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Pussy Riot in Kassel: "Du kannst nichts ändern, wenn du zuhause sitzt und weinst"

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Von: Christina Hein

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Mascha Aljochina in ihrem Kasseler Hotel: Vor ihrem Auftritt im Theaterstübchen stand für sie ein Bergparkbesuch auf dem Programm.
Mascha Aljochina in ihrem Kasseler Hotel: Vor ihrem Auftritt im Theaterstübchen stand für sie ein Bergparkbesuch auf dem Programm. © Andreas Fischer

Weltstars in Kassel: Die Punkband Pussy Riot gastiert an diesem Sonntag im Theaterstübchen. Wir trafen vorab Aktivistin Mascha Aljochina, die zuletzt auch mit ihrem Freund Schlagzeilen machte.

Gleich beim Betreten des Hotels Chassalla an der Wilhelmshöher Allee sehe ich sie, eine zierliche Person mit Mütze, die sie tief über die rotblonden Locken gezogen hat. Sie sitzt über ihr Handy gebeugt in einem Sessel versunken im Foyer. Auch ohne ihr Markenzeichen, der bunten Sturmhaube, erkenne ich sie sofort als eine der Galionsfiguren der weltbekannten russischen Punkband und Aktivistengruppe Pussy Riot, Maria, genannt Mascha Aljochina.

Na, das ist ja mal eine pünktliche Verabredung mit einer Prominenten, die sich gerade auf eng getakteter Europa-Tournee befindet: auf die Minute startklar. Als ich sie anspreche, ist sie verwirrt. Ein Interviewtermin? Davon wisse sie nichts. Sie sei gerade aus Holland gekommen und sei sehr müde. Ihr russischer Manager kommt herbei, guckt wenig erfreut, geht der Verwirrung aber nach und klärt auf: Die vom deutschen Manager getroffene Terminabmachung war offensichtlich auf den falschen Tag gerutscht. Ob wir trotzdem reden können? Mascha lächelt gequält: Aber zuerst müsse sie duschen.

Dieser Beitrag stammt von der Video-Plattform Glomex und wurde nicht von HNA.de erstellt. 

Sie und ihre Mitstreiter sind Stars der Untergrundkultur. Die Videos und Bilder der provokanten, unerschrockenen Aktionen, mit denen die Pussy Riots Regierung und Klerus in ihrer Heimat auf die Palme bringen, indem sie deren Verstrickungen und Machenschaften anprangern, sind um die Welt gegangen. Auch diese Aufnahmen aus den Nachrichtensendungen sind ins kollektive Gedächtnis eingebrannt: Drei junge Frauen – außer Mascha noch Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch – im Gerichtssaal in Käfige gesperrt, werden im Frühjahr 2012 von russischen Richtern für Rowdytum, Blasphemie und grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung verurteilt. Die damals 24 Jahre alte Aljochina musste mit zwei Jahren Gefängnis und Arbeitslagerhaft büßen.

Davon schreibt sie, brillant, tief berührend, reflektiert und trotz des düsteren, bleischweren Themas mit viel Wortwitz in ihrem Buch „Tage des Aufstands“. Darin steht der Satz „Genauso muss Protest sein: verzweifelt, unerwartet, lustig“. Darauf angesprochen, geht ein Lächeln über ihr müdes Gesicht, blitzen ihre hellen Augen auf: „Die Mächtigen in Russland hassen es, wenn man über sie lacht.“ Deshalb spart sie in ihrer Video-Performance, mit der sie mit Mitstreitern aus dem Pussy-Riot-Kollektiv tourt, und deren Texte die Essenz ihres Buches sind, nicht an Verunglimpfungen.

„Dir geht es doch um Menschenrechte?", fragt sie eine Wachfrau im Lager, während sich Mascha im Hungerstreik befindet, „weißt du denn, wie hoch mein Gehalt ist? Ich weiß, was diese Frage soll: mein Mitleid erwecken“, schreibt Mascha. Es ist eine dieser vielen tragisch-absurden Szenen im Buch. Die Illustrationen stammen von ihrem heute elfjährigen Sohn, der zu Hause in Moskau lebt. 

Dass sie, die Journalistik studiert hat, heute auf Bühnen in der ganzen Welt steht, zusammen mit anderen Pussy Riots ihre Wut herausschreit und die Menschen auffordert, es ihr gleichzutun, habe sie sich nicht träumen lassen: „Ich hätte niemals gedacht, dass ich Musik mache, ein Buch schreibe, dass ich ins Gefängnis muss“, sagt sie. Eigentlich sei sie kein sehr selbstbewusster Mensch: „Aber du kannst nichts ändern, wenn du zuhause sitzt und weinst.“ Die Solidarität ihres Publikums sei das, was sie stark mache.

Während wir reden, tigert Maschas Freund Dimitri Zorionow hin und her. Er ist eigens für den Kasseler Auftritt angereist und macht jetzt ein Zeichen, dass es an der Zeit sei. Sie wollten noch essen.

Ihre Beziehung hatte vor einem Jahr für Verwirrung gesorgt und war in die Schlagzeilen geraten, denn Zorionow gilt als ultra-orthodoxer Aktivist, Anführer der Gruppe „Gottes Wille“ und Anfeinder der Pussy Riots. Ihre Liebe beweise, so hieß es schließlich in den Medien als Erklärung, dass „Lamm und Löwe friedlich beieinander wohnen können“.

Mascha lächelt: „Wir können ja morgen weiterreden“, schlägt sie freundlich vor und verabschiedet sich höflich.

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