Die Schaumburgs aus Kassel backen seit dem Kaiserreich

Als Kind durfte er mit Oma Anna immer Streuselkuchen backen, in der großen Backstube von Opa Hans. Dann durfte der Knirps Butter, Mehl und Zucker zu Steuseln kneten und diese über den Teig streuen. Das fand Stefan Schaumburg immer ganz toll, erinnert sich der heute 55-Jährige.
Niederzwehren – Vielleicht ist das der Grund, warum der Bäckermeister sagt: „Am liebsten mache ich immer meine Kuchen. Und ich probiere gerne neue Rezepte aus oder verfeinere die alten.“ Stefan Schaumburg führt die Bäckerei Schaumburg in Niederzwehren in fünfter Generation. Sie feiert 150-jähriges Jubiläum und ist damit eine der ältesten Bäckereien in Kassel.
Am 1. Mai 1873 wurde die Bäckerei von seinem Ur-Ur-Großvater Johannes Schaumburg gegründet. Am selben Tag eröffnete der österreichische Kaiser Franz Joseph die Weltausstellung in Wien, der Deutsch-Französische Krieg war gerade zwei Jahre vorbei, die Siegessäule in Berlin wurde feierlich eingeweiht, und der Amerikaner Levi Strauss ließ die Jeanshose patentieren.
Im Laufe der 150-jährigen Firmengeschichte sind viele Ereignisse zu Familiengeschichten geworden. Zum Beispiel dass Johannes Schaumburg 1873 aus Australien zurückkam, wo er als Auswanderer das Bäckerhandwerk gelernt hatte. Er machte sich an der Frankfurter Straße in der Nähe der Matthäuskirche selbstständig. Die Bäckerei hatte dort knapp 100 Jahre ihren Firmensitz. Aufgrund der Stadtteilsanierung Niederzwehrens und dem Ausbau der Frankfurter Straße mussten die Schaumburgs ein paar Häuserblocks weiter ziehen, wo sie 1971 Geschäft und Backstube neu eröffneten. Im Fotoalbum der Familie existiert noch ein altes Schwarz-Weiß-Foto vom ersten Firmensitz. Ein anderes Bild zeigt den Ur-Ur-Enkel Stefan Schaumburg, der als Zweijähriger vor der Tür der alten Backstube steht, mit Strickjacke und Bommelmütze.
Viel älter ist das Foto, auf dem das Pferdefuhrwerk der Bäckerei Schaumburg zu sehen ist. Mit der Kutsche wurden die Backwaren ausgefahren – bis zum Unfall Ende der 1950er-Jahre. Silke Schaumburg, Ehefrau des Bäckermeisters Stefan Schaumburg, berichtet, dass sich ein Bäckergeselle, der damals die Pferdekutsche lenkte, gerne ein Wettrennen mit der Straßenbahn lieferte.
Einmal jedoch kam plötzlich ein Lastwagen aus der Dennhäuser Straße, und der Bäckerbursche konnte das Pferd nicht schnell genug bremsen. Das Pferd hat den Zusammenstoß nicht überlebt. „Das hat mein Großvater zum Anlass genommen, aufs Auto umzusteigen. Er kaufte einen Opel-Lieferwagen“, sagt Schaumburg.
Jahrzehntelang hatte der Familienbetrieb Obstplantagen gepachtet. Bis in die 1980er-Jahre wurden am Brasselsberg und in Nordshausen Äpfel und Kirschen von den Streuobstbäumen geerntet, um sie in der Backstube zu verarbeiten. Dort wurde nicht nur gebacken. Seine Eltern haben dort ihre Hochzeit gefeiert, verrät Stefan Schaumburg, und er hat mit seiner Ehefrau in der Backstube öfter mal für einen Tanzkurs geübt. Bis vor 20 Jahren konnten die Schaumburg-Backwaren in der ganzen Stadt und in Baunatal gekauft werden: Die Bäckerei hatte 13 Filialen und 45 Verkäuferinnen.
Mittlerweile gibt es nur noch das Stammhaus in Niederzwehren und eine Filiale an der Bremer Straße. Fachkräftemangel war der Grund. Deshalb konzentrierten sich die Schaumburgs auf das Liefergeschäft, für Hotels, Kantinen, Altenheime. Zurzeit arbeiten acht Beschäftigte, inklusive Aushilfen und zwei Auszubildende, genauer gesagt zwei angehende Bäckerinnen, in der Backstube sowie vier Verkäuferinnen und drei Aushilfen hinter den Theken.
Gebacken und verkauft werden auch die Waren, deren Rezepte von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Zum Beispiel der Sandkuchen, dessen Rezept Oma Anna irgendwann mal aufgeschrieben hatte. Den zerfledderten Zettel hat Silke Schaumburg gefunden. Sie vermutet, dass er kurz nach dem Krieg aufgeschrieben wurde, denn im Rezept steht Kartoffel- statt Getreidemehl. Damals musste mit dem gebacken werden, was da war.
Oma Anna war es auch, die Enkel Stefan unter die Fittiche nahm und fürs Backen begeisterte. Schließlich hat für den Bäckermeister alles mit dem Kneten der Streuseln für den Streuselkuchen angefangen. (Claudia Feser)
