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Schummeln mit Künstlicher Intelligenz: So wirkt sich ChatGPT auf Schulen aus

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Von: Christina Hein

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Schüler am Computer zum Thema: Wie kann der Lehrer überprüfen, ob KI beim Erstellen einer Hausarbeit mit im Spiel war?
Risiko: Wie kann der Lehrer überprüfen, ob KI beim Erstellen einer Hausarbeit mit im Spiel war? © Archivfoto

Seit Dezember steht das Internet-Tool ChatGPT für alle offen zur Verfügung. Es kann unter anderem eigenständig Texte verfassen. Schulen und Universitäten müssen sich damit auseinandersetzen.

Kassel – Ein Computerprogramm mit dem sperrigen Namen ChatGPT beschäftigt seit Kurzem nicht nur technikinteressierte Menschen, sondern sorgt auch für neue Diskussionen in Schulen und Universitäten. Das seit Dezember für alle offen und kostenlos zur Verfügung stehende Programm nutzt künstliche Intelligenz, um Fragen zu beantworten, und ist in erster Linie dafür gedacht, Erleichterungen in der Arbeitswelt zu erreichen.

Was aber, wenn Schüler und Studierende vermehrt diese Hilfe von Künstlicher Intelligenz in Anspruch nehmen? Das ist bereits in der kurzen Zeit, seitdem das möglich ist, zunehmend häufig geschehen. Kann das vom Lernenden Vorgelegte überhaupt noch überprüft werden? Experten sind sich einig: In der Bildung wird sich einiges verändern durch ChatGPT.

„Da kommen auf uns Lehrende massive Probleme zu, was die Überprüfung der Eigenständigkeit betrifft“, sagt Boris Krüger, Lehrer für Geschichte, Latein und Italienisch an der Albert-Schweitzer-Schule. War es schon in der Vergangenheit bei manchen Schülerinnen und Schülern schwierig, festzustellen, ob beim Referat Eltern, ältere Schüler oder Studierende mitgewirkt haben, so erreiche man jetzt bei den leicht zugänglichen Möglichkeiten, um das KI-Tool einzusetzen, neue Dimensionen. „Das wird noch sehr herausfordernd“, sagt Boris Krüger. „Wir müssen nach neuen Prüfungsformaten suchen und nach technischen Lösungen und Werkzeugen, beispielsweise dem Einsatz von digitalen Wasserzeichen.“

Künstliche Intelligenz stelle für die Lehre Chancen und Risiken dar. Schließlich hätten Schulen auch die Einführung von Taschenrechner und Internet gemeistert, sagt der Gymnasiallehrer. Es gelte in jedem Fall, junge Menschen auf die Lebenswirklichkeit vorzubereiten.

Bei ChatGPT sehe er aber zurzeit noch viele Risiken. Auf jeden Fall nähmen die Lehrenden das Thema sehr ernst. Beispielsweise widme sich der anstehende Pädagogische Tag an seiner Schule auch diesem Thema. Weniger kritisch sieht den Einsatz von KI eine Kollegin an der Elisabeth-Knipping-Schule. Die Naturwissenschaftlerin Sabine Kauffeld, die Chemie und Biochemie unterrichtet, sagt: „In meinem Unterricht müssen die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Versuche individuell analysieren und bewerten. Das kann ihnen keiner abnehmen. Die Überprüfung der Lernstände erbrächten die Jugendlichen dann im Unterricht. Anders sehe das beim Verfassen von Texten, etwa für eine Einleitung, aus, da könnten Schüler durchaus verführt sein, ChatGPT zu befragen. Auch wenn das Thema Einsatz von KI global durchaus auch kritisch betrachtet werden müsse, für ihren naturwissenschaftlichen Unterricht sieht Kauffeld kein Problem.

Nach Ansicht von Bildungsfachleuten könnte Kreativität und kritisches Denken beim Einsatz von ChatGPT auf der Strecke bleiben. Genau das sei aber beim Umgang mit Künstlicher Intelligenz wie ChatGPT wichtig, so Krüger. „Auch wenn das Tool bereits sehr gut funktioniert, gibt es des Öfteren noch falsche Antworten, die aber überzeugend klingen.“ Es müsse deshalb die Kompetenz geschult werden, das zu hinterfragen.

Was wäre, wenn eine Künstliche Intelligenz für Schülerinnen und Schüler die Hausarbeiten erledigte oder Leistungsnachweise erbrächte? Funktioniert das? Fällt das den Lehrkräften auf?

