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Studie zeigt: Rechte gewinnen in Vereinen und Feuerwehren an Einfluss

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Von: Matthias Lohr

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Rechter Protest gegen Windräder im Reinhardswald: Diese Schilder stellten Reichsbürger vor einem Jahr im Reinhardswald auf. Die Internetseite führte zu Heike Werding, Gründerin des verbotenen Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Rechte versuchen längst, auch den Umweltschutz für sich zu vereinnahmen. Archi
Rechter Protest gegen Windräder im Reinhardswald: Diese Schilder stellten Reichsbürger vor einem Jahr im Reinhardswald auf. Die Internetseite führte zu Heike Werding, Gründerin des verbotenen Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Rechte versuchen längst, auch den Umweltschutz für sich zu vereinnahmen. Archi © Markus Löschner

Auch in der Zivilgesellschaft greifen rechte Einstellungen um sich. Besonders gefährdet sind laut einer Studie Feuerwehren. Wie sollen Vereinen und Institutionen darauf reagieren?

Kassel – Rechtspopulisten versuchen längst, auch in Vereinen, Feuerwehren und anderen Institutionen der Zivilgesellschaft Einfluss zu gewinnen. Wissenschaftler unter der Leitung des Politologen Wolfgang Schroeder haben dies in einer großen Studie untersucht. Wir sprachen darüber mit dem Kasseler Professor.

Sie haben festgestellt, dass auch in der Zivilgesellschaft rechte Einstellungen um sich greifen. Wie weit ist das in Sportvereinen, bei der Feuerwehr oder im Naturschutz verbreitet?

Rechtspopulismus ist die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft. In den letzten zehn Jahren erleben wir eine Konjunktur rechtspopulistischer Bewegungen. Das macht sich auch in der Zivilgesellschaft bemerkbar. Einerseits versuchen Rechte, bestehende Institutionen zu unterwandern. Andererseits praktizieren sie auch eigene Gründungen, die ihrer Ideologie folgen. Man kann sie auf allen Ebenen antreffen, durch rechte Splittergruppen auch in der betrieblichen Arbeitnehmerpolitik. So positionieren sie sich beispielsweise gegen die offene Gesellschaft und Migration. Häufig mobilisieren Rechte unter Ehrenamtlichen und bei passiven Mitgliedern.

Wie groß schätzt man diese Gefahr in den Vereinen und Institutionen ein?

Die von uns befragten Personen schätzen die Gefahr für die Gesamtgesellschaft deutlich höher ein als für ihre Organisationen. Man ist sehr bemüht, sich Beeinflussungen entgegenzustellen. Zudem gibt es Unterstützung vom Staat. Vielen ist bewusst, dass es das Image schädigt und Mitglieder kostet, wenn Rechte in den eigenen Reihen rassistisch, antisemitisch oder sexistisch argumentieren. Dass Mitglieder ausgeschlossen werden, ist allerdings selten. Es gibt auch Bereiche, in denen Rechtspopulisten viel Einfluss haben. So gibt es im Osten Gewerkschaften, wo viele Mitglieder auch AfD-Mitglieder sind. Das sind oft starke und mit Autorität ausgestattete Kollegen, auch Betriebsräte. Würde man die ausschließen, so die Angst der Gewerkschaften, würde man handlungsschwächer.

In Ihrem Fazit schreiben Sie, es könne keinesfalls davon gesprochen werden, dass die Hütte brennt. Es gebe aber auch keinen Grund zur Entwarnung.

So ist es. Wir haben keinen Flächenbrand, aber es gibt deutlich mehr als Einzelfälle. Wir haben es mit einer strukturellen Form von Rechtspopulismus zu tun, der die Zivilgesellschaft unter Druck setzt. Die Grenze des Sagbaren wird immer weiter ausgedehnt. Die Nervosität in der Auseinandersetzung nimmt zu. Den Kirchen etwa wird gesagt, sie sollten sich um fromme Seelen kümmern und nicht um die Politik der Menschenrechte.

