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Warum es für Firmen oft äußerst schwierig ist, Flüchtlinge einzustellen

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Von: José Pinto

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Kassel. Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke, der Chef der Kasseler Arbeitsagentur Detlef Hesse und Arbeitsrechtler Roland Wille von der gleichnamigen Anwaltskanzlei loteten während einer von HNA-Chefredakteur Horst Seidenfaden moderierten Podiumsveranstaltung Möglichkeiten aus, wie Flüchtlinge schneller in Beschäftigung gebracht werden können.

Fazit: Schnell geht nichts, einfach ist es schon gar nicht, weil mehrere Gesetze und die Beschäftigungsverordnung ineinandergreifen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Welche berufliche Qualifikation haben die Flüchtlinge? 

90 Prozent gar keine. Und viele sind laut Hesse Analphabeten. Das ist auch der bedeutendste Unterschied zu vorausgegangenen Flüchtlingswellen, als überwiegend Gebildete und häufig Englisch Sprechende nach Europa kamen. Hesse weist aber darauf hin, dass die Flüchtlinge heute jünger, lernwilliger und motivierter seien.

Ab wann dürfen Flüchtlinge beschäftigt werden? 

Zunächst gilt: Neuankömmlinge bleiben bis zu sechs Monaten in Erstaufnahme-Einrichtungen. Während dieser Zeit ist eine Beschäftigung nahezu ausgeschlossen. Erst wenn sie die Sammellager verlassen, ist die Arbeitsaufnahme grundsätzlich möglich. Laut Fachanwalt Wille dauert dies aber in der Regel 15 Monate und länger.

Wieso dauert es bis zur Arbeitsaufnahme so lange? 

Zum einen, weil die Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Arbeitsgestattung eine Auftenthaltsgestattung ist, zum anderen, weil die Arbeitsagentur vor der Einstellung eine sogenannte Vorrangprüfung vornehmen muss. Das heißt: Sie prüft, ob es keinen geeigneten einheimischen Bewerber oder solche aus dem EU-Ausland für die jeweilige Stelle gibt.

Gilt diese Regelung für alle Flüchtlinge? 

Nein, sondern nur für solche, die aus nicht sicheren Herkunftsländern wie Syrien kommen. Dagegen haben Menschen z.B. aus Albanien keine Chance, eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen und somit auch nicht auf legale Beschäftigung. Das gilt künftig auch für Flüchtlinge aus den Maghreb-Ländern Tunesien, Algerien und Marokko.

Gibt es bei Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, bei denen Ausnahmen gemacht werden? 

Ja. Wer 48 Monate und länger geduldet wurde, erlangt automatisch Anspruch auf Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis.

Wie verhält es sich mit Ausbildung, Praktika und Ein-Euro-Jobs? 

Hier gelten die restriktiven Bestimmungen nicht. Ein-Euro-Jobs sind erlaubt, allerdings nur bei Kommunen. Un- oder geringfügig bezahlte Praktika dürfen maximal drei Monate dauern. Laufen sie länger, müssen Arbeitsentgelte, und zwar vom allerersten Tag an, bezahlt werden. Und die unterliegen dem Mindestlohngesetz. Das heißt: 8,50 Euro die Stunde. Auch Ausbildungen können im laufenden Verfahren begonnen werden.

Worauf müssen Arbeitgeber noch achten?

Es gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz. Flüchtlinge dürfen nicht zu schlechteren Bedingungen beschäftigt werden als Einheimische oder EU-Bürger, die vergleichbare Tätigkeiten ausführen. Außerdem sind sie verpflichtet, die Echtheit von Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis zu prüfen.

Aber den bürokratischen Aufwand können doch kleine Betriebe gar nicht stemmen. 

Das stimmt. Hilfe bieten die Arbeitsagentur, die Kammern und natürlich auch Fachanwälte an.

Wie sieht es mit Sprachkursen aus? 

Nach Hesses Angaben hat jeder Ankömmling aus nicht sicheren Ländern Anspruch auf einen sechs- bis achtwöchigen Sprachunterricht. Es gebe aber Kapazitätsprobleme.

Was muss passieren, damit Verfahren kürzer werden?

Entbürokratisierung lautet die einhellige Meinung von Wille, Hesse und Lübcke. Vieles sei zu kompliziert. Der Regierungspräsident appellierte an alle, flexibel zu agieren.

Stehen die Flüchtlinge nicht in Konkurrenz zu anderen Arbeitssuchenden?

Zum Teil ja. Und das birgt nach Einschätzung Hesses viel sozialen Sprengstoff.

Wie sieht es bei anerkannten Asylanten aus? 

Sie haben eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung und damit vollumfänglich Zugang zum Arbeitsmarkt.

Der HNA Business Talk

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