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Vor der OB-Wahl in Kassel: Kandidaten liefern sich hitzige Debatten beim HNA-Lesertreff

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Von: Matthias Lohr, Andreas Hermann

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Diskutierten beim HNA-Lesertreff: (von links) HNA-Chefredakteur Axel Grysczyk, Stefan Käufler (Die Partei), Isabel Carqueville (SPD), Christian Geselle (unabhängig), Violetta Bock (Linke), Sven Schoeller (Grüne), Eva Kühne-Hörmann (CDU) und HNA-Lokalchef Florian Hagemann.
Diskutierten beim HNA-Lesertreff: (von links) HNA-Chefredakteur Axel Grysczyk, Stefan Käufler (Die Partei), Isabel Carqueville (SPD), Christian Geselle (unabhängig), Violetta Bock (Linke), Sven Schoeller (Grüne), Eva Kühne-Hörmann (CDU) und HNA-Lokalchef Florian Hagemann. © Fischer, Andreas

Auf der Zielgeraden bezogen die sechs Kandidatinnen und Kandidaten beim HNA-Lesertreff Position zu vielen Themen. Am Ende wurde die Debatte hitzig wie selten.

Kassel – In neun Tagen ist Oberbürgermeisterwahl in Kassel. Die Diskussionen verliefen lebhaft, offenbarten nicht selten unterschiedliche Ansichten und wurden beim Thema Schule und Klima im Rathaus durchaus emotional und hitzig. Über weite Strecken aber lieferten sich die Bewerber um den Chefsessel im Rathaus einen fairen Schlagabtausch. Es war die erste Diskussion, bei der alle sechs Bewerber aufeinandertrafen.

Vor den 230 Besuchern im Südflügel des Kulturbahnhofs, die sich im Vorfeld hatten anmelden müssen, äußerten sich die Kandidaten Sven Schoeller (Grüne), Isabel Carqueville (SPD), Eva Kühne-Hörmann (CDU), Violetta Bock (Linke), Stefan Käufler (Die Partei) und der als unabhängiger Bewerber antretende Amtsinhaber Christian Geselle nicht nur zu Fragen der beiden Moderatoren, HNA-Chefredakteur Axel Grysczyk und HNA-Lokalchef Florian Hagemann.

Stellung nahmen sie auch zu Fragen von Lesern, von Nutzern des Livestream-Angebots sowie von eingeladenen Experten zur Innenstadt-Entwicklung, zu Universität und Schule.

Ein wichtiges und – wie sich zeigte – nach wie vor umstrittenes Thema in Kassel ist die Neugestaltung des Brüder-Grimm-Platzes. Per Handzeichen waren zunächst die Besucher aufgerufen, ihre Meinung zu den Umbauplänen deutlich zu machen – eine Mehrheit sprach sich dagegen aus. Die Kandidaten hatten dazu unterschiedliche Ansichten, auch die beiden Jamaika-Koalitionäre.

Grünen-Kandidat Schoeller räumte ein, er wäre selbst nicht auf die Idee für den Märchenwald gekommen. Er trete aber nicht dafür an, als OB den gefassten Stadtverordnetenbeschluss zurückzunehmen. Hingegen kritisierte CDU-Bewerberin Kühne-Hörmann, der vorgesehene Kiefernwald habe viele Nachteile und sei „ein echtes Problem“.

Sie werde als Oberbürgermeisterin die Pläne noch einmal prüfen lassen. Als „Basta-Politik“ bezeichnete dies Christian Geselle. Der Stadtverordnetenbeschluss binde. Die Jamaika-Koalition habe beim Grimm-Platz „unüberbrückbare Differenzen“.

Die OB-Kandidaten mussten auch Sätze vervollständigen und als zusammengelostes Kandidaten-Duo zu einem Thema Stellung beziehen. Gefragt zur Zukunft der documenta, überließ Satire-Kandidat Stefan Käufler mit den Worten „Ich gehe mal aufs Klo“ die gemeinsame Redezeit der SPD-Kandidatin Isabel Carqueville.

Die wichtigsten Fragen: Wie verlief der Abend?