Naturschutz gilt gemeinhin als Thema linker Bewegungen. Wann hat die Rechte dieses Thema für sich entdeckt?

Sie hat es zurückerobert, denn einst war Naturschutz die Domäne der Rechten und völkisch ausgerichtet. Erst in den 1970er-Jahren ist es von der Linken entdeckt worden. Heute ist es nicht einfach, die Widersprüche zwischen Klima- und Naturschutz zu überbrücken – etwa wenn es um Windräder in der Landschaft und Artenschutz geht.

Im Reinhardswald demonstrieren auch Reichsbürger gegen Windräder.

Dies scheint an vielen Orten der Fall zu sein. Die Rechte führt die Natur als Ressource gegen die Klimapolitik ins Feld. Die Botschaft lautet: Der deutsche Wald wird technologisch missbraucht. Dagegen müsse man Widerstand leisten. Ein Beispiel ist „Die Kehre“, eine „Zeitschrift für Naturschutz“, deren Titel auf ein Werk des Philosophen Martin Heidegger Bezug nimmt: „Die Technik und die Kehre.“ Geleitet wird das Magazin von einem Mitglied der rechtsextremen Identitären Bewegung. Ein anderes Beispiel ist der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, der sich für ein „Spiegel“-Porträt auf einem Waldspaziergang in der Nähe seines Wohnortes Bornhagen unweit von Witzenhausen begleiten ließ. Das hatte etwas von Ernst Jünger.

Wieso sind vor allem Feuerwehren von rechten Aktivitäten betroffen?

Das hängt auch damit zusammen, dass Freiwillige Feuerwehren immer noch meistens männerbündische Veranstaltungen sind – wenngleich es zunehmend auch Frauen gibt. Zudem gibt es bei einem Brand kein demokratisches Prozedere. Es ist klar, wer den Ton angibt. Alles ist hierarchisch und abgeschottet. Das kann Brückenbildungen in den Rechtspopulismus erleichtern. Und schließlich ist die Feuerwehr im ländlichen Raum oft eine der wenigen verbliebenen Institutionen. Zudem zählen Rechte bisweilen zu den wenigen, die sich melden, wenn Freiwillige gesucht werden.

Wie müssten Vereine und andere Institutionen auf die Vereinnahmungsversuche reagieren?

Es gibt keine Antwort, die für alle Situationen passt. Dafür gibt es zu viele Besonderheiten. Wichtig ist ein kluges und angemessenes Reagieren, ebenso Prävention. Zudem muss man rechte Einflussnahme erst einmal erkennen. Rechte zeigen heute nicht mehr unbedingt den Hitler-Gruß, sondern finden unterschwellig über andere Symbole und Zeichen Anschluss. Wichtig bleiben in jedem Fall weiterhin staatliche Programme wie „Demokratie leben“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“, mit denen die Zivilgesellschaft unterstützt wird.

Gewerkschaften und Kirchen verlieren immer mehr Mitglieder. Wieso sehen Sie dennoch kein Ende der organisierten Gesellschaft?

Weil die Menschen soziale Wesen sind. Die Heterogenität wird in vielen gesellschaftlichen Bereichen weiter zunehmen. Gerade deswegen sind Vereine und Institutionen wichtig, um Zusammenschluss herzustellen. Bei allen Schwierigkeiten, vor denen die organisierte Zivilgesellschaft steht: Sie ist existenziell, denn ohne sie kann es keine vitale Demokratie geben. Und sie hat weiterhin die Fähigkeit, innovative Antworten für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu geben. (Matthias Lohr)

Die Studie „Einfallstor für rechts? Zivilgesellschaft und Rechtspopulismus in Deutschland“ von Wolfgang Schroeder, Samuel Greef, Jennifer Ten Elsen, Lukas Heller und Saara Inkinen (348 Seiten, 29 Euro) ist im Campus-Verlag erschienen und vergünstigt über die Bundeszentrale für politische Bildung zu beziehen.

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