Die seit Mai laufenden Bauarbeiten sind so gut wie abgeschlossen. Neben dem neuen Eingangsbereich hat das Gebäude jetzt kugelsichere Fenster und Türen bekommen. Den Mauern wurde ein spitzer Metallzaun aufgesetzt. Kameras sind angebracht worden, und in allen Räumen wurden Alarmknöpfe installiert, über die die Polizei informiert werden kann. Die Arbeiten werden durch das Landeskriminalamt abgenommen. Die Sicherheitseinbauten schließen indes nicht aus, dass die Synagoge auch weiterhin von Polizeistreifen bewacht wird, wenn sich dort Menschen treffen.
Für die 700 Mitglieder zählende Gemeinde war die zurückliegende Zeit entbehrungsreich. Die Synagoge war während der Arbeiten kaum zugänglich, der Gottesdienstraum konnte zeitweise nicht genutzt werden. Esther Haß vom Gemeindevorstand sagt: „Wir sind froh, dass diese Zeit vorbei ist und wieder normales Gemeindeleben einzieht.“ Grundsätzlich gebe es aber keinen Grund zur Freude: „Vergessen wir nicht den bedrohlichen Anlass für die Bauarbeiten.“
Die Bauarbeiten für mehr Sicherheit in der Kasseler Synagoge haben überraschend einen Sensationsfund zutage gefördert. Er gibt viele Fragen und Rätsel auf.
Beim notwendigen Um- und Ausräumen einiger Räume wurde in einem ungenutzten Wandschrank eines Schulraums ein unbekanntes Konvolut an unterschiedlichen Akten und Papieren, jüdische Menschen aus Nordhessen betreffend, gefunden.
Es handelt sich um zwei Dutzend Ordner mit Unterlagen, Original-Dokumenten von privaten und städtischen Institutionen aus den Jahren des Nationalsozialismus, Deportations- und Evakuierungslisten sowie Fragebögen, auf denen Juden Angaben etwa über ihren Besitz machen mussten.
Die Beschriftung der gefundenen Ordner weist zudem auf Finanzamtsunterlagen hin. Ein Teil der Papiere sind Originale, einige sind Fotokopien.
Damit nicht genug. Darüber hinaus wurden umfangreiche historische Dokumente gefunden wie Grundbuch- und standesamtliche Eintragungen, Akten aus Behörden und Katasterämtern aus dem 19. Jahrhundert aus den Ortschaften Frankenberg und Vöhl. Dort hatte es vor dem Holocaust große jüdische Gemeinden und Synagogen gegeben.
Zu dem rätselhaften Fund, zu dem auch ausgeschnittene Zeitungsartikel aus den frühen 1930er-Jahren zählen, gehört außerdem eine original pergamentene Bibelrolle, das Buch Esther.
„Keiner wusste von den Papieren, und wir können nicht sagen, wann, wie und warum sie in die Kasseler Synagoge gelangt sind“, sagt Esther Haß vom Vorstand der Kasseler Jüdischen Gemeinde.
Eine wissenschaftliche Betrachtung soll nun für mehr Klarheit sorgen. Mit einer Spende des Kasseler Clubs Soroptimist International Elisabeth Selbert in Höhe von 2500 Euro sollen die Akten jetzt gesichert und ihre Erforschung angeschoben werden. Dazu wurde ein Teil des Konvoluts bereits ins Sara-Nussbaum-Zentrum für jüdisches Leben gebracht.
„Als Erstes werden wir alles digitalisieren“, sagt Elena Padva, Geschäftsführerin im Sara-Nussbaum-Zentrum: „Dann sehen wir weiter. Es ist auf jeden Fall sehr bewegend, Original-Papiere in der Hand zu halten, auf denen Sara Nussbaum handschriftliche Angaben gemacht hat.“
Die Präsidentin des Kasseler SI-Clubs Elisabeth Selbert, die Verlegerin Renate Matthei, sagt: „Dieser sensationelle Fund muss nun sorgfältig aufgearbeitet und erforscht werden, um ihn für die Nachwelt zu erhalten und schließlich die Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte zu ermöglichen.“