Krieg in der Ukraine: Kasseler Anwalt holt spontan Flüchtlinge mit dem Auto ab

Hilfen für die Ukraine gibt es von öffentlicher und privater Seite. Der Kasseler Anwalt Thorsten Schneider etwa hat sich spontan auf den Weg an die ukrainische Grenze gemacht, um zu helfen.
Kassel. Thorsten Schneider ist ein impulsiver, empathischer Mensch. Wenn ihn etwas umtreibt, muss er was tun und aktiv werden. Putins Krieg treibt ihn um. Und so beschloss der 32-Jährige am Wochenende spontan, sich in Richtung Ukraine zu bewegen, um zu helfen.
Gestern am frühen Morgen kam er nach seinem 3250-Kilometer-Trip zurück. Dann musste der Anwalt in Kassel vormittags noch eine berufliche Verpflichtung, einen Verhandlungstermin, wahrnehmen, bevor er sich wieder dem Kriegselend in der Ukraine widmete. In seinem Wagen hatte er am Morgen die Ukrainerin Marina mit ihren zwei kleinen Kindern und ihrer Mutter nach Kassel gebracht. Es wird, das steht für Schneider, der selber Vater eines kleinen Sohnes ist, fest, nicht sein letzter Einsatz gewesen sein.
Alles ging rasend schnell: Am Donnerstag hatte Schneider in Kassel an der ersten Demo gegen den Krieg in der Ukraine teilgenommen. Auch am Tag darauf, als sich vor dem Rathaus 1500 Menschen versammelten, um ihre Betroffenheit auszudrücken, war Schneider dabei. Er war ungeduldig. Die in Reden angekündigten Hilfen und Solidarbekundungen erschienen ihm theoretisch angesichts der Bilder von zerbombten Wohnhäusern und flüchtenden Frauen und Kindern. „Ich muss dahin.“

Am Tag darauf sei er um 5 Uhr wach geworden, und sein Entschluss stand fest. Er fragte seine Mutter, ob sie ihm ihren geräumigen Renault Trafic für eine Fahrt an die Grenze zur Ukraine leihen könne, er überredete kurzerhand Dima, seinen ukrainischen Kumpel, ihn zu begleiten und er organisierte in Kürze unter Freunden und Nachbarn eine Sammlung von Hilfsgütern, die er mit Kaffee, Nudeln und anderen Lebensmitteln ins Auto packte. Um 18 Uhr ging’s los.
An der polnischen Grenze sei die Hilfe für ukrainische Flüchtlinge gut organisiert, habe er überlegt und deshalb als Ziel Ubla in den Bergen der Slowakei gewählt. Dank Google Maps sei er dort über abenteuerliche Wege gelandet. Empfangen wurden sie von slowakischen Soldaten, die barsch eine Weiterfahrt untersagten, aber anboten, die Hilfsgüter in einer Schule, die als Ankunft für Geflüchtete eingerichtet war, abzugeben. „Ladet ab und verschwindet“, hieß. „Wir fahren nicht wieder nach Hause“, sagten sich die zwei. Sie entschieden, in die drei Stunden entfernte polnische Stadt Przemysl zu fahren. Dort gab es ein kleines Refugee-Center zur Erstversorgung für die Menschen, die in Zügen aus der Ukraine kamen.
„Man muss sich vorstellen, die Leute sind alle verzweifelt, völlig fertig, die wissen ja gar nicht, wohin“, sagt Schneider. „Die sind nur weggerannt. Viele saßen im Bahnhof am Boden und weinten, versuchten, übers Handy ihre Verwandte zu erreichen.“ Hier erfuhren die Kasseler auch, wie grauenvoll das Ausmaß der Kriegshandlungen in den ukrainischen Städten ist, ihnen wurden Handy-Videos gezeigt von zerstörten Häusern, von Zivilisten, die von Soldaten oder Söldnern aus ihren Autos geholt und erschossen wurden.
Dima konnte per Handy Kontakt mit einem Jugendfreund in Kiew aufnehmen und erfuhr, dass dessen Frau und zwei Kinder sowie die Schwiegermutter in der Zwischenzeit in der Nähe von Przemysl, in Medyka, bei einer polnischen Familie Unterschlupf gefunden hatten. „Wir fuhren hin, wurden warmherzig empfangen und ebenfalls aufgenommen. Wir hatten ja 40 Stunden lang nicht geschlafen.“
Bei der polnischen Familie trafen die Kasseler auf den Ukrainer Nikolai, der in umgekehrter Richtung in die Ukraine unterwegs war, um dort seine Familie aus dem Land zu retten. Schneider fuhr Nikolai am frühen Sonntagmorgen zur Grenze. Auf dem Rückweg erlitt er zu allem Unglück einen Verkehrsunfall, der ihn drei Stunden lang aufhielt, bevor er sich mit Dima und der ukrainischen Familie an Bord wieder in Richtung Deutschland auf den Weg machen konnte.
Für seine weitere Hilfe will Thorsten Schneider, der sich als FDP-Politiker außerdem in der Kommunalpolitik engagiert, jetzt einen Verein gründen. Er macht sich auf die Suche nach Unterkünften für Marina und Familie aber auch für Nikolais Familie.
Infos: Wer mithelfen möchte, kann sich über Instagram informieren: @thrstn.s