Wir haben den Test gemacht und ChatGPT beauftragt, eine Aufgabe zu erfüllen, wie sie Boris Krüger, Lehrer an der Albert-Schweitzer-Schule, seinem Geschichtsleistungskurs im Jahrgang 13 in einer Vorklausur gestellt hat. Sie lautet:

„Der Oppositionsführer im westdeutschen Bundestag, Kurt Schumacher (SPD), nannte den Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) während einer Debatte im Jahre 1949 in einem Zwischenruf einen ‘Bundeskanzler, der die Interessen der Alliierten vertritt’. Diskutieren Sie die Richtigkeit dieser Aussage.“ ChatGPT benötigte nur Sekunden, um folgende, fast schon menschlich ehrliche, Antwort zu geben:

„Es ist schwierig, die absolute Richtigkeit dieser Aussage zu beurteilen, ohne den Kontext der Debatte und weitere Informationen zu berücksichtigen. In den frühen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg spielte die Beziehung zu den Alliierten, insbesondere den USA, eine wichtige Rolle für die westdeutsche Regierung. Es ist daher möglich, dass Konrad Adenauer tatsächlich enge Beziehungen zu den Alliierten pflegte und ihre Interessen vertrat. Es könnte jedoch auch sein, dass Kurt Schumacher politische Propaganda betrieb und eine übertriebene Darstellung von Adenauers Verbindungen zu den Alliierten verwendete. Daher ist es wichtig, mehr Informationen zu berücksichtigen, um eine fundierte Meinung zu bilden.“ Wir bemerken schnell: Es lohnt sich, weitere Fragen zu stellen und über diese das Thema zu begreifen. Also fragen wir weiter: „Was weißt du über die Aussage ‘Bundeskanzler, der die Interessen der Alliierten vertritt’?

Die Antwort: „Diese Aussage kann als Ausdruck der politischen Rivalität zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), die von Schumacher geführt wurde, und der Christlich Demokratischen Union (CDU), die von Adenauer geführt wurde, angesehen werden.“ Durch gezielte Fragen wie „Welche Interessen verfolgten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland?“ wird das Thema immer engmaschiger aufbereitet.

„Auf die plumpe Frage „Nutzten die Alliierten Deutschland aus?“ kommt im ChatGPT-Talk ohne Zögern: „Ja, die Alliierten nutzen Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg für ihre eigenen Interessen (...) Darüber hinaus nutzten sie Deutschland als politisches und militärisches Instrument im Kalten Krieg, indem sie es als Bastion gegen die sowjetische Bedrohung nutzten und als Teil ihrer Strategie zur Eindämmung des Kommunismus einsetzten.“ Boris Krüger: „Hier würde ich von einem Schüler eine differenziertere Antwort erwarten, die auch den Wiederaufbau, den Marshallplan und die Reeducation Deutschlands durch die West-Alliierten berücksichtigt.“

Zurück zur gestellten Aufgabe: ChatGPT hat sie nicht im ersten Anlauf erfüllt. Die Antwort der KI sei von den Resultaten der Schülerinnen und Schülern qualitativ entfernt, beurteilt Krüger. Die hätten ihre eigenständigen Gedanken auf zwei bis drei Seiten niedergeschrieben und ihr im Unterricht erarbeitetes Wissen analytisch und differenziert eingesetzt, um zu einem ausgewogenen Urteil zu kommen. Zweimal gab es die Bestnote.

Aber: Die Gefahr, dass eine KI im Auftrag von Lernenden Schularbeiten verfasst und das nicht erkannt wird, sieht Boris Krüger durchaus. „Es wird für Lehrkräfte in Zukunft schwierig.“

Das sagt die Leiterin des Staatlichen Schulamts, Annette Knieling

Haben Behörden das Phänomen KI auf dem Schirm?

Die Schulbehörden (und derzeit vermutlich hauptsächlich die Medienfachberatungen sowie die digital-affinen Kolleginnen und Kollegen) beschäftigen sich nach meinem Eindruck in ersten Ansätzen mit den Möglichkeiten und Gelingensbedingungen zum Einsatz von KI, also Maschinen, die in der Lage sind, menschliche Fertigkeiten wir logisches Denken, Lernen Planen und Kreativität zu imitieren, im Unterricht. Dies geschieht hier vor Ort vor allem auf der Ebene der pädagogischen Unterstützung durch erste offene Fortbildungsangebote und entsprechende Austauschforen (Bar Camp etc.) für die Lehrkräfte in enger Zusammenarbeit mit dem Medienzentrum der Stadt Kassel.

Müssen sich Schulen vor KI-Schummeln schützen?

