Der Kinderarzt warnt: Langfristiges Übergewicht und ein inaktiver Lebensstil seien mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden. „In Amerika ist Übergewicht bereits der häufigste Grund für eine Lebertransplantation. Dorthin werden wir auch kommen, wenn wir nicht entschieden handeln.“ Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen seien weitere Auswirkungen. Hinzu kämen psychische Probleme.
Den einen Grund für Übergewicht gibt es nicht. Fehlendes Wissen, fehlende Zeit, um gesundes Essen zuzubereiten, fehlende Bewegung, falsches Essverhalten – da kämen viele Einflüsse infrage, sagt Mareike Spijker, Diät-Assistentin im Team von Jenke. Das Problem ist erkannt. Das Klinikum hat das erste Adipositas-Therapiekonzept für unter 18-Jährige in Nordhessen ins Leben gerufen.
Gut essen, gern bewegen, gemeinsam lachen – unter diesem Motto ist im Klinikum Kassel das erste Adipositas-Therapiekonzept für Kinder und Jugendliche in Nordhessen gestartet. „Team Herkules“ nennt sich das Programm. „Es ist nicht auf den schnellen Abnahmeerfolg ausgerichtet“, erklärt Mareike Spijker. Es gehe darum, die Lebensqualität sowie die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zu verbessern. Was dahinter steckt:
Spijker und Chefarzt Jenke sprechen von einem Teufelskreis. Daraus sollen die Heranwachsenden mithilfe der Therapie entfliehen, „um ihnen die Stigmatisierung durch Schule und Gesellschaft zu ersparen“. Übergewichtigen fehle ein natürlicher Bewegungsdrang, zudem würden sie ausgegrenzt und gehänselt, dadurch entstehe Frust, die Kinder zögen sich zurück und entwickelten ein pathologisches Essverhalten.
Laut Diät-Assistentin Spijker spielen mehrere Faktoren eine Rolle. In bildungsferneren Bevölkerungsgruppen trete das Problem häufiger auf, doch sie trügen nicht die Schuld. Zum Beispiel bewerbe die Industrie Lebensmittel, die alles andere als gesund seien – es gehe dabei um: schnell, einfach und kalorienhaltig. „Eltern berichten, dass ihnen die Zeit fehle, ein ordentliches Essen zuzubereiten“, sagt Spijker, und das beträfe die gesamte Gesellschaft. Zudem sei es heutzutage normal, dass überall Essen zur Verfügung stünde.
Klar ist: „Zucker ist der Haupttreiber“, sagt Spijker. Damit meint sie nicht nur Süßigkeiten, sondern auch jenen Zucker, der in „normalem“ Essen und Getränken versteckt ist. Überdies werde vermehrt nebenbei gegessen, ständig werde Energie zugeführt – das Problem: „Bei manchen ist ein Sättigungsgefühl nicht vorhanden.“
„Team-Herkules“ richtet sein Angebot an Übergewichtige im Alter von zehn bis 17 Jahren und deren Familien. Das Programm dauert sechs Monate und umfasst zwei Bewegungseinheiten und eine Gruppenschulung pro Woche. Es stützt sich auf drei Säulen: Im Ernährungsteil geht es um ausgewogene Lebensmittelauswahl und um die Zubereitung.
Im Sportprogramm wird Beweglichkeit, Ausdauer und Kraft trainiert. „Die Kinder sollen lernen, wie sie sich bewegen können“, sagt Jenke. Und im psychosozialen Teil sollen die Teilnehmenden Wege finden, „Verhaltensweisen zu ändern, ihre Selbstwahrnehmung zu verbessern und ihr Leben aktiver zu gestalten“, erklärt Spijker. Bei regelmäßiger Teilnahme werden die Kosten von den Krankenkassen erstattet. Über die gesamte Dauer übernehmen die Familien einen Eigenanteil von 100 Euro. (Robin Lipke)
Information und Anmeldung: gnh.net/team-herkules