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Riskanter Abnehm-Trend im Internet: Mediziner aus Kassel warnt vor Fettweg-Spritze

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Von: Anna-Laura Weyh

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Trend im Internet: Das Diabetes-Medikament Ozempic nutzen viele Menschen zum Abnehmen. Es kann heftige Nebenwirkungen auslösen.
Trend im Internet: Das Diabetes-Medikament Ozempic nutzen viele Menschen zum Abnehmen. Es kann heftige Nebenwirkungen auslösen. © Joel Saget/ AFP

Die Fettweg-Spritze hat sich zum Internet-Trend entwickelt. Ein Kasseler Mediziner warnt jedoch davor, sie nicht leichtfertig zu nutzen. Er sieht aber auch eine Chance für Adipositas-Kranke.

Kassel – Gewicht verlieren ohne Sport und Diät – das funktioniert mithilfe des Medikaments Ozempic. Auch Prominente wie Elon Musk und Kim Kardashian nutzen angeblich die Wunderspritze zum Abnehmen und haben so im Internet einen Hype um das Medikament ausgelöst. Doch vor den teilweise heftigen Nebenwirkungen warnt unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie. Außerdem befürchtet die Interessensvertretung einen Mangel des Medikaments für seinen eigentlichen Anwendungsbereich: für die Blutzuckerregulierung bei Diabetes Typ 2.

Das Abnehmen sei eigentlich nur ein Nebeneffekt: „Der Wirkstoff Semaglutid setzt im Mittelhirn ein und hemmt den Appetit, indem es körpereigene Hormonimpulse imitiert. Der Körper empfängt das Signal, dass er satt ist“, sagt Dr. Johannes Heimbucher, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie und Leiter des Adipositaszentrums Nordhessen am Marienkrankenhaus Kassel.

Er kritisiert den unreflektierten Gebrauch. Denn schon jetzt geben plastische Chirurgen ihren Patientinnen und Patienten die Spritzen unbedarft zum Ausprobieren mit – auch im Raum Kassel. Heimbucher betont, dass das Medikament bei uns als reine Abnehmkur nicht zugelassen sei – schon gar nicht für Menschen, die nicht an Adipositas leiden.

Bundesweiter Lieferengpass

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte teilt mit, dass die hohe Nachfrage nach Ozempic zu Lieferengpässen führe. Obwohl sich die Versorgung verbessere, könne der Hersteller Novo Nordisk Pharma GmbH noch nicht absehen, wann die Nachfrage wieder vollständig gedeckt werden könne. Auch in der Region ist der Lieferengpass zu sehen. Marco Diestelmann von der Apotheke am Habichtswald etwa habe Patienten bereits vertrösten müssen. Ob der Abnehm-Hype aber die Lieferschwierigkeiten beeinflusst, wisse er nicht – dafür könne es viele Gründe geben. 

„Das Medikament wirkt sehr komplex im Körper“, so Heimbucher. Es sei nicht ratsam, ein Medikament mit hohem Nebenwirkungspotenzial zweckentfremdet anzuwenden – und das auch noch ohne ärztliche Begleitung. „Es kann Übelkeit, Erbrechen, Unwohlsein und Kreislaufprobleme mit sich bringen. Für die Adipositas-Behandlung ist eine ganz andere Dosierung notwendig“, warnt der Chefarzt. Auch Entzündungen der Bauchspeicheldrüse und der Gallenblase seien möglich.

Aktuell sehe die Regeldosierung des Medikaments eine Spritze im Monat vor. Diese koste etwa 300 Euro. In Nordamerika und Mexiko ist das Medikament als reine Abnehmkur schon auf dem Markt – das Medikament in dieser Funktion und mit anderer Dosierung als Ozempic trägt den Namen Wegovy. Die Nachfrage ist hoch.

Der Hersteller rechne im Sommer auch mit der Zulassung in Deutschland. Dann sei das Adipositaszentrum im Marienkrankenhaus auch bereit, Patientinnen und Patienten zu begleiten, die für die Abnehmspritze in Frage kommen und diese Therapie wünschen. „Wir würden gemeinsam mit der Universität Göttingen an Studien zur Erprobung des Medikaments mitwirken“, sagt Heimbucher.

Warnen vor einem leichtfertigen Umgang mit der Fettweg-Spritze: Kerstin Meyfarth von der Ernährungsberatung und Dr. Johannes Heimbucher, Leiter des Adipositaszentrums am Marienkrankenhaus in Kassel. Der Chefarzt zeigt eine Dosis, die der Fettweg-Spritze ähnelt.
Warnen vor einem leichtfertigen Umgang mit der Fettweg-Spritze: Kerstin Meyfarth von der Ernährungsberatung und Dr. Johannes Heimbucher, Leiter des Adipositaszentrums am Marienkrankenhaus in Kassel. Der Chefarzt zeigt eine Dosis, die der Fettweg-Spritze ähnelt. © anna weyh

Noch könne nichts über die langfristigen Erfolge zur Behandlung von Adipositas gesagt werden. „Die Studien im Ausland dazu laufen erst ein bis zwei Jahre“, so der Kasseler Experte. Heimbucher beobachtet: „Die meisten nehmen durch die Spritzen substanziell Gewicht ab, aber ohne die Spritzen werden sie wieder zunehmen.“ Das sehen Medizinerinnen und Mediziner bislang bei allen Adipositas-Therapien.

„Viele Facetten spielen bei Adipositas eine Rolle: in erster Linie das Erbgut, aber auch Schönheitsideale in der Gesellschaft und andere soziale Parameter. Ebenso die psychische Verfassung, der Einfluss der Werbung und natürlich die persönlichen Aktivitäten“, so Heimbucher. Die Abnehmspritze greife nur einen kleinen Teil im Hirn davon auf. „Alles andere läuft wie gehabt weiter. Jemand, der krankhaft übergewichtig ist, kann sich nicht aussuchen, ob er essen will. Die Impulse sind stärker als bei einem Kokain-Süchtigen. Das ist unheimlich quälend für die Menschen.“

Die Abnehmspritze allein werde diese Menschen nicht heilen, ist er sicher. Es gebe keinen Beweis dafür, dass irgendeine Monotherapie langfristig wirkt. „Weder eine OP oder eine Diät, noch eine Spritze allein werden adipöse Menschen zum Erfolg bringen“, so der Chefarzt. Dennoch sieht er in der Spritze eine potenzielle Chance, wenn sie früh genug eingesetzt wird und andere Faktoren parallel dazu behandelt werden. „Wir im Marienkrankenhaus arbeiten auch psychologisch an der Veränderung von Verhaltensweisen und kooperieren mit Fitnessstudios“, sagt er.

Die Chirurgen begrüßen die Spritze neben vielen anderen Therapiemöglichkeiten als Ergänzung. „Sie kann vielleicht eine Art Brücke zur Veränderung werden, wodurch wir Zeit gewinnen, um die anderen Faktoren zu behandeln“, so der Chefarzt.

Auch Ernährung muss umgestellt werden

Die Fettweg-Spritze wirke ohne eine Ernährungsumstellung auch nur bedingt, sagt Kerstin Meyfarth von der Ernährungsberatung im Adipositaszentrums am Marienkrankenhaus in Kassel. „In der Regel spritze ich mir dieses Mittel ja nicht und esse dann 500 Gramm Spaghetti. Man isst bewusster“, sagt die Ernährungsexpertin.

Der Abnehm-Effekt, der eigentlich eine Nebenwirkung des eigentlichen Zwecks (der Senkung des Blutzuckerspiegels) ist, entstehe auch durch die anhaltende Übelkeit, die mit dem Medikament einhergehe. „Weil den Patienten durch die Abnehm-Spritze ständig schlecht ist, haben sie kein Hungergefühl und essen weniger“, so Meyfarth.

Der in Ozempic enthaltene Wirkstoff Semaglutid bewirke im Körper, dass sich der Magen langsamer entleert. Auch das sorge für weniger Hunger. Häufig sehe man nach dem Absetzen der Spritzen eine extreme Gewichtszunahme. „Wie so oft bei solchen Programmen schmeißen viele danach alles über Bord“, sagt sie.

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