Abgeschrieben und kopiert wurde vermutlich schon immer – und wie immer hängt es an den Fähigkeiten und Kenntnissen der Adressaten, das zu erkennen. Mit kostenlosen Zugriffsmöglichkeiten auf diese neue Technologie müssen sich kompetenzorientierte Aufgaben- und Prüfungsformate weiterentwickeln, da die einfachen Antworten durch KI gegeben werden können. Ähnlich wie im Umgang mit dem Wissen des Internets müssen Kinder, Jugendliche und Erwachsene medienkompetent agieren, um computergenerierte Texte zu erkennen und die Informationsquellen richtig einzuordnen. Das gelingt nur, wenn die Schule auch zukünftig Kompetenzen und Fertigkeiten zur eigenständigen Textproduktion und kritischen Reflexion vermittelt.

Kann KI in den Schulalltag integriert werden?

Eindeutig: Ja! Es gibt ganz unterschiedliche Arbeitsfelder und Fächer, in denen ChatGPT im Unterricht absolut sinnvoll und motivierend eingesetzt werden kann, beispielsweise als Assistent bei der Texterstellung, für den Vergleich von Arbeitsergebnissen, bei der Wortschatzarbeit und Grammatikübungen, als Sprachpartner im Fremdsprachenunterricht oder als Lernbegleiter bei der Wiederholung und Festigung von Faktenwissen. Im Idealfall gewinnt die „echte“ Lehrkraft dadurch mehr Zeit für gruppensoziale Prozesse und wird bei der Individualisierung und Binnendifferenzierung des Unterrichts aktiv unterstützt.

Einschätzung des Kasseler Stadtschulrates zu ChatGPT

„Wir finden es falsch, ChatGPT vorschnell zu verurteilen“, sagt Julius Jasperbrinkmann vom Kasseler Stadtschulrat. „KI bietet große Chancen für eine aktuellere Unterrichtsgestaltung und das Einbinden digitaler Medien.

Schulen und Lehrkräfte müssen sich dem zeitlichen und technologischen Wandel anpassen und diesen nutzen, da ChatGPT unglaubliches Potenzial mit sich bringt. Dennoch sehen wir die Gefahr, die potenzielle Fehlinformationen mit sich bringen.

Unserer Meinung nach sollte allerdings die Schule als Institution genau auf diese Gefahr vorbereiten und einen gesunden Umgang lehren. Auch ich persönlich bin gespannt, wie sich diese KI weiterentwickelt und somit ganz neue Wege eröffnen wird.

Das steckt hinter ChatGPT

ChatGPT ist ein Programm, mit dem sich über das Internet Fragen beantworten und Aufgaben lösen lassen. Es stützt sich auf eine Technologie, die KI verwendet, um zu lernen. Experten schätzen, dass derartige Programme die Arbeitswelt revolutionieren werden, wahrscheinlich noch mehr als dies Apples iPhone, das erste Smartphone, gemacht hat.

GPT steht für „Generative Pretrained Transformer“, eine spezielle Art maschinellen Lernens. Es verwendet 175 Milliarden Parameter, um Sätze zu bilden.

Das Programm ChatGPT stammt vom US-Unternehmen OpenAI (Offene KI). Sam Altman hat das Unternehmen 2015 mit anderen gegründet.

Der 37-jährige US-Amerikaner Altman glaubt, dass KI der Menschheit viele Arbeiten abnehmen wird, dass dadurch die Preise sinken und der Wohlstand steigen wird. Investoren sind unter anderem Tesla-Chef Elon Musk und der Tech-Investor Peter Thiel. Seit 2019 investiert Microsoft Milliarden.

ChatGPT ist seit Dezember für alle Menschen weltweit frei verfügbar. Es läuft auf mobilen Geräten ebenso wie auf einem klassischen PC. Eine Anmeldung unter der Adresse chat.openai.com/auth/login mit E-Mail-Adresse und Passwort ist nötig. Weil das Programm derzeit sehr gefragt ist, kann es zeitweise nicht erreichbar sein.

Das Programm liefert ausführliche Antworten auf Fragen, kann Pro-und-Contra-Argumente liefern, kleine Software-Programme schreiben, ebenso Texte aller Art – Essays, Reden, Werbesprüche. Ein Lied im Stil der Beatles zu komponieren oder einen Liebesbrief in den Worten aus der Barockzeit zu formulieren: Wird in Sekunden erledigt. ChatGPT beherrscht Fremdsprachen, kann Texte übersetzen und Stile nachahmen.

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