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Menschen in Kassel spenden weniger für Vereine

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Von: Anna Lischper

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Drei Musiker spielen auf ihren Instrumenten
Das Avin Trio bei den Niestetaler Kammerkonzerten © Malmus, Pia

Erst Pandemie, jetzt Energiekrise: die wirtschaftliche Situation von Privatpersonen und Betrieben drückt sich in einer geringeren Spendenbereitschaft aus. Das gefährdet die Arbeit gemeinnütziger Vereine.

Kassel - Sie helfen Bedürftigen, unterstützen bei Krankheit, Tod und anderen Herausforderungen des Alltags und bieten auch denen hochwertige Kulturveranstaltungen, die sich keine Eintrittskarten leisten können. Gemeinnützig tätige Vereine können all das nur, weil ihnen Geld gespendet wird. Doch Pandemie, Ukrainekrieg und Energiekrise haben dafür gesorgt, dass viele Privatleute und Unternehmen eher auf Sparkurs sind.

„Die wirtschaftliche Situation hat sich verändert. Unternehmen konnten in der Pandemie weniger erwirtschaften, jetzt die Inflation. All das beeinflusst die Spendenbereitschaft“, sagt Markus Behrendt vom Verein Intensiv Leben. „Viele Vereine haben zu kämpfen“, sagt der Vorsitzende. Wenn ihnen weniger Geld zur Verfügung steht, können sie auch weniger helfen.“

Gemeinnützige Vereine arbeiteten zwar größtenteils ehrenamtlich, finanzierten allerdings Angestellte, die bezahlt werden müssten. Intensiv leben, ein Verein, der Familien mit intensivmedizinisch betreuten Kindern unterstützt, hat zwei Fachkräfte, die sich eine Stelle teilen. Und: Der Verein gibt auch finanzielle Einzelfallhilfe. „Unser Budget ist ohnehin übersichtlich. 10 000 Euro weniger spüren wir.“

Jochen Brühl, Fundraiser beim CVJM Deutschland, stellt zweckgebundene Unterschiede bei Spenden fest. Während für die Ukraine viele Spenden eingegangen seien, habe die Spendenbereitschaft im Tagesgeschäft nachgelassen.

„Wir brauchen dringend Rückgrat“, sagt Friedhelm Luncke. Der Pfarrer a.D. der Evangelischen Kirchengemeinde Sandershausen, der die Niestetaler Kammerkonzerte organisiert. So könne die Reihe, die auf Spendenbasis funktioniert, auf Dauer nicht weitergehen.

„Ernste Schwierigkeiten“ nimmt OB Christian Geselle bei den Vereinen wahr, der ihre Arbeit als „sozialen Klebstoff“ bezeichnet. Mitte 2020 bis Ende 2021 hatte die Stadt mit dem Programm „Kopf hoch Kassel“ insgesamt 372 Vereine unterstützt. Wie berichtet, sind im Haushalt 2023 genau 840 000 Euro zur Abmilderung der Energie-Krise vorgesehen – Geld, das auch Vereine abrufen können. Die Kriterien für die Ausschüttung seien allerdings noch nicht definiert. Für weitere Hilfen verweist die Stadt an die Entlastungspakete des Bundes.

„Die Spenden sind um ein Drittel zurückgegangen“

Die Niestetaler Kammerkonzerte, eine Konzertreihe, die hochrangige Musiker einlädt und vielversprechenden Nachwuchs unterstützt, hatte vergangenes Jahr 90 Konzerte. Die Spenden aber seien um ein Drittel zurückgegangen, sagt Friedhelm Luncke. In Niestetal läuft das so: Wer nicht viel Geld hat, hinterlässt nach dem Konzert nur ein paar Euro. Wer etwas mehr in der Tasche hat, zahlt mehr. Das Solidaritätsprinzip halte die Reihe am Laufen – sofern diejenigen mit mehr Geld auch kommen. Dabei handle es sich oftmals um hochbetagte Besucher. Und die seien mit der Pandemie verhaltener geworden, merkt Luncke an. Was also tun? Eintritt nehmen?

Für Luncke ist das keine Alternative. „Wir haben viele Besucher mit kleiner Rente, denen es sehr guttut, ein Konzert zu besuchen. Es ist ihnen ein Stückchen Lebensinhalt.“ Dafür nimmt der Pfarrer in Rente „viel Arbeit“ in Kauf – ehrenamtliche Arbeit, „es darf ja nichts kosten“.

Im Verein „Intensiv Leben“ arbeiten Mitglieder, die selbst Erfahrung mit intensivpflichtigen Familienangehörigen gemacht haben, und Fachleute etwa aus Medizin und Pflege zusammen. Sie unterstützen andere Familien und profitieren dabei von persönlicher Erfahrung – Hilfe, die über institutionelle Hilfe weit hinausgeht und etwa beatmeten Kindern Teilhabe am Alltag ermöglicht. Laut dem Vorsitzenden Markus Behrendt setze man in diesen Zeiten einmal mehr auf die Unterstützung der steten Spender wie etwa Unternehmen aus der Region. „Und das Kopf-hoch-Kassel-Programm hat uns deutlich geholfen.“

Zwischen 2017 und 2022 seien die Spenden deutlich weniger geworden, stellt Jero van Nieuwkoop, Vorsitzender des Kasseler Kunstvereins, fest: in den Coronajahren um 50 Prozent. Aufgefangen habe man das mit Fördergeld wie etwa aus dem Programm „Neustart Kultur“ oder der Stiftung Kunstfonds. Der Kunstverein werde institutionell von der Stadt gefördert. „Die Ausstellungen aber finanzieren wir anhand von Mitgliedsbeiträgen und Spenden“, sagt Nieuwkoop.

Sein Eindruck ist, dass Menschen gern Geld geben für Projekte, die sie direkt betreffen. Diese Beobachtung habe er mit Raamwerk gemacht, dem anderen Verein, in dem er tätig ist. „Hier knüpfen wir eben direkt an die Themen der Stadtgesellschaft an.“

Bei der Tafel, die derzeit rund 4000 Menschen mit Essen versorgt, sieht es so kurz nach der Weihnachtszeit laut der Vize-Vorsitzenden Helga Schmucker-Hilfer gut aus. „Insgesamt haben Privatleute und Unternehmen vergangenes Jahr sogar mehr gespendet als in den Vorjahren.“ Stichwort Öffentlichkeitsarbeit: Schmucker-Hilfer führt die großzügigen Spenden auf die Berichterstattung über die Not der Tafeln im vergangenen Jahr zurück. „Das hat die Menschen sensibilisiert.“

Ob Hausaufgabenhilfe oder Bildungs- oder Kulturangebote – auch der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM) finanziert sein Angebot mit Spenden. „Gerade im Tagesgeschäft merken wir, dass das Geld gerade nicht so sprudelt. Die Menschen sind unter Preisdruck und kündigen im Zweifel ihren Dauerauftrag“, sagt Jochen Brühl, Fundraiser beim CVJM Deutschland. „Dabei kann man auch mit wenig Geld viel erreichen. Gerade in Krisenzeiten wie diesen braucht es zivilgesellschaftliches Engagement“, so sein Appell.

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