Ganz schön hitzig. Vor allem am Ende der fast zweieinhalbstündigen Veranstaltung ging es hoch her. Amtsinhaber Christian Geselle (unabhängig) geriet mit seinen Herausforderern aneinander. Grünen-Kandidat Sven Schoeller war gefragt worden, welches Klima er sich im Rathaus wünsche. Er sagte: „Ich möchte einen kollegialen Umgang, keine Hinterzimmerpolitik, sondern offen und transparent.“ Geselle erwiderte, dass man hervorragend zusammenarbeite. Den Mitbewerbern ginge es um Macht: „Dabei ist Ihnen im Augenblick scheinbar jedes Mittel recht.“ Damit spielte er auf die Anti-Geselle-Seite an, die seit dieser Woche Schlagzeilen macht, weil die Autoren anonym bleiben. Eva Kühne-Hörmann (CDU) war danach außer sich. Ihr zu unterstellen, ihr sei jedes Mittel recht, sei eine Unverschämtheit: „Jetzt reicht’s.“ Auch nach der Veranstaltung war sie nicht gut auf Geselle zu sprechen. Schoeller wiederum stellte auf dem Podium klar, dass er nur auf die Frage geantwortet habe. Zu Geselle sagte er: „Es ist ja interessant, dass Sie sich so angesprochen fühlen.“

Welche Themen standen im Mittelpunkt?

Unterschiedliche Ansichten gab es vor allem bei drei Themen, zu denen Experten eingeladen waren. So fragte Chemie-Professor Rüdiger Faust, warum die Universität nicht eng genug an die Stadt angebunden sei: „Nach außen ist die Wahrnehmung so, dass wir dem Wissenschaftsstandort nicht adäquat gerecht werden.“ Hier widersprach Geselle und nannte etwa die Task-Sporthalle am Auestadion ein „hervorragendes Projekt der Kooperation“. Die ehemalige hessische Wissenschaftsministerin Kühne-Hörmann sagte hingegen: „Wir haben exzellente Wissenschaft vor Ort, die wir praktisch kaum nutzen.“ Auch beim Thema Wohnen wurde hitzig diskutiert. Schoeller und Violetta Bock (Linke) wollen angesichts der Klimakrise den Flächenverbrauch reduzieren und daher „verdichten und aufstocken“ (Bock). Isabel Carqueville (SPD) sieht in ihrem Vorschlag für eine Landesgartenschau am Kasseler Hafen eine Entwicklungschance für den Kasseler Osten und plädierte für einen „Mix aus Aufstocken, Bestandsbauten und Mischbebauung mit Sozialwohnungsquote“. Auch über die Verkehrswende wurde kontrovers gestritten.

Wie war das Publikum?

Sehr interessiert. Das zeigten auch die zahlreichen Fragen aus dem Netz, von denen Marie Klement, Leiterin des Digitalteams, eine Auswahl vortrug. Die Fan-Gruppen der Kandidaten saßen im Saal verteilt. In der ersten Reihe machten sich immer wieder die Geselle-Anhänger um Bettenhausens Ortsvorsteher Volker Zeidler mit Applaus und Zwischenrufen bemerkbar. Als der Experte Julius Jasperbrinkmann vom Stadtschülerrat Geselle als „Noch-Oberbürgermeister“ begrüßte, rief Zeidler: „Was soll das denn?“ Auch als es anschließend um die maroden Schulgebäude ging, wurde es turbulent. Jasperbrinkmann warf der Stadt bei Schulsanierungen und -neubauten eine Blockadehaltung vor. Geselle konterte: „Wir sind vorangekommen wie in keinem anderen Jahrzehnt.“ Konsens war aber, dass weiter viel zu tun ist.

Worüber wurde gelacht?

Über Stefan Käufler von der Partei. Der Satirekandidat hatte inhaltlich nichts beizutragen. Zum Brüder-Grimm-Platz etwa sagte er, dass die Wähler das nicht interessiere, darum habe seine Partei keine Meinung. Er genoss den Abend mit drei Bier und ging aufs Klo, als er mit Carqueville in einem Duell diskutieren sollte.

Was war die Erkenntnis des Abends?

Dass eine OB-Wahl selten so interessant war wie diese. Wobei diese These auch nicht neu ist. Die Besucher jedenfalls haben die Kandidaten gestern besser kennengelernt. Alexander Wild von den City-Kaufleuten bedankte sich bei allen Bewerbern für ihr Engagement. Schon seit Monaten machen alle Wahlkampf – bis zur Erschöpfung mitten in der Grippewelle. Nun geht es auf die Zielgerade. Am 12. März wird gewählt. (Andreas Hermann, Matthias Lohr)

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