut, weil er und seine Fraktion sich zum einen nicht mit der Alternative hätten anfreunden können: der Stadthalle Baunatal. Und – zum anderen – die Kommunalpolitik so in Berührung kommt mit den jungen Leuten, die den Staat voranbringen.

Zu diesen jungen Leuten zählt auch Luzie Pfeil, die nicht nur Kommunalpolitik im Ehrenamt betreibt, sondern auch Politikwissenschaften im Hauptfach studiert und die Zeit der Präsenzveranstaltungen herbeisehnt. Sie sagt: „Online geht viel verloren, wenn man diskutiert. Da herrscht viel Stille. In Präsenz beteiligen sich mehr, das ist schöner.“

Kasseler Stavo muss Hörsaal nach Bombendrohung verlassen: Treffen trotz hoher Inzidenz in Präsenz

Von daher findet sie auch gut, dass trotz der hohen Inzidenz die Stadtverordneten zusammenkommen: „Die Stadtverordnetenversammlung ist das wichtigste demokratische Gremium in der Stadt, deshalb ist das notwendig und richtig so.“ Bevor die Sitzung startet, ergibt sich noch ein Plausch mit von Rüden, ein gemeinsames Foto für die Zeitung – im Hintergrund der große Hörsaal.

Nun kommt auch Ron-Hendrik Hechelmann, Stadtverordneter und Parteichef der SPD. Für ihn ist es ein Heimspiel. Der Experte für umweltpolitische Produkte und Prozesse arbeitet an der Uni. „Endlich mal kurze Wege“, freut er sich. In seiner Studentenzeit sei das Campus-Center gerade fertiggestellt worden, im Hörsaal 1 sei er bislang nur bei einer Klausur gewesen. Nun findet dort die Stavo-Sitzung statt. „Das ist eine interessante Erfahrung“, sagt der Sozialdemokrat. Er sieht darin ein positives Zeichen: „Die innenstädtische Standortentwicklung der Universität ist eine Kasseler Erfolgsgeschichte. Hier ist ein Ort und Magnet der Zusammenkunft und des Austausches unterschiedlicher Kulturen geschaffen worden.“

Auch Miriam Hagelstein von der Kasseler Linken hat zur Uni eine besondere Beziehung. Die 29-Jährige studiert dort seit 2016 Politikwissenschaften und Philosophie. Nun sagt sie: „Es fühlt sich so an, als würden alle Stadtverordneten wieder die Schulbank drücken.“

Die Kasseler Stadtverordnetenversammlung tagte am 24.01.2022 im Hörsaal 1 des Campus-Centers der Universität Kassel.
Ungewöhnlicher Sitzungsort: Bevor die Stavo wegen einer Bombendrohung abgebrochen werden musste, tagten die Kasseler Stadtverordneten im Hörsaal der Uni. © Andreas Fischer

Kasseler Stadtverordnete fühlen sich wie Studenten – bis die Nachricht von der Bombendrohung kommt

Gleich geht es los, die Stadtverordneten und die Magistratsmitglieder erkunden den neuen Ort. Oberbürgermeister Christian Geselle entdeckt am Rande ein Klavier und haut gleich mal in die Tasten. Es hört sich sogar ganz brauchbar an – ob gewollt oder ungewollt.

Stadtverordnetenvorsteherin Martina van den Hövel-Hanemann eröffnet, übergibt aber schon bald das Wort an die Hausherrin. Uni-Präsidentin Ute Clement begrüßt die Gäste. Die Pädagogin gibt den Stadtverordneten noch eine Erkenntnis aus ihrer Wissenschaft mit auf den Weg: dass sich mitunter neue Perspektiven dadurch ergeben, dass man die Plätze wechselt. Von daher müssten die Kasseler Kommunalpolitiker schon reich an Perspektiven sein: Der Hörsaal der Uni ist der Ersatz des Ersatzortes des eigentlichen Sitzungssaals.

Es kommt bald darauf zur ersten Abstimmung, und es ist nicht auf Anhieb zu erkennen, wer zu welcher Fraktion gehört. Die Stadtverordneten sitzen in den Reihen des Hörsaals, eine Ordnung ist schwer auszumachen. Die Stadtverordnetenvorsteherin sagt: „Wir müssen uns hier erst eingrooven.“

Bei Kasseler Stavo-Sitzung gibt es Technik-Probleme: Bombendrohung bekommen aber alle mit

Das größte Problem ist die Technik. Wenn Martina van den Hövel-Hanemann ins Mikrofon spricht, ist sie für alle gut zu verstehen – aber nur für ein paar Sekunden, dann streikt das Tischmikro. Als das mehrmals hintereinander passiert, wird ihr ein mobiles Mikrofon gebracht, das sie sich aber mit den Magistratsmitgliedern teilen muss. Deren Tischmikrofone haben dieselben Macken wie ihr Exemplar.

Auch die Mikrofone im Hörsaal gehen nur bedingt. Es gibt immer wieder Aussetzer, wenn Stadtverordnete ihre Frage während der Fragestunde stellen. Dem Stadtverordneten Patrick Hartmann (SPD) wird es zu bunt, er redet einfach ohne Mikrofon weiter – und das mit der Wucht seiner Stimme. „Es geht doch auch, wenn ich das so mache“, stellt er fest. Kein Widerspruch. Eine Frage beantwortet Oberbürgermeister Geselle mit Verweis auf die technischen Schwierigkeiten: „Ich muss hier wohl kurz antworten: ja.“

Es ist nicht so, dass sich keiner Mühe geben würde. Irgendwann schreibt jemand die Daten für den Internetzugang an die Tafel. Die Schrift ist so klein, dass sie in hinteren Reihen kaum einer erkennt. Beim zweiten Anlauf ist die Schrift für alle lesbar.

Abruptes Ende wegen Bombendrohung: Kasseler Stadtverordnete müssen Uni-Hörsaal verlassen

Polizei vor Ort: Am späten Nachmittag musste gestern das Campus-Center an der Uni geräumt werden.
Polizei vor Ort: Am späten Nachmittag musste gestern das Campus-Center an der Uni geräumt werden. © Andreas Hermann

Um kurz nach 17 Uhr wird es plötzlich unruhig auf den vorderen Plätzen, auf denen die Dezernenten und das Präsidium sitzen. Michael von Rüden, der CDU-Fraktionschef, hat besten Blick darauf: „Man merkte, dass irgendwas vorgefallen war.“ Dann erklärt Stadtverordnetenvorsteher Martina van den Hövel-Hanemann schon, was Sache ist: Bombendrohung, alle sollen den Saal verlassen. Das läuft geordnet ab. Die meisten bleiben gelassen.

Ron-Henrik Hechelmann spricht von Angstmache derer, die mit der Drohung für den Abbruch der Sitzung sorgten. „Das ist einfach schade.“ Er sitzt da schon wieder in seinem Büro ganz in der Nähe des Campus-Centers. Immerhin: Hechelmann kann jetzt noch ein bisschen arbeiten. (Florian Hagemann und Andreas Hermann)

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion