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documenta-Buchhändler: Kritik an Sabine Schormann war eine Hexenjagd

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Von: Matthias Lohr

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Betrieb den documenta-Buchladen im Ruruhaus: Lothar Röse von der Hofbuchhandlung Vietor. Archi
Betrieb den documenta-Buchladen im Ruruhaus: Lothar Röse von der Hofbuchhandlung Vietor. Archi © Privat/nh

Für Lothar Röse war die documenta wie ein 100 Tage dauernder Rausch. Der Buchhändler verteidigt Ex-Generaldirektorin Sabine Schormann und geht mit den documenta-Kritikern hart ins Gericht.

Kassel – Am Eröffnungswochenende der documenta fifteen schickte Lothar Röse einen Leserbrief an die HNA, in dem er mit Frank-Walter Steinmeier abrechnete. Der Buchhändler nannte die Rede des Bundespräsidenten, die der SPD-Politiker am 18. Juni in der documenta-Halle gehalten hatte, „skandalös“. Röse forderte Steinmeier auf, sich bei allen zu entschuldigen, „die für diese wundervolle Ausstellung arbeiten“.

Steinmeier hatte die bis dahin sehr vagen Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Kunstschau als berechtigt dargestellt. Viele staunten über seine Rede. Röses Leserbrief erschien aber erst am 21. Juni, als der Antisemitismus auf dem Taring-Padi-Banner auf dem Friedrichsplatz für den größten Skandal in der documenta-Geschichte gesorgt hatte. Der Autor erhielt für seine Zeilen „wüste Beschimpfungen“, wie er heute sagt.

Dieser Sommer hat auch Röse verändert. „Ich habe gelernt, dass die Gesellschaft anders tickt, als ich dachte“, sagt der 66-Jährige. Nach drei Jahrzehnten im In- und Ausland hatte der gebürtige Kasseler 2014 die traditionsreiche Hofbuchhandlung Vietor am Ständeplatz übernommen. Seither ist er in der Stadtgesellschaft sehr präsent. Röse kann Menschen begeistern und sehr pointiert formulieren.

Während der documenta betrieb er mit der Kölner Buchhandlung Walther König den Buchladen im Ruruhaus. Ob sich das Geschäft nach zwei Jahren Corona wirtschaftlich gerechnet hat, kann Röse noch nicht sagen, aber er schwärmt auch so von der documenta: „Es herrschte eine wunderbare Atmosphäre. Es waren 100 Tage wie im Rausch.“

Nicht nur die Kuratoren des indonesischen Kollektivs Ruangrupa, Künstler und Wirtschaftsleute kamen zu ihm ins Ruruhaus, sondern auch viele, die nicht zum klassischen Kunstpublikum zählen, wie Röse es nennt – etwa Menschen aus der Nordstadt und dem Kasseler Osten: „Die kunstbeflissenen Prada-Damen tauchten nicht auf. Kein großer Verlust.“ Wie gesagt: Röse kann sehr pointiert formulieren.

Schon lange vor der documenta-Eröffnung hatte er sich mit der documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann angefreundet. Beide seien sich sofort sympathisch gewesen. Mit den Ehepartnern verbrachten sie immer wieder Zeit zusammen.

Schormann ist die tragische Figur dieser documenta. Sie hatte mehr Macht als alle Geschäftsführer vor ihr. In der Stadt war sie sehr geschätzt. Als im Sommer aber immer wieder neue Antisemitismus-Vorwürfe Schlagzeilen machten, tauchte sie nach Ansicht vieler Kritiker ab. Nach zahlreichen Rücktrittsforderungen gab sie ihr Amt Mitte Juli auf.

Kassel hat Schormann danach schnell verlassen. Mittlerweile hat sie auch ihre Wohnung in der Unterneustadt aufgelöst. Dabei wollte sie sich hier dauerhaft niederlassen. Bis heute hat sich Schormann nach ihrem Aus im Sommer nicht öffentlich geäußert. Sie gibt auch jetzt keine Interviews.

Dafür spricht ihr Freund Lothar Röse. Er verteidigt sie mit so deutlichen Worten, dass man daraus sehr knackige Schlagzeilen machen könnte. Doch ein Großteil davon streicht er bei der Autorisierung seines Interviews. Er lässt nur noch so viel stehen: Schormann habe immer wieder zwischen allen Beteiligten vermittelt, was gerade bei dieser „Corona-documenta“ schwierig gewesen sei. Sie habe viele Strukturen der GmbH erfolgreich modernisiert und die documenta auf einen guten Weg gebracht. Kurzum: „Sie hätte weitermachen sollen.“ Geht es nach Röse, würde Schormann Kasseler Ehrenbürgerin.

Die Kritik an ihrer Person vergleicht er mit einer „Hexenjagd“. Besonders enttäuscht ist er von Grünen-Politikern wie Hessens Kunstministerin Angela Dorn: „Ihre Stimme überschlug sich bisweilen wie aus Hass gegenüber den Verantwortlichen.“

Zur Antisemitismus-Debatte will er eigentlich nichts sagen. Nur so viel: „Wir Deutschen haben Millionen Juden umgebracht. Jetzt wollen wir der Welt erklären, was Antisemitismus ist.“ In sein Geschäft seien Leute gekommen, die ihn als Antisemiten beschimpft hätten. Manche Kasseler, die er seit Jahren kennt, würden heute noch die Straßenseite wechseln, wenn sie ihn sehen.

Trotz all dieser Erfahrungen will Lothar Röse sich seine Zugewandtheit behalten. Diese documenta war für ihn die zehnte. Er ist sich sicher:  Bisher hat man nach jeder documenta gesagt, es sei die beste aller Zeiten gewesen. Das wird auch diesmal so sein.“ (Matthias Lohr)

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